Der unterbrochene Rechtsstreit – als anhängiger Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung

Bei einem unterbrochenen Rechtsstreit handelt es sich um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung, wenn die angemeldete Forderung Gegenstand des Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erheblich sind.

Der unterbrochene Rechtsstreit – als anhängiger Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung

Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Diese Regelung verweist die Insolvenzgläubiger auf das Anmeldeverfahren nach §§ 174 ff InsO. Aus § 179 InsO folgt, dass eine bestrittene Forderung im Klageverfahren festzustellen ist1. Liegt für die bestrittene Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so obliegt es gemäß § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen. Ist über die Forderung bereits ein Rechtsstreit anhängig, kann der Widerspruch gemäß § 180 Abs. 2 InsO grundsätzlich nur durch Aufnahme dieses Rechtsstreits verfolgt werden2.

Voraussetzung für eine Aufnahme des Rechtsstreits nach § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 2 InsO ist zunächst, dass eine Forderung zur Tabelle angemeldet, geprüft und bestritten worden ist3. Über diese angemeldete Forderung muss ein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochener Rechtsstreit anhängig sein. Gemessen hieran ist der Anwendungsbereich des § 180 Abs. 2 InsO im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall für das Klageverfahren eröffnet:

Die Klägerin hat eine Forderung in Höhe von 21, 25 Mio. € nebst Zinsen zur Tabelle angemeldet und als Grund (vgl. § 174 Abs. 2 InsO) das im Vorprozess erwirkte rechtskräftige Urteil vom 06.02.2012 angegeben. Dieser Forderung hat der Insolvenzverwalter als Insolvenzverwalter nach Durchführung des Prüfungsverfahrens am 6.03.2020 widersprochen (vgl. § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO).

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Bei dem anhängigen Klageverfahren handelt es sich um einen Rechtsstreit über die von der Klägerin zur Tabelle angemeldete Forderung.

Die für eine Aufnahme gemäß § 180 Abs. 2 InsO erforderliche Übereinstimmung ist anhand der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, die insoweit den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung vorgehen4. Dabei kommt es darauf an, ob die zur Tabelle angemeldete Forderung Gegenstand des unterbrochenen Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Tabelle erheblich sind. Nach diesem Maßstab stimmt die angemeldete Forderung mit dem Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage überein. Die Klägerin hat ihre Forderung in voller Höhe und ohne Rücksicht auf die im Titel des Vorprozesses enthaltene Beschränkung durch die Zugum-Zug-Verpflichtung zur Tabelle angemeldet. Gegenstand der Feststellungsklage ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ebenfalls die uneingeschränkte Forderung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der von der Klägerin im Vorprozess verfolgte Klageantrag von vornherein nicht auf die unbedingte Verurteilung des Schuldners, sondern lediglich auf die Verurteilung Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Eigentums an den Aktien gerichtet war. Daher ist durch den rechtskräftigen Abschluss des Vorprozesses über die sich aus der synallagmatischen Verknüpfung ergebende Beschränkung des Zahlungsanspruchs nicht rechtskräftig entschieden5. Im Hinblick darauf läuft die mit der weiteren Klage erstrebte Herstellung der Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 Abs. 1 ZPO der Sache nach auf eine Wiederholung der Leistungsklage aus dem Vorprozess ohne einschränkenden Zugum-Zug-Vorbehalt hinaus6.

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Der Insolvenzverwalter hat auch den Rechtsstreit hinsichtlich der Widerklage wirksam gemäß § 180 Abs. 2 InsO aufgenommen.

Die Widerklage betrifft die Abwehr einer Insolvenzforderung im Sinne des § 87 InsO. Mit der Widerklage hat der Schuldner zum einen die Feststellung begehrt, dass die Klägerin die ihr obliegende Leistung nicht mehr erbringen könne. Darüber hinausgehend hat der Schuldner die Feststellung begehrt, dass der im Vorprozess rechtskräftig titulierte Zahlungsanspruch der Klägerin nicht beziehungsweise nicht mehr bestehe und der Klägerin aus dem mit dem Schuldner geschlossenen Kaufvertrag über die Aktien keine Rechte mehr zustünden. Insoweit richtet sich die Widerklage gegen den materiellrechtlichen Bestand des Zahlungsanspruchs der Klägerin. Hätte eine solche negative Feststellungsklage – ihre Zulässigkeit unterstellt – Erfolg, wäre damit rechtskräftig ausgesprochen, dass der streitige Anspruch des Prozessgegners (hier: der Klägerin) nicht besteht7. Bei beiden Widerklageanträgen handelt es sich um einen Rechtsstreit über die zur Tabelle angemeldete Forderung. Denn eine Entscheidung über die Widerklageanträge würde – ihren Erfolg unterstellt – dazu führen, dass eine Feststellung zur Tabelle ausscheidet. Dem Insolvenzverwalter fehlt vorliegend nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Aufnahme des unterbrochenen Widerklageverfahrens, denn die von der Klägerin angemeldete Forderung ist im Sinne des § 179 Abs. 2 InsO tituliert und begründet deshalb die Betreibungslast des Insolvenzverwalters.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. August 2022 – IX ZR 78/21

  1. vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2017 – IX ZR 315/14, BGHZ 213, 362 Rn. 8[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 12.03.2021, aaO[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 03.07.2014 – IX ZR 261/12, WM 2014, 1487 Rn. 10; vom 26.01.2017, aaO Rn. 13; vom 12.03.2021, aaO Rn. 14 mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1988 – IX ZR 172/87, BGHZ 105, 34, 37 zu § 146 Abs. 3 KO; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, InsO, 6. Aufl., § 180 Rn. 9; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2015, § 180 Rn. 11; FK-InsO/Kießner, 9. Aufl., § 180 Rn. 8[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 18.09.2018 – XI ZR 74/17, MDR 2019, 692 Rn. 25 mwN[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 18.09.2018, aaO Rn. 24 mwN[]
  7. vgl. Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 322 Rn. 106; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 6. Aufl., § 322 Rn. 187; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 322 Rn. 12[]