Bezieht der Schuldner eine Altersrente und ist er daneben zur Aufbesserung der Rente selbständig tätig, können auf seinen Antrag seine Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit als Mehrarbeitsvergütung bis zur Hälfte pfandfrei gestellt werden.

Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, gehören in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird [1]. Dem Schuldner ist auf Antrag (neben den Betriebsausgaben) so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Hiermit verweist § 850i Abs. 1 ZPO auf die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO [2], insbesondere auch auf § 850a ZPO [3]. Danach setzt das Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenden Betrag unter Beachtung der §§ 850a ff ZPO individuell fest.
Nach § 850a Nr. 1 ZPO sind die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens zur Hälfte unpfändbar. Grund dieser Regelung ist, dem Schuldner einen Anreiz zu geben, Mehrarbeit zu erbringen und dadurch zugunsten der Gläubiger Mehreinnahmen zu erwirtschaften. Mehrarbeit ist jede Arbeit, die über den üblichen Umfang hinaus geleistet wird, etwa in Form von Überstunden und Sonntagsarbeit, aber auch erlaubte regelmäßige Tätigkeiten bei einem weiteren Arbeitgeber [4]. Maßstab sind die normalen Arbeitszeiten des Betriebs, die im Tarifvertrag, im Arbeitsvertrag oder in der Dienstordnung festgeschriebene Vollbeschäftigungszeit [5]. § 850a Nr. 1 ZPO greift nur ein, wenn die zeitlich geleistete Mehrarbeit durch einen als solchen ausgewiesenen oder ausweisbaren zusätzlichen Bezug des Schuldners neben dem üblichen Lohn entgolten ist. Deswegen werden etwa Mehrarbeitsleistungen von Beamten, soweit nicht eine Vergütung nach § 88 Satz 4 BBG in Verbindung mit § 48 BBesG und der Bundesmehrarbeitsverordnung gezahlt wird, und nicht gesondert entgoltene „Überstunden“ von Angestellten nicht erfasst. Auch wenn der Schuldner die geleistete Mehrarbeit durch Inanspruchnahme von Freizeit ausgleicht, greift § 850a Nr. 1 ZPO nicht ein [6].
Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 850a Nr. 1 ZPO liegen bei einem Selbständigen regelmäßig nicht vor. Dessen Arbeitszeit ist weder durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Dienstordnung oder auf sonstige Weise geregelt; deswegen lässt sich ein üblicher Umfang seiner Arbeit nicht bestimmen. Ebenso wenig wird eine zeitlich geleistete Mehrarbeit durch als solche ausgewiesene oder ausweisbare zusätzliche Einnahmen des Schuldners entgolten.
Etwas anderes gilt vorliegend aber deswegen, weil der Schuldner aufgrund seines Alters – zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung war er 70 Jahre alt – nicht mehr erwerbspflichtig ist und diverse Renten in einer Höhe bezieht, die – wenn auch nur leicht – über dem Pfändungsfreibetrag liegen. Somit ist sein Unterhaltsbedarf durch diese Leistungen gesichert. Auf ihn findet die Schutzvorschrift des § 850a Nr. 1 ZPO entsprechende Anwendung.
Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 07.07.2009 mit Wirkung ab 1.07.2010 geändert worden. Danach hat der Gesetzgeber den Pfändungsschutz nicht nur auf alle selbst erzielten, eigenständig erwirtschafteten Einkünfte (die kein Arbeitseinkommen sind) erweitert [7], sondern zudem die Ungleichbehandlung von abhängig beschäftigten und selbständig tätigen Personen beseitigt [8] und den Vollstreckungsschutz für sonstige Einkünfte an den Pfändungsregelungen für das laufende Arbeitseinkommen ausgerichtet [9]. Entgegen der alten Fassung von § 850i ZPO [10] wird von der Neuregelung auch jegliche nicht wiederkehrende Vergütung für persönliche Arbeiten und Dienste erfasst, so dass nunmehr auch Pfändungsschutz bei einer Vergütung für Dienste bestehen kann, die ein vollbeschäftigter Schuldner in seiner Freizeit erbringt [11].
Richtig ist deswegen, den Rechtsgedanken des § 850a Nr. 1 ZPO auf vorliegenden Fall anzuwenden. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Schuldner die Sinnhaftigkeit einer überobligatorischen Tätigkeit wirtschaftlich erkennbar zu machen. Er soll motiviert werden, über seine eigentlichen Einnahmen hinaus zum eigenen und zum Wohle der Gläubiger Einkünfte zu erzielen. Ein Schuldner, der die Vergütung für die Mehrarbeit insgesamt an seine Gläubiger abgeben muss, hat keinen Anreiz, in seiner Freizeit oder während seines Ruhestandes zu arbeiten. Bei einer angemessenen Aufteilung der schuldnerischen Einnahmen aus einer überobligatorischen Tätigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger haben beide Seiten etwas davon. Jedwede gewinnbringende Aktivität des Schuldners wird dadurch gefördert [12].
