Die Eigenbedarfskündigung kurz nach Abschluss des Mietvertrages

Eine Kündigung von Wohnraum wegen Eigenbedarfs für einen Familienangehörigen ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Eigenbedarf zwar nur kurze Zeit nach Ab-schluss des Mietvertrages entstanden ist, bei Abschluss des Mietvertrages aber noch nicht absehbar war.

Die Eigenbedarfskündigung kurz nach Abschluss des Mietvertrages

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt die Vermieterin die Mieter auf Räumung des von ihnen gemieteten Einfamilienhauses wegen Eigenbedarfs in Anspruch.

Die Mieter sind seit Februar 2008 Mieter des Einfamilienhauses der Vermieterin in Wolfenbüttel. Im März 2011 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis zum 30. Juli 2011 mit der Begründung, das Haus werde für ihren Enkel und dessen Ehefrau und Tochter benötigt.

Bei Abschluss des Mietvertrags sei, so die Vermieterin, nicht absehbar gewesen, dass ihr Enkel mit seiner Familie in dem Haus würde wohnen wollen. Er habe zu dem Zeitpunkt in H. gearbeitet und es sei geplant gewesen, dass er nach S. versetzt werden würde, weshalb das Haus in Wolfenbüttel für ihn nicht in Frage gekommen sei. Seine spätere Frau sei im April 2008 schwanger geworden. Erst nach der Geburt der gemeinsamen Tochter habe ein Umdenken über die zukünftige Lebensplanung stattgefunden und der Enkel habe sich entschieden, seine Karrierepläne zurückzustellen und mit seiner Familie in der Umgebung zu bleiben.

Die Mieter haben der Kündigung widersprochen und Härtegründe unter anderem wegen nicht abgewohnter Investitionen geltend gemacht.

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Das erstinstanzlich mit der Räumungsklage befasste Amtsgericht Wolfenbüttel hat der Räumungsklage stattgegeben1. Die hiergegen gerichtete Berufung der Mieter hat das Landgericht Braunschweig zurückgewiesen2. Mit ihrer vom Landgericht Braunschweig zugelassenen Revision verfolgen die Mieter ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Der Bundesgerichtshof wies die Revision der Mieter zurück: Die Mieter sind gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung und Herausgabe des Einfamilienhauses verpflichtet. Die Eigenbedarfskündigung der Vermieterin hat das Mietverhältnis beendet. Die Vermieterin ist gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Kündigung berechtigt, weil nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts Braunschweig Eigenbedarf besteht und dessen Geltendmachung auch nicht rechtsmissbräuchlich ist. Die von den Mieter vorgebrachten Härtegründe gebieten auch keine Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.

Eigenbedarf und Rechtsmissbrauch

Zu Recht hat das Landgericht Braunschweig die Eigenbedarfskündigung der Vermieterin zum 30. Juli 2011 als wirksam angesehen. Entgegen der Auffassung der Mieter steht der Kündigung nicht der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Vermieterin gemäß § 242 BGB entgegen. Zwar ist die Kündigung hier schon etwa drei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses erfolgt – und dies, obgleich den Mieter durch den Schwiegersohn der Vermieterin vor Mietvertragsabschluss versichert worden war, ein Eigenbedarf für ein Familienmitglied komme nicht in Betracht; das einzige, was passieren könne, sei, dass das Haus verkauft werden könnte. Angesichts der Gesamtumstände begegnet die tatrichterliche Würdigung des Landgerichts Braunschweig, dass die Eigenbedarfskündigung der Vermieterin nicht rechtsmissbräuchlich ist, jedoch keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

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Wie der Bundesgerichtshof im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden hat3, setzt sich ein Vermieter zu seinem eigenen Verhalten dann in Widerspruch, wenn er eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, sie alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen. Er darf dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen nicht zumuten, wenn er ihn über die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer nicht aufklärt. Denn für den Mieter ist ein sich abzeichnender Eigenbedarf des Vermieters vor allem für die Entscheidung von Bedeutung, ob er eine Wohnung überhaupt anmieten und damit das Risiko eines Umzugs nach verhältnismäßig kurzer Mietzeit eingehen will4.

Diese Fallgestaltung liegt hier indes nicht vor. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts Braunschweig war es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags für keinen der Beteiligten absehbar, dass ein Eigenbedarf an dem Einfamilienhaus für den Enkel der Vermieterin durch die Geburt seiner Tochter und die daraufhin geänderte Lebensplanung der Familie entstehen würde. Der Eigenbedarf ist vielmehr aufgrund einer erst nach der Vermietung eingetretenen Änderung der persönlichen Verhältnisse des Enkels der Vermieterin entstanden.

