Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof erneut mit der Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des gebrauchten Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall zu befassen. Konkret ging es um die Darlegungserfordernisse hinsichtlich Schaden, § 31 BGB und Sittenwidrigkeit:

In dem hier entschiedenen Fall erwarb die Autokäuferin im September 2013 von einem Dritten einen von der beklagten Volkswagen AG hergestellten Pkw des Typs VW Caddy 1.6 TDI (75 kW/102 PS) mit Kurzzeitzulassung und einem Kilometerstand von 12 zum Preis von 23.100 €. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA189 mit der Schadstoffnorm Euro 5 verbaut, wobei die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte für Stickoxide davon abhängt, in welchem Ausmaß Abgase aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet werden. Im von der Autokäuferin erworbenen Fahrzeug ließ die das Abgasrückführungsventil steuernde Software eine Abgasrückführung im zur Einhaltung der Grenzwerte erforderlichen Umfang (nur) unter den Bedingungen des zur Erlangung der Typgenehmigung vorgeschriebenen Testlaufs zu. Bewegte sich das Fahrzeug nicht in dem vorgegebenen Geschwindigkeitsmuster, erkannte die Software dies und verringerte die Abgasrückführung im Verhältnis zur Fahrt auf dem Prüfstand, wodurch sich die Stickoxidemissionen erhöhten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte hierin eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und ordnete den Rückruf an. Die von der Autoherstellerin daraufhin entwickelte technische Maßnahme (Software-Update und Installation eines Strömungsgitters) wurde vom KBA im Juni 2016 freigegeben und am 2.02.2017 in das von der Autokäuferin erworbene Fahrzeug installiert.
Mit ihrer Klage hat die Autokäuferin die Autoherstellerin zunächst auf Zahlung von 21.326, 74 € nebst weiteren Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 23.100 € seit dem 1.04.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung, dass die Autoherstellerin sich mit der Annahme des Fahrzeugs seit dem 20.03.2017 im Annahmeverzug befindet, auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen und auf Feststellung, dass die Autoherstellerin verpflichtet ist, der Autokäuferin alle weiteren Schäden aus der Manipulation und den entsprechenden Behebungsmaßnahmen zu ersetzen, in Anspruch genommen. Zuletzt hat sie – neben der Feststellung von Annahmeverzug und Schadensersatzpflicht sowie der Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen – verlangt, die Autoherstellerin zur Zahlung von 15.083, 52 € nebst Zinsen in Höhe von 4.158 € sowie weiteren Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 23.100 € seit dem 6.11.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Im Übrigen hat sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt; die Autoherstellerin hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Braunschweig1) hat die Klage ab, das Oberlandesgericht Braunschweig2 die von der Autokäuferin dagegen geführte Berufung zurückgewiesen. Im Rahmen ihrer vom Oberlandesgericht Braunschweig zugelassenen Revision verfolgt die Autokäuferin ihr vorinstanzliches Begehren weiter und erhielt nun vom Bundesgerichtshof Recht; mit den Erwägungen des Oberlandesgerichts Braunschweig hätte jedenfalls ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden dürfen:
Zu Unrecht geht das Oberlandesgericht Braunschweig zunächst davon aus, ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheitere bereits daran, dass die Autokäuferin keinen konkreten Täter benannt habe. Nach den tatbestandlichen Feststellungen im Berufungsurteil hat die Autokäuferin unter anderem behauptet, der damalige Vorstand der Autoherstellerin habe vom Einsatz der streitgegenständlichen Software gewusst und sei an der schädigenden Handlung der Autoherstellerin beteiligt gewesen. Schon mit dieser Behauptung hat die Autokäuferin ihrer insoweit bestehenden Darlegungslast genügt3.
Unzutreffend ist auch die weitere Annahme des Oberlandesgerichts Braunschweig, es fehle an substantiiertem Vortrag der Autokäuferin „zu den Gesamtumständen einer Verwerflichkeit der Erteilung der Übereinstimmungsbescheinigung oder aber des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer solchen […]“.
