Der Unfall bei der Ausfahrt aus einem Grundstück

Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden.

Der Unfall bei der Ausfahrt aus einem Grundstück

Ein Überholverbot bezweckt nicht den Schutz des aus einem Grundstück in die Fahrbahn einfahrenden Verkehrsteilnehmers.

Bleibt unklar, ob der Teilnehmer des fließenden Verkehrs die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, geht dieser Umstand zu Lasten des beweisbelasteten Grundstücksausfahrers.

Danach hatte in dem hier vom Landgericht Kiel entschiedenen Rechtsstreit der aus dem Grundstück Ausfahrende keinen Anspruch auf Ersatz des durch den Verkehrsunfall entstandenen Schadens aus den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1922 BGB. Nach diesen Vorschriften hängt die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dies führte vorliegend zu einer alleinigen Haftung des aus dem Grundstück Ausfahrenden, weil der Verkehrsunfall ausschließlich von diesem verursacht worden war.

Wer von dem Parkplatz auf die Straße einfährt, hat sich gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies hat er im vorliegenden Fall nicht getan. Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden1. So liegt der Fall hier. Insbesondere war der Abbiegevorgang des vom Parkplatz Ausfahrenden zum Zeitpunkt der Kollision noch nicht beendet. Er war noch nicht Teilnehmer des fließenden Verkehrs, als es zu dem Zusammenstoß kam.

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Demgegenüber ist dem Vorbeifahrenden im hier entschiedenen Fall ein Verursachungsbeitrag nicht anzulasten. Dies gilt selbst für den Fall, dass er gegen ein aus § 5 StVO folgendes Überholverbot verstoßen haben sollte. Der Ausfahrende kann sich nicht auf einen Verstoß des auf der Straße Vorbeifahrenden gegen § 5 StVO berufen. Überholverbote bezwecken nicht den Schutz des aus einem Grundstück in die Fahrbahn einfahrenden Verkehrsteilnehmers2. Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden gilt grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn. Der aus einem Grundstück kommende Fahrzeugführer hat sich grundsätzlich darauf einzustellen, dass der ihm gegenüber Vorfahrtsberechtigte in diesem Sinne von seinem Recht Gebrauch macht3.

Dem aus dem Parkplatz Ausfahrenden ist es im vorliegenden Fall schließlich nicht gelungen zu beweisen, dass der auf der Straße Vorbeifahrende zu schnell gefahren ist. Nach Einholung des Sachverständigengutachtens steht nicht fest, dass dieser schneller als die zulässigen 30 km/h gefahren ist. Zwar konnte der Sachverständige ein zu schnelles Fahren rechnerisch nicht völlig ausschließen. Diese Unsicherheit geht indessen zu Lasten des von dem Parkplatz Ausfahrenden. Im Rahmen von § 17 Abs. 2 StVG hat jeder Halter die für die Gegenpartei nachteiligen Umstände zu beweisen4.

Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherung des auf der Straße fahrenden Fahrzeugs haften schließlich auch nicht in Höhe der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs. Wahrt der Einfahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs nicht und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel in vollem Umfang für die Unfallfolgen zu haften5.

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Landgericht Kiel, Urteil vom 13. Mai 2016 – 1 S 2/15

  1. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 10 StVO, Rn. 8[]
  2. KG, Urteil vom 12.02.1998 – 12 U 5603/96, LSK 1998, 520058; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 8 StVO, Rn. 61[]
  3. BGH, Urteil vom 20.09.2011 – VI ZR 282/10[]
  4. BGH, Urteil vom 13.02.1996 – VI ZR 126/95[]
  5. BGH, Urteil vom 20.09.2011 – VI ZR 282/10, Rn. 9; OLG Celle, Urteil vom 22.05.2003 – 14 U 239/02[]

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