Durch die Erklärung des Schwiegersohns der Vermieterin anlässlich der Hausbesichtigung, ein Eigenbedarf komme nicht in Betracht, höchstens ein Hausverkauf, ist kein der Vermieterin zuzurechnender besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der ihre Kündigung wegen Eigenbedarfs rechtsmissbräuchlich erscheinen ließe. Die Äußerung, die im Übrigen eine reine Wissenserklärung darstellt und der kein rechtsgeschäftlicher Erklärungsgehalt zukommt, entsprach nach den vom Landgericht Braunschweig rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Tatsachen. Sie bezog sich auf den damaligen Stand, bei dem eine Änderung nicht absehbar war. Durch sie ist auch kein auf künftige Entwicklungen bezogener Vertrauenstatbestand erweckt worden, denn die persönlichen Verhältnisse eines Vermieters und seiner Familienangehörigen können sich ändern. Will ein Mieter für solche Fälle eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausschließen, bedarf es einer dahin gehenden Vereinbarung.

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Keine Härtefallgründe

Soweit die Revision geltend macht, das Mietverhältnis sei jedenfalls gemäß §§ 574 f. BGB („Sozialklausel“) einstweilen fortzusetzen, kann dem nicht gefolgt werden. Zu Recht stellt das Landgericht Braunschweig darauf ab, dass sämtliche mieterseits geltend gemachten Härtegründe letztlich nur die mit einem Umzug unvermeidlich verbundenen Unannehmlichkeiten darstellen. Dass die Mieter davon absahen, im Mietvertrag einen (beiderseitigen) befristeten Kündigungsausschluss mit der Vermieterin zu vereinbaren, um ihrerseits aus beruflichen Gründen in örtlicher Hinsicht flexibel zu bleiben, kann nicht zu Lasten der Vermieterin gewertet werden. Insbesondere beruht die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Braunschweig nicht darauf, dass das Landgericht den Vortrag, angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen sei nicht zu beschaffen, übergangen hätte. Abgesehen davon, dass das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Wolfenbüttel, auf dessen Gründe das Berufungsurteil Bezug nimmt, diesen Vortrag ausdrücklich gewürdigt hat, bedarf nicht jedes Vorbringen der Parteien der Erwähnung in den schriftlichen Entscheidungsgründen.

Eine Härte im Sinne von § 574 BGB ergibt sich auch nicht aus den finanziellen Aufwendungen der Mieter, insbesondere für die speziell den räumlichen Gegebenheiten angepasste Einbauküche. Die Mieter haben nach eigenem Vorbringen bewusst davon abgesehen, sich die Möglichkeit einer längerfristigen Nutzung des Mietobjekts durch Vereinbarung eines (beiderseitigen) befristeten Kündigungsausschlusses zu sichern, weil sie aus beruflichen Gründen örtlich flexibel bleiben wollten. Sie sind daher sehenden Auges das Risiko eingegangen, dass finanzielle Investitionen in die Wohnung sich im Falle einer nur kurzen Mietdauer nicht angemessen amortisieren werden. Die Inkaufnahme dieses Risikos muss bei der Interessenabwägung nach § 574 Abs. 1 BGB zum Nachteil der Mieter ausschlagen.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. März 2013 – VIII ZR 233/12

  1. AG Wolfenbüttel, Urteil vom 17.11.2011 – 19 C 177/11[]
  2. LG Braunschweig, Urteil vom 03.07.2012 – 6 S 547/11 (190) []
  3. BVerfGE 79, 292, 308 f.; BVerfG, NJW-RR 1993, 1357; BGH, Urteil vom 21.01.2009 – VIII ZR 62/08, NJW 2009, 1139; BGH, Beschlüsse vom 13.04.2010 – VIII ZR 180/09, WuM 2010, 575 [Hinweisbeschluss]; und vom 06.07.2010 – VIII ZR 180/09, WuM 2010, 512 [Zurückweisungsbeschluss] jeweils mwN[]
  4. BGH, Urteil vom 21.01.2009 – VIII ZR 62/08, aaO Rn. 17, 19; BGH, Beschluss vom 13.04.2010 – VIII ZR 180/09, aaO Rn. 2[]