Die Geschäftsunfähigkeit bei Erteilung der Prozessvollmacht – und die Nichtigkeitsklage

Das Fehlen einer wirksam erteilten Prozessvollmacht ist anspruchsbegründende Tatsache i. S. v. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und damit nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast von dem zu beweisen, der sich auf diese Tatsache beruft. Allein das Vorliegen einer psychischen Erkrankung jedweder Art (hier: Angststörung) bedingt nicht die Geschäftsunfähigkeit und damit Prozessunfähigkeit einer Partei.

Die Geschäftsunfähigkeit bei Erteilung der Prozessvollmacht  – und die Nichtigkeitsklage

Ein zur Nichtigkeit des angefochtenen Urteils führender Grund ist gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO dann gegeben, wenn die klagende Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Partei im Vorprozess nach §§ 51 Abs. 1 ZPO, 104 BGB prozessunfähig war. Wer geschäftsfähig ist, ist prozessfähig. Das Gesetz geht grundsätzlich davon aus, dass zumindest alle Volljährigen die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit besitzen, §§ 104 ff. BGB. Geschäftsfähigkeit ist mithin die Regel und Geschäftsunfähigkeit die Ausnahme.

Wer im Wege der Nichtigkeitsklage geltend macht, dass er als Berufungsbeklagter im Vorprozess nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen sei, weil sein Prozessbevollmächtigter keine wirksam erteilte Prozessvollmacht gehabt habe, ist für diesen Nichtigkeitsgrund beweispflichtig. Das Fehlen einer wirksam erteilten Prozessvollmacht ist anspruchsbegründende Tatsache i. S. v. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und damit nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast von dem zu beweisen, der sich auf diese Tatsache beruft1. Dabei reicht es nicht aus, dass der Kläger einer Nichtigkeitsklage schlicht behauptet, bei Mandatierung seines Prozessvertreters nicht geschäftsfähig i. S. v. § 104 Nr. 2 BGB gewesen zu sein.

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Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB setzt den Ausschluss der freien Willensbildung voraus. Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung liegt nach dieser Vorschrift vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann. Substantiiert dargelegt ist ein solcher Ausschluss nach allgemeinen Grundsätzen, wenn das Gericht auf der Grundlage des Klägervorbringens zu dem Ergebnis kommen muss, die Voraussetzungen des § 104 Nr.2 BGB lägen vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es nicht an2.

Dieser Darlegungslast hat die Klägerin in der hier vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschiedenen Nichtigkeitsklage in keiner Weise entsprochen. Sie trägt nicht einmal vor, von wann bis wann sie temporär geschäftsunfähig gewesen sei. Hierzu hätte aber Anlass bestanden, weil sie seit 2010 diverse Prozesse gegen die Beklagte geführt hat und jetzt unstreitig wieder geschäftsfähig ist. War sie nur während der Dauer des hier angefochtenen Berufungsverfahrens geschäftsunfähig oder durchgängig bis zur Erhebung dieser Nichtigkeitsklage?

Insbesondere kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf die mit Beschluss des Amtsgerichts Flensburg vom 03.06.2015 erfolgte Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 Abs. 1 BGB berufen. Auch eine unter Betreuung gestellte Person besitzt nach wie vor die volle, uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit. Die Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 Abs. 1 BGB ist auch kein Indiz für eine bestehende Geschäftsunfähigkeit3. Dies gilt umso mehr als das Betreuungsgericht keinen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB angeordnet hat. Zudem entfaltet der Betreuungsbeschluss nur Wirkung für die Zukunft und besagt nichts über den Geisteszustand der Klägerin von Mitte 2011.

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Aber auch die zur Akte gereichten ärztlichen Gutachten, die für die Deutsche Rentenversicherung erstellt wurden, belegen nicht eine bestehende Geschäftsunfähigkeit im strittigen Zeitraum von Mitte 2011 bis Mitte Juli 2012. Das Gegenteil ist der Fall. Die Klägerin verkennt, dass nicht jede psychische Erkrankung jedweder Art (vorliegend: Angststörung) gleichsam die Geschäftsunfähigkeit bedingt. In dem Gutachten vom 01.07.2010 wurde der Klägerin bescheinigt, dass sie wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert sei und das formale und inhaltliche Denken regelgerecht sei und keine Wahrnehmungsstörungen feststellbar seien. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass für die von der Klägerin zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Dipl. Betriebswirtin ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen bestehe. Aufgrund dieser Feststellungen kann nicht auf eine Geschäftsunfähigkeit geschlossen werden. Gleiches gilt für die im ärztlichen Gutachten vom 08.12.2012 getroffenen Befunde. Auch hierin wurde der Klägerin attestiert, bewusstseinsklar und in allen Parametern orientiert und stimmungsmäßig ausgeglichen zu sein. In dem Resümee kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin von einer verminderten psychischen Belastbarkeit auf dem Boden einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeit auszugehen sei. Eine Tätigkeit in dem zuletzt ausgeübten Beruf sei drei bis unter sechs Stunden täglich möglich. Diesen Gutachten ist in keiner Weise zu entnehmen, dass die Klägerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum von Mitte 2011 bis Mitte 2012 nicht mehr zu einer freien Willensbildung in der Lage war.

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Soweit sich die Klägerin für den Nachweis ihrer Geschäftsunfähigkeit auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft, handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Es fehlt insofern an einem schlüssigen Tatsachenvorbringen der Klägerin, an Hand derer der Gutachter infolge seines Sachverstandes den Schluss ziehen kann, dass sie zumindest von Mitte 2011 bis Mitte 2012 geschäftsunfähig war. Die Klägerin hat auch gerade keine derzeit bestehende und zur Geschäftsunfähigkeit führende psychische Erkrankung dargetan (z. B.: Alzheimer, Demenz, Morbus Pick) mit der Behauptung, dass aufgrund des regelmäßigen Verlaufs dieser Erkrankung davon auszugehen sei, dass sie bereits vor mehr als sechs Jahren, d. h. Mitte 2011, geschäftsunfähig gewesen sei4. Die von ihr eingereichten Gutachten sind hierfür jedenfalls nicht geeignet. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Aber auch die erst kurz vor dem Termin eingereichten und im Zeitraum von Januar bis November 2010 erstellten Atteste der die Klägerin behandelnden Psychotherapeutin besagen nichts über die Geschäftsfähigkeit der Klägerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum. Diese besagen nur, dass die Klägerin während der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt und deshalb an Verhandlungstagen nicht teilnehmen konnte.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 8. Februar 2018 – 5 Sa 347/17

  1. OLG Hamburg, Urteil vom 19.09.1996 – 6 U 101/96 []
  2. BGH, Beschluss vom 14.03.2017 – VI ZR 225/16, Rn. 13, juris; BAG, Beschluss vom 28.05.2009 – 6 AZN 17/09, Rn. 8[]
  3. vgl. Palandt, 77. Aufl., Einf. V. § 104, Rn. 2a; Steffen Staudinger/Klumpp, 2017, BGB, § 104, Rn. 8[]
  4. OLG Hamburg, Beschluss vom 03.04.1998 – 8 W 49/98, Rn. 4[]
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