Die Mängel einer neuen Polstergarnitur

Kauft ein Verbraucher eine mangelhafte Sache vom Unternehmer, kann er dann vom Kauf zurücktreten, wenn er vorher vom Unternehmer als Verkäufer die Nacherfüllung verlangt und eine angemessene Frist abgewartet hat. Eine Fristsetzung ist entgegen §§ 437, 439, 440, 323 BGB – auch ohne das Vorliegen besonderer Umstände – nicht erforderlich. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich der Verbrauchsgüterrichtlinie1 ist § 323 BGB dahingehend richtlinienkonform auszulegen.

Die Mängel einer neuen Polstergarnitur

So die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart in dem hier vorliegenden Fall des Kaufs einer Polstergarnitur. Die Klägerin kaufte für ihre Wohnung bei der Beklagten, einem gewerblich auftretenden Möbelhaus, am 28. Dezember 2009 eine lederne Polstergarnitur mit Zusatzleistungen zum Gesamtpreis von 3.850,00 EUR. Auf diesen Kaufpreis zahlte sie bei Abschluss des Vertrages 1.140,00 EUR an. Bei der Aufstellung durch ein Transportunternehmen am 6. April 2010 erkannte die Klägerin, dass sich jene nicht in einem vertragsgemäßen Zustand befand. Es lagen erhebliche Sachmängel vor. Da die Klägerin wegen des Mangels aber nicht zur vollständigen Zahlung bereit war, nahm der Transportunternehmer die Polstergarnitur wieder mit. Zwischen den Parteien gab es noch am gleichen Tag eine Kontaktaufnahme, deren Inhalt streitig ist. Unter dem Datum des 6. April 2010 schrieb die Beklagte an die Klägerin, dass sie deren Beanstandung an den Hersteller weitergeleitet habe. Die Klägerin werde deswegen um ein wenig Geduld gebeten. Nachdem die Klägerin bis zum 18. April 2010 keine weitere Nachricht von der Beklagten erhalten hatte, schrieb sie jener, dass sie, weil nicht abzusehen sei, wie und wann die Beanstandung beantwortet werde, vom Kaufvertrag zurücktrete. Die Beklagte wies den Rücktritt zurück und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 10. Mai 2010 mit, dass mit einer Rücklieferung an die Klägerin nicht vor Ende Juni 2010 zu rechnen sei. Daraufhin suchte die Klägerin ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten auf, welcher der Beklagten im Namen der Klägerin schrieb, dass der Klägerin angesichts des Zeitablaufs und der Ankündigung einer weiteren langen Frist ein Zuwarten nun endgültig nicht mehr zumutbar sei, weswegen sie vom Kaufvertrag zurücktrete. Vor dem Amtsgericht Waiblingen ist der Klage stattgegeben worden2. Gegen das Urteil ist von der Beklagten Berufung eingelegt worden.

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Das Landgericht Stuttgart hat das Urteil des Amtsgerichts bestätigt. Nachdem zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Polstergarnitur sachmangelbehaftet war, stehen der Klägerin die Gewährleistungsrechte des § 437 BGB zu. Die Klägerin kann gem. § 437 Nr. 2 BGB in Verbindung mit den dort genannten weiteren Vorschriften von dem Kaufvertrag zurücktreten und den teilweise gezahlten Kaufpreis zurückverlangen.

Nach Auffassung des Landgerichts ist die rechtliche Voraussetzung des vorgelagerten Nacherfüllungsverlangens nach § 439 BGB erfüllt. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Beklagte das behauptete Nacherfüllungsverlangen verspätet bestritten hat, kann dahingestellt bleiben, weil das Berufungsgericht ohne Verzögerung des Rechtsstreits über diese Frage Beweis erheben konnte. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Landgericht davon überzeugt, dass die Klägerin von der Beklagten eine Nacherfüllung verlangt hat. Der Zeuge B. hat den streitigen Vortrag der Klägerin glaubhaft bestätigt. Das Landgericht hat bei der Würdigung der Aussage berücksichtigt, dass es sich bei dem Zeugen um den Lebensgefährten der Klägerin handelt. Ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits ist evident. Gleichwohl gibt das Näheverhältnis zwischen der Klägerin und dem Zeugen keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Der Zeuge hat sowohl das Telefongespräch als auch das von der Beklagten bestrittene Gespräch mit dem Niederlassungsleiter in den Räumen des Möbelhauses widerspruchsfrei und detailreich geschildert. Angesichts des Umstandes, dass der Zeuge den Besuch im Möbelhaus und das Gespräch mit dem Filialleiter in allen Einzelheiten beschreiben konnte, bis hin zu dem von jenem angebotenen Glas Sekt, ist das Landgericht davon überzeugt, dass dieses Gespräch entgegen den Behauptungen der Beklagten stattgefunden hat. Das Landgericht ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin das Gespräch nicht mit dem Ziel geführt hat, sofort von dem Kaufvertrag zurückzutreten und die Anzahlung zurückzuerhalten. Vielmehr war es offensichtlich so, dass die Klägerin an dem Erhalt der mangelfreien Ware, wie bestellt, interessiert war. Der Schriftverkehr und vor allem die Äußerungen der Beklagten darin begründen keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass es der Klägerin zunächst um die Nacherfüllung ging und sie diese von der Beklagten deutlich verlangt hat. Nicht erst als die Klägerin Tage später die Rücktrittsabsicht bekundet hat, hat die Beklagte auf ihrem Nacherfüllungsrecht bestanden. Auch davor war von Seiten der Beklagten von Versuchen zur Mangelbeseitigung die Rede. Daraus ergibt sich in Verbindung mit der Zeugenaussage die sichere Überzeugung, dass die Klägerin zunächst von der Beklagten Nacherfüllung verlangt hat.