Dieser Motivationsgedanke kommt auch bei Schuldnern zur Anwendung, die das Rentenalter überschritten haben. Von ihnen kann eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden. Wollen die Gläubiger an dem Geschick eines Schuldners teilhaben, freiberuflich Honorare zu erwirtschaften, müssen diesem Anreize geboten werden, wirtschaftlich tätig zu werden.
Allerdings greift dieser Pfändungsschutz nicht stets in vollem Umfang durch. Zwar spielen in der Gesamtvollstreckung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten (§ 850i Abs. 1 Satz 2 ZPO) grundsätzlich keine Rolle, weil in der Insolvenz sämtliche Vermögensgegenstände (sofern nicht unpfändbar, § 36 Abs. 1 InsO) in die Masse fallen und deswegen zugunsten der Gläubiger verwertet werden. Auch ist § 850i Abs. 1 Satz 3 ZPO im Gesamtvollstreckungsverfahren nicht unmittelbar anwendbar, weil durch diese Regelung sichergestellt werden soll, dass die individuellen Belange des vollstreckenden Gläubigers – etwa seine über die allgemeinen Verhältnisse hinausgehende Schutzbedürftigkeit – Berücksichtigung finden. Im Insolvenzverfahren ist eine solche Abwägung zugunsten einzelner Gläubiger ausgeschlossen [13]. Dennoch bedarf es nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO einer wertenden Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, ob und wie Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO unter Abwägung der Belange von Schuldner und Gläubiger zur Anwendung kommen [14]. Eine solche Abwägung ist bislang noch nicht erfolgt.
Allerdings mag ein Schuldner einen zulässigen Antrag nach § 850i ZPO in der Einzelvollstreckung erst stellen können, wenn ein Gläubiger seine Forderung gegen den Drittschuldner gepfändet hat [15]. Vorher könnte für den Schuldner das Schutzbedürfnis zu verneinen sein. Für das Gesamtvollstreckungsverfahren gilt jedenfalls Anderes. Mit der Insolvenzeröffnung fällt jeder Neuerwerb des Schuldners nach § 35 Abs. 1 InsO in die Masse. Daraus folgt für den Schuldner, dass sämtliche Einnahmen, die er aufgrund einer nicht freigegebenen selbständigen Tätigkeit erwirtschaftet, in die Masse fallen. Er hat deswegen ein erhebliches Interesse daran zu erfahren, wie weit seine zukünftigen Einnahmen unpfändbar und deswegen nicht massezugehörig sind. Deswegen kann er den Antrag nach § 850a Abs. 1 in Verbindung mit § 850i Abs. 1 ZPO schon stellen, bevor die Forderungen durch die selbständige Tätigkeit entstehen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Juni 2014 – IX ZB 87/13
- BGH, Beschluss vom 20.03.2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167, 2170; vom 05.04.2006 – IX ZB 169/04, ZVI 2007, 78 Rn. 3; vom 19.05.2011 – IX ZB 94/09, ZInsO 2011, 1412 Rn. 4[↩]
- BGH, Beschluss vom 24.07.2008 – VII ZB 34/08, FamRZ 2008, 2021 Rn. 9; MünchKomm-ZPO/Smid, 4. Aufl., § 850i Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 6. Aufl., § 850i Rn. 35; Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rn. 1239; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 850i Rn. 5[↩]
- Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, aaO; vgl. zu § 850a Nr. 3 ZPO auch BGH, Beschluss vom 20.03.2003, aaO[↩]
- Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., § 850a Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Smid, aaO § 850a Rn. 4 f; BeckOK-ZPO/Riedel, 2014, § 850a Rn. 4 f; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850a Rn. 7 ff; Musielak/Becker, ZPO, 11. Aufl., § 850a Rn. 2; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 850a Rn. 2; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, aaO § 850a Rn. 2[↩]
- MünchKomm-ZPO/Smid, aaO Rn. 4; BeckOK-ZPO/Riedel, aaO Rn. 6; Musielak/Becker, aaO[↩]
- MünchKomm-ZPO/Smid, aaO[↩]
- BGH, Beschluss vom 26.06.2014 – IX ZB 88/13, zVb; Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2359[↩]
- Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 19.12 2007, BT-Drs. 16/7615 S. 18 zu Nr. 7; BeckOK-ZPO/Riedel, aaO § 850i Rn. 6; Meller-Hannich, aaO § 850i Rn. 3[↩]
- Ahrens, ZInsO 2010, 2357 f, 2560; Meller-Hannich, WM 2011, 529[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10.07.2008 – IX ZB 116/07, nv Rn. 6[↩]
- Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2359[↩]
- vgl. Ahrens, ZInsO 2010, 2357[↩]
- vgl. Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2362[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.12 2009 – IX ZR 189/08, ZIP 2010, 293 Rn. 10, 13 ff; vom 15.07.2010 – IX ZR 132/09, ZIP 2010, 1656 Rn. 41[↩]
- vgl. Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO § 850i Rn. 44; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, aaO § 850i Rn. 4[↩]