Der Streit um den Darlehensvertrag – oder: Berufung zur Klageänderung

Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie nicht wenigstens teilweise den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt.

Der Streit um den Darlehensvertrag – oder: Berufung zur Klageänderung

Dies ist beim Übergang von einer in erster Instanz erhobenen Klage auf Feststellung des Wegfalls von Primärpflichten des Darlehensnehmers aus dem Darlehensvertrag infolge des Widerrufs seiner Darlehensvertragserklärung zu einer mit der Berufung verfolgten Klage auf Rückgewähr der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen der Fall.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall verlangt der klagende Bankkunde von der beklagten Bank nach einem von ihm erklärten Widerruf die Rückabwicklung eines mit ihr zwecks Finanzierung eines Autokaufs geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrags.

Das Landgericht Stuttgart hat die Klage auf Feststellung, dass die primären Leistungspflichten des Bankkunden aus dem Darlehensvertrag zur Zahlung von Zinsen und zur Erbringung von Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs erloschen seien, als unbegründet abgewiesen1. Dagegen hat der Bankkunde fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Nachdem der Bankkunde im Dezember 2020 das Darlehen vollständig abgelöst hatte, hat er mit Schriftsatz vom 15.12.2021 den Feststellungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt und (stattdessen) Zahlung der auf das Darlehen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen sowie der Anzahlung auf den Fahrzeugkaufpreis in Höhe von insgesamt 35.330, 91 € nebst Zinsen nach Herausgabe des finanzierten Fahrzeugs unter Anrechnung eines Wertverlusts des Fahrzeugs sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Die Bank hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen. Mit Schriftsatz vom 16.03.2022 hat der Bankkunde im Hinblick auf eine zwischenzeitliche Veräußerung des Fahrzeugs sein Zahlungsbegehren auf 8.338, 91 € nebst Zinsen reduziert.

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Der Vorsitzende des Berufungssenats hat den Bankkunden darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die übereinstimmend erklärte Erledigung des negativen Feststellungsantrags, der in der ersten Instanz alleinige Hauptsache gewesen sei, Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden und in der Folge die Berufung des Bankkunden als unzulässig verworfen ((OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.11.2022 – 6 U 242/20)):

Die Berufung sei mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien bezüglich der negativen Feststellungsklage unzulässig geworden. Eine zulässige Berufung setze voraus, dass der Berufungsführer mit der Berufung die Beschwer bekämpfe, die sich für ihn aus dem angefochtenen Urteil, d.h. hier für ihn als Bankkunden aus der Abweisung der Klage ergebe. Ein Rechtsmittel sei daher unzulässig, wenn es den in der Vorinstanz erhobenen und abgewiesenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolge, sondern lediglich im Wege der Klageerweiterung einen neuen Anspruch zur Entscheidung stelle, über den in erster Instanz nicht entschieden worden sei. Eine bloße Erweiterung oder Änderung der Klage könne nicht das alleinige Ziel des Rechtsmittels sein. Die Beschwer müsse dabei nicht nur im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung vorliegen, sie dürfe auch nicht vor Schluss der mündlichen Verhandlung entfallen sein. Eine allein verbliebene Beschwer des Bankkunden im Kostenpunkt genüge nach § 99 Abs. 1 ZPO nicht.

Nach diesen Maßgaben sei die Berufung unzulässig geworden. Der Bankkunde sei zwar durch das erstinstanzliche Urteil zunächst insoweit beschwert gewesen, als das Landgericht die negative Feststellungsklage abgewiesen habe. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärung sei aber die Rechtshängigkeit des negativen Feststellungsantrags bzw. der auf Feststellung seiner Erledigung gerichteten Klage entfallen. Mit den Erledigungserklärungen der Parteien habe die Rechtshängigkeit des für erledigt erklärten Teils der Hauptsache geendet; anhängig bleibe insoweit nur der Kostenpunkt, über den gemäß § 91a ZPO nach billigem Ermessen zu entscheiden sei. Das angefochtene Urteil, mit dem das Landgericht über die dort ausschließlich verfolgte negative Feststellungsklage entschieden habe, sei in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos geworden, wodurch die auf die Klageabweisung gründende Beschwer des Bankkunden entfallen sei.