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Entgegen den Rechtsausführungen der Klägerin und des Amtsgerichts in dem angefochtenen Urteil war für die Klägerin eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nach § 440 BGB keineswegs unzumutbar. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich nachvollziehbar ergibt, dass eine Nacherfüllung nach Ablauf einer angemessenen Frist für sie wertlos oder aus anderen Gründen nicht zumutbar sei. Einer Fristsetzung nach § 323 BGB bedurfte es hier aber aus anderen Gründen nicht. Das Setzen einer Frist ist nämlich im Verbrauchsgüterkauf grundsätzlich nicht erforderlich. § 323 BGB sieht zwar – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen – das Erfordernis der Fristsetzung vor. Die Vorschrift des § 323 BGB ist jedoch im Hinblick auf die Verbrauchsgüterrichtlinie der Europäischen Union1 richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass für den Rücktritt alleine der Ablauf, nicht aber das Setzen einer angemessenen Frist erforderlich ist. Immer dann, wenn ein nationales Gesetz nicht mit einer EU-Richtlinie übereinstimmt, besteht Anlass für die Prüfung einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung3. Ein Fall der fehlenden Übereinstimmung liegt hier vor. Während das deutsche Gesetz in § 323 Abs. 1 BGB ausdrücklich das Setzen einer Frist verlangt, genügt nach Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich EU RL 1999/44 der Ablauf einer Frist, indem es dort heißt: „…wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat…“. Damit hat das deutsche Gesetz die Voraussetzungen des Rücktritts für den Verbraucher in einer Weise erschwert, welche die Richtlinie so nicht vorgesehen hat. § 323 BGB hat einen erheblich weiteren Anwendungsbereich als Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich EU RL 1999/44. Die überschießende Umsetzung ist deswegen im Wege der richtlinienkonformen Auslegung einschränkend dahingehend auszulegen, dass es der Fristsetzung nach § 323 BGB bei Verbrauchsgüterkäufen als Voraussetzung für den Rücktritt nicht bedarf. Vielmehr genügt es, wenn eine angemessene Frist für die gegebene Gelegenheit der Nacherfüllung verstrichen ist, ohne dass der Käufer jene gesetzt hatte4. Weil die zu privaten Zwecken handelnde Klägerin Verbraucherin im Sinne des § 13 BGB und die Beklagte Unternehmerin im Sinne des § 14 BGB ist, liegt ein Fall des Verbrauchsgüterkaufes vor.

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Jedenfalls bis zu der zweiten Erklärung des Rücktritts am 19. Mai 2010 war eine solche angemessene Frist abgelaufen. Der Verkäufer einer mangelhaften Sache muss sich auf das Nacherfüllungsverlangen des Käufers hin besonders anstrengen, den Mangel zügig zu beseitigen. Maßstab für die Nacherfüllungsfrist kann daher regelmäßig nicht die ursprüngliche Lieferfrist sein und der Verkäufer darf auch nicht mit der Nacherfüllung zuwarten, bis er seinerseits Gewährleistungsansprüche mit seinem Lieferanten geklärt hat5. Eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien für Nacherfüllungsfristen ist nicht vorgetragen, ebenso wenig sind es die wohl einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten. Bei Gebrauchsgegenständen aus Serienproduktion ist regelmäßig eine Nacherfüllung binnen weniger Tage zu erwarten. Beim Möbelkauf kann eine angemessene Frist für die Nacherfüllung wegen der Produktions- und Lieferdauer gegebenenfalls etwas länger sein. Ohne dass – wie hier – Besonderheiten einer längeren Produktions- und Lieferfrist vorgetragen sind, ist davon auszugehen, dass die maximale Nacherfüllungsfrist beim Möbelkauf vier Wochen beträgt6. Hier ist der Rücktritt erst sechs Wochen nach der mangelhaften Lieferung erklärt worden. Zudem hatte die Beklagte mitgeteilt, dass für eine Überprüfung durch den Hersteller und eine eventuelle Nacherfüllung einige weitere Wochen Zeit gebraucht werde. Unter diesen Umständen war bei der zweiten Rücktrittserklärung eine angemessene Nacherfüllungsfrist abgelaufen, so dass die Klägerin zum Rücktritt berechtigt war.

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Die Klägerin hat neben der Hauptforderung gem. §§ 288, 291 BGB Anspruch auf Ersatz der Prozesszinsen.

Landgericht Stuttgart, Urteil vom 8. Februar 2012 – 13 S 160/11

  1. EU RL 1999/44[][]
  2. AG Waiblingen, Urteil vom 06.09.2011 – 7 C 2244/10[]
  3. vgl. BGH NJW 2009, 427[]
  4. ganz h.M. in der Rechtsliteratur, vgl. nur Ernst in Münchener Kommentar, 5. Auflage, § 323 BGB Rn 50a; Grothe in Bamberger/Roth, Edition 21, § 323 BGB Rn 11, jeweils m.w.N.[]
  5. vgl. BGH NJW 1985, 320; Ernst in Münchener Kommentar, 5. Auflage, § 323 BGB Rn 70 ff., m.w.N.[]
  6. vgl. BGH aaO V.2.a.[]

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