Bereits in ihrer Klageschrift hat die Autokäuferin, worauf die Revision zutreffend hinweist, ausgeführt, die Autoherstellerin habe in den Jahren 2006 und 2007 unter der Bezeichnung VW EA189 neue Dieselmotoren verschiedener Leistungsklassen entwickelt, die sie ab dem Jahr 2008 verbaut habe. Die Motoren seien mit einer Steuerungssoftware ausgestattet worden, die die Vornahme eines Emissionstests erkenne und lediglich in diesem Fall das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs aktiviere, wodurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt und auch nur dann die nach der Euro5-Abgasnorm vorgegebenen NOx-Grenzwerte eingehalten würden. Die damaligen Mitglieder des Vorstands hätten bereits im Jahr 2008 von der Softwaremanipulation gewusst, die Serienherstellung der Fahrzeuge mit dem entsprechenden Motor sowie dessen Vermarktung dennoch veranlasst, um die firmeneigenen Absatzzahlen sowie die der Händler zu steigern.
Schon damit hat die Autokäuferin sittenwidriges Verhalten der Autoherstellerin im Verhältnis zu ihr entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig schlüssig dargelegt. Nach der – nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen – höchstrichterlichen Rechtsprechung4 handelt gegenüber einem (auch Gebrauchtwagen) Käufer sittenwidrig, wer auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinnstreben durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA und Ausnutzung der Arglosigkeit der Käufer systematisch, langjährig und in hoher Stückzahl Fahrzeuge in den Verkehr bringt, deren Motorsteuerung bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig scheitert ein Anspruch der Autokäuferin gegen die Autoherstellerin aus §§ 826, 31 BGB auch nicht am fehlenden Schaden.
§ 826 BGB schützt auch die Dispositionsfreiheit des Vertragsschließenden mit der Folge, dass ein Schaden unter bestimmten Voraussetzungen schon im Abschluss eines ungewollten Vertrages liegen kann5. Ob diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, hat das Oberlandesgericht Braunschweig offengelassen, weil es davon ausgegangen ist, dass ein relevanter Schaden – selbst bei Vorliegen einer Wertdifferenz zwischen dem von der Autokäuferin entrichteten Kaufpreis und dem Wert des gelieferten Fahrzeugs – schon deshalb nicht (mehr) vorliegen könne, weil dieser zum einen durch das Aufspielen des Software-Updates jedenfalls wieder entfallen sei und zum anderen die als verletzt in Betracht kommenden Normen nicht dem Schutz der Autokäuferin vor dem geltend gemachten Schaden dienten. Beide Erwägungen sind, wie sich aus der nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt, rechtsfehlerhaft. Liegt der Schaden in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der Autokäuferin sittenwidrig herbeigeführten Vertragsschluss, so entfällt dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstands – wie gegebenenfalls hier durch das Aufspielen des Software-Updates und die Installation eines Strömungsgitters – nachträglich verändert. Solche Umstände führen nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird6. Auf den Schutzzweck etwaig verletzter Vorschriften, insbesondere der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007, kommt es im Rahmen des Anspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig nicht an7.
Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Insbesondere sind bereits auf der Grundlage des sich aus den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils ergebenden Vortrags der Autokäuferin, der mangels gegenteiliger Feststellungen des Oberlandesgerichts Braunschweig zugrunde zu legen ist, auch die weiteren Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt8.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. November 2022 – VI ZR 35/20
- LG Braunschweig, Urteil vom 14.05.2018 – 11 O 1267/17 (265[↩]
- OLG Braunschweig, Urteil vom 17.12.2019 – 7 U 247/18, BeckRS 2019, 42550[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2022 – VI ZR 339/20, zVb; zur sekundären Darlegungslast der Autoherstellerin in Fällen der vorliegenden Art: BGH, Urteile vom 08.03.2022 – VI ZR 475/13, VersR 2022, 654 Rn. 10 ff.; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 34 ff.[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff.[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 25.10.2022 – VI ZR 339/20, zVb; vom 08.03.2022 – VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 47 mwN[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 25.10.2022 – VI ZR 339/20, zVb; vom 08.03.2022 – VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14 mwN; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 58[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 25.10.2022 – VI ZR 339/20, zVb; vom 08.03.2022 – VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14 mwN[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316[↩]
Bildnachweis:
- VW Caddy Maxi: Rudolf Stricker | CC BY-SA 3.0 Unported