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Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof ebenfalls als unzulässig verworfen:

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Bankkunden ist insbesondere eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart den Anspruch des Bankkunden auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Berufung des Bankkunden zu Recht als unzulässig verworfen.

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung setzt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, dass der Angriff des Rechtsmittelführers (auch) auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet ist2. Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden3. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden4. Deshalb muss nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine Berufung, welche die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageabweisung nicht infrage stellt und ausschließlich einen neuen bisher noch nicht geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig5.

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Nach diesen Maßstäben ist die Berufung des Bankkunden unzulässig, weil er sein erstinstanzliches Begehren nicht weiterbetrieben, sondern im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht erhobenen Anspruch zur Prüfung unterbreitet hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betreffen die auf die positive Feststellung eines bestimmten Saldos aus einem Rückgewährschuldverhältnis gerichtete und die auf die Feststellung des Wegfalls von Primärpflichten des Darlehensnehmers aus dem Darlehensvertrag zielende Klage unterschiedliche Streitgegenstände. Aufgrund dessen handelt es sich beim Übergang von dem einen zu dem anderen Antrag um eine Klageänderung i.S.d. § 263 ZPO und nicht bloß um eine Antragsbeschränkung oder erweiterung i.S.d. § 264 Nr. 2 ZPO oder als ein dem Vorgehen nach § 264 Nr. 3 ZPO vergleichbares Verfahren6.

Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf den vom Bankkunden in erster Instanz verfolgten negativen Feststellungsantrag und dem in zweiter Instanz geltend gemachten Anspruch auf Rückgewähr der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen sowie der Anzahlung. Denn der Zahlungsantrag stellt in Form der Leistungsklage die Fortsetzung der positiven Feststellungsklage dar und wäre im Fall des Übergangs als Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO anzusehen7. Gegenüber der negativen Feststellungsklage betrifft die Zahlungsklage dagegen einen anderen Streitgegenstand.

Nichts Anderes folgt daraus, dass die Wirksamkeit des Widerrufs des Bankkunden für beide Ansprüche Tatbestandsvoraussetzung ist. Hierbei handelt es sich bloß um ein Begründungselement, das indes die Rechtsnatur der geltend gemachten Ansprüche als unterschiedliche Streitgegenstände unberührt lässt. Gründe der Prozessökonomie, die dafür sprechen könnten, ein ausschließlich auf Klageänderung gerichtetes Rechtsmittel im Interesse einer sachdienlichen Erledigung des Prozessstoffs zuzulassen, haben kein solches Gewicht, als dass sie es rechtfertigen könnten, von dem für alle Rechtsmittel geltenden grundlegenden Erfordernis abzugehen, dass der Angriff des Rechtsmittelführers auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet sein muss8.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. September 2023 – XI ZB 31/22

  1. LG Stuttgart, Urteil vom 18.07.2020 – 21 O 273/19[]
  2. BGH, Beschlüsse vom 07.05.2003 XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 26; vom 16.09.2008 – IX ZR 172/07, WM 2008, 2029 Rn. 4; und vom 29.09.2011 – IX ZB 106/11, WM 2011, 2113 Rn. 7[]
  3. st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 07.05.2003; und vom 29.09.2011, jeweils aaO mwN[]
  4. BGH, Urteile vom 13.06.1996 – III ZR 40/96, NJW-RR 1996, 1276; und vom 30.11.2005 XII ZR 112/03, NJW-RR 2006, 442 Rn. 15; Beschlüsse vom 16.09.2008; und vom 29.09.2011, jeweils aaO mwN[]
  5. BGH, Urteil vom 22.11.1990 – IX ZR 73/90, WM 1991, 609; Beschluss vom 29.09.2011, aaO[]
  6. vgl. BGH, Urteile vom 03.07.2018 – XI ZR 572/16, WM 2018, 1599 Rn. 17; vom 02.04.2019 – XI ZR 583/17, NJW-RR 2019, 866 Rn. 13; und vom 26.11.2019 – XI ZR 307/18, WM 2020, 87 Rn. 13[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 03.07.2018 – XI ZR 572/16, WM 2018, 1599 Rn. 17[]
  8. BGH, Urteil vom 13.06.1996 – III ZR 40/96, NJW-RR 1996, 1276 mwN[]