Der über das beA des Kollegen versandte Schriftsatz – und die Prüfpflicht des Gerichts

Ein elektronisches Dokument, das aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt1.

Der über das beA des Kollegen versandte Schriftsatz – und die Prüfpflicht des Gerichts

Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Schriftsätze alsbald nach ihrem Eingang bei Gericht zur Kenntnis genommen werden und offensichtliche äußere formale Mängel dabei nicht unentdeckt bleiben. Unterbleibt ein gebotener Hinweis des Gerichts, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass es der Partei noch möglich gewesen wäre, die Frist zu wahren. Mit Blick auf den Transfervermerk einschließlich des darin enthaltenen „Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises“ besteht eine einfache und wenig Zeitaufwand erfordernde Möglichkeit zu prüfen, ob ein aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach versandter Schriftsatz einfach elektronisch signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereicht wurde.

Hierzu gehört für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auch die Prüfung, ob die Person, die das Dokument elektronisch signiert hat, mit derjenigen identisch ist, die Inhaberin des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ist.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Landgericht Bonn die Klage abgewiesen, das Urteil ist em Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 18.12.2023 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 18.12.2023, eingegangen bei Gericht am 19.12.2023, hat der Kläger gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Schreiben ist durch Rechtsanwalt M. , der der den Kläger vertretenden Rechtsanwaltskanzlei angehört, einfach signiert und durch das besondere Anwaltspostfach von Rechtsanwalt R. , der ebenfalls der den Kläger vertretenden Rechtsanwaltskanzlei angehört, an das Oberlandesgericht Köln übersandt worden. Am 20.12.2023 ist Rechtsanwalt M. durch die Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Köln unter Benennung des Aktenzeichens mitgeteilt worden, dass die Berufung vom 18.12.2023 am 19.12.2023 beim Oberlandesgericht Köln eingegangen ist. Auf Antrag von Rechtsanwalt R. mit Schriftsatz vom 13.02.2024 ist die Berufungsbegründungsfrist durch Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden vom selben Tag antragsgemäß bis zum 15.03.2024 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist von Rechtsanwalt M. einfach signiert und am 15.03.2024 von seinem elektronischen Anwaltspostfach an das Oberlandesgericht Köln übersandt worden.

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 19.04.2024, dem Klägervertreter am 23.04.2024 zugegangen, gerügt hatte, dass die Frist zur Einlegung der Berufung durch den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 18.12.2023 nicht gewahrt worden sei, hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 25.04.2024 erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Das Oberlandesgericht Köln hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen2.

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hat der Bundesgerichtshof den Verwerfungsbeschluss aufgehoben, dem Kläger auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist gewährt und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen:

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2, § 575 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), welche es den Gerichten verbieten, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren3.

Einen solchen Verstoß rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

Der Kläger hat zwar die Berufungsfrist versäumt. Ihm ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Berufungsfrist ist durch die Berufungsschrift vom 18.12.2023, eingegangen beim Oberlandesgericht Köln am 19.12.2023, nicht gewahrt worden, weil sie nicht in der nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Form eingereicht worden ist.

Die Berufungsfrist, die gemäß § 517 ZPO einen Monat beträgt und mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils zu laufen beginnt, hat, wie das Oberlandesgericht Köln mit Recht annimmt, mit der Zustellung des landgerichtlichen Urteils an den Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 18.12.2023 zu laufen begonnen.

Rechtlich zutreffend geht das Oberlandesgericht Köln weiter davon aus, dass die elektronisch übermittelte Berufungsschrift des Klägers vom 18.12.2023 die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt hat, weil die Berufung nicht entsprechend den Anforderungen des § 130a Abs. 3 ZPO ordnungsgemäß eingelegt worden ist.

Ein elektronisches Dokument, das aus einem beA versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt4.

Diesen Anforderungen genügt der Schriftsatz vom 18.12.2023, mit dem die Berufung eingelegt werden sollte, nicht. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts Köln ist der Schriftsatz vom 18.12.2023 nicht qualifiziert elektronisch signiert worden. Den Formanforderungen ist nicht dadurch genügt worden, dass die Berufungsschrift von dem den Kläger vertretenden Rechtsanwalt M. einfach signiert worden und durch Rechtsanwalt R. , der ebenfalls Mitglied der den Kläger vertretenden Rechtsanwaltskanzlei ist, per beA an das Oberlandesgericht Köln übermittelt worden ist. Denn die Person, die durch die einfache Signatur die Verantwortung für das Dokument übernommen hat, ist mit dem Versender des elektronischen Dokuments nicht identisch.

Dem Kläger ist jedoch gemäß § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren, weil er ohne sein Verschulden verhindert war, die Notfrist des § 517 ZPO von einem Monat einzuhalten. Dabei steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich.

Ein etwaiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers war jedenfalls nicht ursächlich dafür, dass der Kläger die Berufungsfrist nicht gewahrt hat. Die Wiedereinsetzung ist unabhängig von einem Verschulden der Partei gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art.20 Abs. 3 GG zu gewähren, wenn sie geboten ist, weil das Gericht seine prozessuale Fürsorgepflicht verletzt hat5.

Welche Prüfungs- und Fürsorgepflichten das angerufene Gericht hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Einerseits ist der Richter aufgrund der ihn treffenden prozessualen Fürsorgepflicht zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten verpflichtet. Andererseits muss auch die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden. Aus der verfassungsrechtlich begründeten Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt danach keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eingereichter Schriftstücke sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch einen entsprechenden Hinweis auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken6. Eine Partei darf aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Schriftsätze alsbald nach ihrem Eingang bei Gericht zur Kenntnis genommen werden und offensichtliche äußere formale Mängel dabei nicht unentdeckt bleiben. Unterbleibt ein gebotener Hinweis, ist der Partei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass es der Partei noch möglich gewesen wäre, die Frist zu wahren7.

Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht vor. Denn es ist davon auszugehen, dass bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Hinweis so rechtzeitig hätte erteilt werden können, dass er die Berufung formgerecht hätte übermitteln und einlegen können. Mit Blick auf den Transfervermerk einschließlich des darin enthaltenen „Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises“ besteht eine einfache und wenig Zeitaufwand erfordernde Möglichkeit zu prüfen, ob ein aus einem beA versandter Schriftsatz einfach elektronisch signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereicht wurde. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob die Person, die das Dokument elektronisch signiert hat, mit derjenigen identisch ist, die Inhaberin des beA ist. Es stellt keine nennenswerte Belastung für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts dar, zeitnah nach Eingang eines elektronischen Dokuments zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfüllt sind8. Das Gericht muss auf Mängel des Formats im Sinne von § 130a Abs. 2 ZPO nach § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO unverzüglich hinweisen. Das setzt eine entsprechende Prüfung des elektronischen Dokuments voraus. Solange die Akte dem Richter im ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht vorgelegen hat, kommt es für die leichte Erkennbarkeit des Mangels auf den Wissensstand des zuständigen Geschäftsstellenbeamten an9. Für die Geschäftsstellenbeamtin war die Abweichung der elektronischen Signatur des Rechtsanwalts M. von Rechtsanwalt R. als dem Inhaber des beA, aus dem der Schriftsatz übermittelt worden ist, ohne Weiteres erkennbar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie die Eingangsbestätigung schon am 20.12.2023, einen Tag nach Eingang der Berufungsschrift, an deren Unterzeichner, Rechtsanwalt M. , und nicht an den Übermittler des Schriftsatzes, Rechtsanwalt R. , übersandt hat.

Für die danach gebotene äußerliche Prüfung des Transfervermerks genügt in der Regel ein Zeitraum von zehn bis zwölf Kalendertagen10, der nicht unterschritten ist. Bei Eingang der Berufungsschrift am 19.12.2023 standen noch 30 Kalendertage bis zum Fristablauf am 18.01.2024 offen.

Die weiteren Voraussetzungen, unter denen dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist zu gewähren ist, liegen vor. Der Kläger hat die Wiedereinsetzung fristgerecht innerhalb der nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beachtenden zweiwöchigen Frist beantragt, die gemäß § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis behoben ist und die versäumte Prozesshandlung innerhalb dieser Frist gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachgeholt. Der Kläger ist durch den Hinweis der Beklagten in der Berufungserwiderung vom 19.04.2024, die seinen Prozessbevollmächtigten am 25.04.2024 zugegangen ist, darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nicht formgerecht eingelegt worden ist. Mit am 25.04.2024 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Datum hat der Kläger die Einlegung der Berufung nachgeholt und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. August 2025 – VII ZB 16/24

  1. Anschluss an BGH, Beschluss vom 07.05.2024 – VI ZB 22/23, MDR 2024, 927; Beschluss vom 28.02.2024 – IX ZB 30/23, NJW 2024, 1660; Beschluss vom 07.09.2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512[]
  2. OLG Köln, Beschluss vom 10.07.2024 – 19 U 143/23[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.2019 – VII ZB 43/18 Rn. 8, NJW-RR 2019, 500; Beschluss vom 23.01.2013 – XII ZB 167/11 Rn. 4, NJW-RR 2013, 1010[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 07.05.2024 – VI ZB 22/23 Rn. 5, MDR 2024, 927; Beschluss vom 28.02.2024 – IX ZB 30/23 Rn. 10, NJW 2024, 1660; Beschluss vom 07.09.2022 – XII ZB 215/22 Rn. 11, NJW 2022, 3512; vgl. auch BAG, Beschluss vom 14.09.2020 – 5 AZB 23/20 Rn. 16 m.w.N., BAGE 172, 186 und BSG, Beschluss vom 16.02.2022 – B 5 R 198/21 B Rn. 8 f., NJW 2022, 1334[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 18.07.2024 – V ZB 79/23 Rn. 8; Beschluss vom 29.08.2017 – VI ZB 49/16 Rn. 13, MDR 2017, 1381; Beschluss vom 20.04.2011 – VII ZB 78/09 Rn. 13, MDR 2011, 747; Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 Rn. 9 m.w.N., MDR 2009, 285; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20 Rn. 38, BAGE 171, 28; BSG, Beschluss vom 09.05.2018 – B 12 KR 26/18 B Rn. 10, NJW 2018, 2222[]
  6. vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 Rn. 10, NJW 2006, 1579; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20 Rn. 39, BAGE 171, 28; BSG, Beschluss vom 27.06.2024 – B 1 KR 58/23 BH Rn. 15[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.2011 – VII ZB 78/09 Rn. 12 f., MDR 2011, 747; Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 Rn. 10 f., MDR 2009, 285; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20 Rn. 39, BAGE 171, 28; BSG, Beschluss vom 27.06.2024 – B 1 KR 58/23 BH Rn. 15[]
  8. vgl. BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20 Rn. 40, BAGE 171, 28; vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 Rn. 10, MDR 2009, 285: nicht unterschriebene Berufungsschrift[]
  9. vgl. BAG, Urteil vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20 Rn. 40, BAGE 171, 28; BGH, Beschluss vom 11.12.2015 – V ZB 103/14 Rn. 10, NZM 2016, 446; Beschluss vom 12.10.2011 – IV ZB 17/10 Rn. 15, NJW 2012, 78[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08 Rn. 11, MDR 2009, 285; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20 Rn. 40, BAGE 171, 28[]