Die nicht unterschriebene Berufungsbegründung – und die Wiedereinsetzung

Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen. Hat es der Rechtsmittelführer versäumt, eine unterschriebene und damit wirksame Rechtsmittelbegründung einzureichen, hat er somit bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist einen unterschriebenen Begründungsschriftsatz nachzureichen.

Die nicht unterschriebene Berufungsbegründung – und die Wiedereinsetzung

Die Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften1 ist auf die Nachholung einer Berufungsbegründung im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach Einreichung einer mangels Unterzeichnung unwirksamen Begründung nicht übertragbar.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt der Kläger die Beklagte auf Schadensersatzanspruch in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig durch seinen Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt. Die Begründungsfrist lief am 21.01.2019 ab. An diesem Tag ging per Fax eine Berufungsbegründungsschrift vom 17.01.2019 ein, die nicht unterschrieben war; auch das am 23.01.2019 eingegangene Original der Berufungsbegründung und die beglaubigten Abschriften wiesen keine Unterschrift auf.

Mit Beschluss vom 07.02.2019 hat das Berufungsgericht die Berufung wegen des Fehlens der Unterschrift unter der Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Mit Schriftsatz vom 14.02.2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass seine Mitarbeiterin entgegen der allgemeinen Anweisung den Schriftsatz hinausgegeben habe, ohne zu kontrollieren, ob er auch unterschrieben sei. Die Berufungsbegründung vom 17.01.2019 sei tatsächlich mit seinem Wissen und Willen herausgegeben worden, es habe sich nicht um einen Entwurf gehandelt. Dies hat er anwaltlich versichert.

Mit Beschluss vom 25.03.2019 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die versäumte Prozesshandlung nicht nachgeholt, weil er keine unterschriebene Berufungsbegründung zu den Akten gereicht habe. Die anwaltliche Versicherung, dass es sich bei der nicht unterschriebenen Berufungsbegründung nicht um einen Entwurf handle, sondern um einen Schriftsatz, der mit Wissen und Willen des Prozessbevollmächtigten des Klägers herausgegeben worden sei, könne die erforderliche Nachholung der Prozesshandlung nicht ersetzen.

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Gegen beide Beschlüsse wendet sich der Kläger mit den Rechtsbeschwerden, die jedoch vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg blieben:

Die Rechtsbeschwerden sind zwar statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), insbesondere waren die gesondert ergangenen Beschlüsse über die Ablehnung der Wiedereinsetzung einerseits und die Verwerfung der Berufung als unzulässig andererseits gesondert anzufechten2. Sie sind aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzen die angefochtenen Beschlüsse nicht den Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren und Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).

Die Verwerfung des Antrags des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht zu beanstanden.

Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer Frist kommt auch dann in Betracht, wenn die fristgebundene Prozesshandlung zwar rechtzeitig, jedoch unwirksam vorgenommen worden ist3. Dies war hier der Fall. Die Berufungsbegründungsschrift vom 17.01.2019 war nicht unterschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die Berufungsbegründung als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO), da mit der Unterschrift der Nachweis geführt wird, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Begründungsschrift übernimmt4. Dass besondere Umstände, aufgrund derer ausnahmsweise auf eine Unterschrift verzichtet werden kann, bis zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist5 vorlagen, behauptet auch die Rechtsbeschwerde nicht.

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Der Kläger hat die versäumte Prozesshandlung nicht, wie in § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschrieben, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nachgeholt. Er hat zu keinem Zeitpunkt eine unterschriebene und damit wirksame Berufungsbegründung zu den Akten gereicht.

Für die Wiedereinsetzung ist die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen6. Hat es der Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, eine unterschriebene und damit wirksame Rechtsmittelbegründung einzureichen, hat er somit bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist einen unterschriebenen Begründungsschriftsatz nachzureichen. Die Berufungsbegründung kann auch dadurch erfolgen, dass auf andere Schriftsätze Bezug genommen wird, wenn diese von einem bei dem Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind und inhaltlich den Anforderungen der Berufungsbegründung gerecht werden7.

Demgegenüber hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit der (anwaltlich versicherten) Erklärung in dem Wiedereinsetzungsantrag, dass die eingereichte nicht unterzeichnete und damit unwirksame Berufungsbegründung mit dem Wissen und Willen des Rechtsanwalts herausgegeben worden sei und es sich nicht um einen Entwurf gehandelt habe, die versäumte Prozesshandlung nicht wirksam nachgeholt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Sinn der Unterschrift darin, die Identifizierung des Urhebers der Prozesshandlung zu ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck zu bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist8. Zum Nachweis hierfür ist die Unterzeichnung des Schriftsatzes, mit dem die jeweilige Prozesshandlung vorgenommen wird, ausreichend, aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich aber auch erforderlich9.

