Die Berufung des Beklagten – und die hilfsweise erhobenen Klageansprüche

Legt der Kläger, der in erster Instanz mit seinem Hauptantrag obsiegt hat, als Berufungsbeklagter seinen bereits erstinstanzlich in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise hilfsweise erhobenen Klageanspruch erstmalig in dem Berufungsrechtszug schlüssig dar, muss er sich hierfür nicht gemäß § 524 ZPO der Berufung des Berufungsklägers anschließen.

Die Berufung des Beklagten – und die hilfsweise erhobenen Klageansprüche

Ausführungen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken zu der fehlenden Begründetheit des Hilfsantrags gelten als nicht geschrieben, wenn das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zugleich rechtsfehlerhaft annimmt, der erstinstanzlich mit dem Hauptantrag erfolgreiche Kläger hätte sich für die Geltendmachung seines Hilfsantrags in der Berufungsinstanz gemäß § 524 ZPO der Berufung des Beklagten anschließen müssen.

Im vorliegenden Fall haben die Kläger bereits erstinstanzlich eine Klagehäufung in Eventualstellung nach § 260 ZPO vorgenommen, indem sie sich hilfsweise auf kaufrechtliche Sachmängelansprüche im Hinblick auf die baurechtlich nicht genehmigte Nutzung des Bungalows zu Wohnzwecken berufen haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet1. Die Kläger, die erstinstanzlich mit dem auf den Rücktritt von dem Werkvertrag gestützten Zahlungsbegehren durchgedrungen waren, haben dadurch, dass sie dieses Begehren zusätzlich mit dem Minderungs- bzw. Schadensersatzanspruch wegen arglistigen Verschweigens der fehlenden Baugenehmigung unterlegt haben, zwar äußerlich nur einen Antrag gestellt, ihr Klagebegehren aber auf zwei verschiedene Klagegründe gestützt. Sie haben damit erklärt, für den Fall einer Abweisung des auf Rückzahlung von Werklohn gerichteten Hauptantrags eine Titulierung des auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützten Anspruchs auf Minderung bzw. Schadensersatz herbeiführen zu wollen.

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Entgegen der Auffassung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken2 mussten die Kläger weiteren Vortrag zum Hilfsklagegrund des Minderungs- bzw. Schadensersatzanspruchs zweitinstanzlich nicht im Wege der Anschlussberufung (§ 524 ZPO) in den Rechtsstreit einführen.

Richtig ist allerdings, dass sich der Berufungsbeklagte, der sich nicht nur auf die Abwehr der Berufung beschränken will, sondern seine in erster Instanz erfolgreiche Klage erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will, dazu gemäß § 524 ZPO der Berufung der Gegenseite anschließen muss3. Das gilt auch dann, wenn die Einführung des neuen Klagegrundes eine Änderung des Sachantrags nicht erforderlich macht. Auch in einem solchen Fall will nämlich der Berufungsbeklagte, der im Berufungsrechtszug seine Klage auf einen anderen Klagegrund stützt, damit mehr erreichen als die bloße Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über den mit der Klage verfolgten Anspruch4.

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken verkennt jedoch, dass die Kläger ihren Hilfsantrag schon im ersten Rechtszug rechtshängig gemacht haben, so dass sie ihn in der Berufungsinstanz weiterverfolgen können, ohne sich der Berufung des Beklagten anschließen zu müssen.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung fällt ein wegen Zuerkennung des Hauptantrags erstinstanzlich nicht beschiedener Hilfsantrag des Klägers in der Berufungsinstanz allein durch die Rechtsmitteleinlegung seitens des Beklagten an, ohne dass es einer Anschlussberufung bedarf. Es besteht keine Veranlassung, von dem in erster Instanz voll obsiegenden Kläger die Einlegung eines Rechtsmittels, auch nicht im Wege einer Eventual-Anschließung, gegen ein zu seinen Gunsten ergangenes Urteil zu verlangen, um die volle Überprüfung seines unveränderten Klagebegehrens im Rechtsmittelzug sicherzustellen5.

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So ist es hier. Die Kläger haben sich bereits im ersten Rechtszug auf ihren Hilfsantrag berufen. Mit der Verfolgung ihres auf Minderung bzw. Schadensersatz gerichteten Hilfsantrags gehen die Kläger im Berufungsverfahren sachlich nicht über ihr bereits erstinstanzlich anhängiges Begehren hinaus. Insbesondere erweitern sie weder ihre Klage noch stellen sie diese auf einen neuen Klagegrund.

Eine andere Beurteilung wäre selbst dann nicht angezeigt, wenn die Annahme des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken wie nicht (hierzu unten Rn. 21 ff.) zutreffend wäre, die Kläger hätten ihren Eventualklageanspruch in erster Instanz nicht schlüssig vorgetragen. Legt der Kläger, der in erster Instanz mit seinem Hauptantrag obsiegt hat, als Berufungsbeklagter seinen bereits erstinstanzlich in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise hilfsweise erhobenen Klageanspruch erstmalig in dem Berufungsrechtszug schlüssig dar, muss er sich hierfür nicht gemäß § 524 ZPO der Berufung des Berufungsklägers anschließen. Denn in diesen Fällen erweitert der Berufungsbeklagte durch seinen ergänzenden Sachvortrag den Streitgegenstand der Rechtsmittelinstanz nicht. Für eine Individualisierung des Klageanspruchs im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kommt es nicht darauf an, ob der maßgebende Lebenssachverhalt bereits in der Klageschrift vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt worden ist. Vielmehr ist es im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist, indem er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann6. Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Kläger auch im Hinblick auf einen Minderungs- bzw. Schadensersatzanspruch gerecht. Die Kläger haben ihren Anspruch darauf gestützt, dass der Beklagte die fehlende Baugenehmigung für den Bungalow zu Wohnzwecken bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat. Dieser Vortrag war jedenfalls ausreichend, um den Klagegegenstand im vorliegenden Verfahren im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend zu bestimmen. Ob ergänzender Vortrag hierzu im Berufungsrechtszug Berücksichtigung finden kann, richtet sich wie die Revision zu Recht geltend macht allein nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 529, 530, 531 ZPO.

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Soweit das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken den Hilfsantrag auch in der Sache für unbegründet hält, gelten die hilfsweise gemachten Ausführungen zur Unbegründetheit des Hilfsantrags als nicht geschrieben und sind daher unbeachtlich.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine gleichzeitige Prozess- und Sachabweisung in demselben Urteil wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen einer Sach- gegenüber einer Prozessabweisung nicht zulässig. Der Teil des Urteils, der sich auf die fehlende Begründetheit bezieht, gilt in einem solchen Fall als nicht geschrieben7.

Nach diesen Grundsätzen sind die beiden Abweisungsgründe auch im vorliegenden Fall miteinander unvereinbar. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken nimmt an, dass sich die Kläger der Berufung des Beklagten rechtzeitig hätten anschließen müssen, wenn sie in der Berufungsinstanz ihre Klage auch auf den Hilfsantrag hätten stützen wollen. Da es an einer Anschlussberufung fehlt, ist der Hilfsantrag aus der Sicht des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken in der Berufungsinstanz nicht zur Entscheidung angefallen, so dass über das Hilfsbegehren nicht zu entscheiden und dessen Begründetheit nicht zu prüfen war. Erachtet das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken gleichwohl den Hilfsantrag nach rechtlicher Prüfung als unbegründet, bleibt unklar, ob die klageabweisende Entscheidung als Sachurteil in Rechtskraft erwächst. Ausführungen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken zu der fehlenden Begründetheit des Hilfsantrags gelten daher ebenfalls als nicht geschrieben, wenn das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken wie hier zugleich rechtsfehlerhaft annimmt, der erstinstanzlich mit dem Hauptantrag erfolgreiche Kläger hätte sich für die Geltendmachung seines Hilfsantrags in der Berufungsinstanz gemäß § 524 ZPO der Berufung des Beklagten anschließen müssen.

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Das Berufungsurteil wurde deshalb vom Bundesgerichtshof aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur Nachholung der für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Feststellungen an das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. April 2023 – V ZR 270/21

  1. vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2014 – V ZR 298/13, NJW 2014, 3314 Rn. 12; BGH, Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 Rn. 14, jeweils mwN[]
  2. OLG Zweibrücken, Urteil vom 08.06.2021 – 5 U 106/20[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2007 – V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 Rn. 13; BGH, Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 Rn. 15; Urteil vom 07.05.2015 – VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812, Rn. 28[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2007 – V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 Rn. 14; BGH, Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134 Rn. 15[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2004 – II ZR 264/02, NJW-RR 2005, 220; Beschluss vom 05.03.2019 – VIII ZR 190/18, NJW 2019, 1950 Rn.19; Urteil vom 18.07.2013 – III ZR 208/12, NJW-RR 2013, 1334 Rn. 9[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 21.07.2020 – II ZR 175/19, NZG 2020, 1149 Rn. 11; Urteil vom 05.12.2018 – VIII ZR 194/17, NJW-RR 2019, 398 Rn. 13; Urteil vom 18.07.2000 – X ZR 62/98, NJW 2000, 3492, 3493[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 04.05.2018 – V ZR 266/16, NJW-RR 2018, 974 Rn. 15; Urteil vom 03.07.2009 – V ZR 58/08, BeckRS 2009, 22035 Rn. 11; BGH, Urteil vom 19.03.1997 XII ZR 277/95, NJW 1997, 2176, 2177[]
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