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Von diesem Grundsatz sind zwar, worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist, Ausnahmen möglich. Wenn auch ohne die Unterschrift aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt Rechtsmittelbegründungsschrift übernommen hat, darf deren Wirksamkeit nicht allein deshalb verneint werden, weil es an der Unterschrift fehlt1. Der Bundesgerichtshof hat dies dann angenommen, wenn die nicht unterzeichnete Berufungsbegründung mit einem vom Rechtsanwalt unterschriebenen Anschreiben fest verbunden ist10 oder wenn die eingereichten beglaubigten Abschriften der nicht unterzeichneten oder nicht eingereichten Urschrift der Berufungsbegründung einen vom Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogenen Beglaubigungsvermerk enthalten11. Diese Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften trägt dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes sowie ihren Rechten aus Art.19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung, die es verbieten, den Zugang zur jeweiligen nächsten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. An die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens dürfen aus diesem Grund keine überspannten Anforderungen gestellt werden12.

Die genannte Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften betrifft indes allein den Fall der erstmals eingereichten Rechtsmittelbegründung. Auf die Nachholung einer Berufungsbegründung im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach Einreichung einer mangels Unterzeichnung unwirksamen Begründung ist sie dagegen nicht übertragbar. Diese Situation unterscheidet sich von der erstmaligen Einreichung einer Berufungsbegründung insoweit, als es die anwaltlich vertretene Partei bereits einmal versäumt hat, eine wirksame Berufungsbegründung einzureichen und auf den konkreten Mangel durch das Gericht spätestens mit dem Verwerfungsbeschluss hingewiesen worden ist. Dann aber ist es dem Rechtsanwalt ohne weiteres zuzumuten, die Prozesshandlung nunmehr durch die Einreichung einer wirksamen, also unterzeichneten Berufungsbegründung nachzuholen und sich nicht mit Erklärungen zum eingereichten unwirksamen Begründungsschriftsatz zu begnügen. Wenn die nachzuholende Prozesshandlung an eine Form gebunden ist, deren Einhaltung (wie etwa im Fall der Berufungsbegründung nach § 520 ZPO) einen besonderen Aufwand erfordert, kann von der säumigen Partei verlangt werden, dass sie diese Form innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfüllt13.

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Die Anforderung, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist eine unterzeichnete Berufungsbegründung nachzureichen, stellt auch keine bloße, mit einer rechtsstaatlichen Verfahrensweise nicht vereinbare Förmelei dar. Formerfordernisse für Prozesshandlungen können der Rechtssicherheit dienen, sofern sie geeignet sind, die prozessuale Lage für alle Beteiligten rasch und zweifelsfrei zu klären14. Der Rechtssicherheit dient auch das Erfordernis, die Berufungsbegründung zu unterschreiben15, insbesondere, wenn es um die wirksame Nachholung einer mangels Unterzeichnung versäumten Prozesshandlung geht.

Da eine wirksame Berufungsbegründung weder innerhalb der Berufungsbegründungsfrist noch innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist zu den Akten gereicht worden ist, besteht kein Grund für die Aufhebung des Beschlusses vom 07.02.2019, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Ein Aufhebungsgrund ergibt sich insbesondere entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht daraus, dass das Berufungsgericht vor der Stellung des Wiedereinsetzungsantrags und vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist über die Berufung entschieden hat. Abgesehen davon, dass die Rechtsbeschwerde schon nicht darlegt, welcher Zulassungsgrund sich aus diesem Vorgehen ergeben soll, ist nach der zwischenzeitlich zu Recht erfolgten Ablehnung der Wiedereinsetzung für eine andere Entscheidung als die Verwerfung der Berufung kein Raum.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZB 22/19 – VI ZB 23/19

  1. BGH, Beschlüsse vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137 4; vom 09.12 2003 – VI ZB 46/03 4; BGH, Urteil vom 10.05.2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 208820 f.; Beschlüsse vom 26.10.2011 – IV ZB 9/11 6, 11; vom 20.03.1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 14[][]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 26.04.2016 – VI ZB 4/16 und 7/16, NJW-RR 2016, 952 Rn. 6 mwN[]
  3. BGH, Beschlüsse vom 26.09.2002 – III ZB 44/02, NJW 2002, 3636 4; vom 18.05.2000 – VII ZB 25/99, NJW 2000, 3286 5[]
  4. BGH, Beschluss vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137 4 mwN; BGH, Urteil vom 24.05.1962 – II ZR 173/60, BGHZ 37, 156 ff.; Beschluss vom 20.03.1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 253[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137 5; BGH, Urteil vom 10.05.2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088 23; Beschluss vom 26.10.2011 – IV ZB 9/11 6[]
  6. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl., § 236 Rn. 8; Grandel in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl., § 236 Rn. 6; Stackmann in MünchKomm- ZPO, 5. Aufl., § 236 Rn. 15; Wendtland in BeckOK ZPO, Stand 1.07.2019, § 236 Rn. 12[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 05.03.2008 XII ZB 182/04, FamRZ 2008, 1063 Rn. 11[]
  8. BGH, Beschlüsse vom 29.11.2016 – VI ZB 16/16, VersR 2017, 506 Rn. 8; vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 7; BGH, Urteil vom 10.05.2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2087 15; jeweils mwN[]
  9. BGH, Urteil vom 24.05.1962 – II ZR 173/60, BGHZ 37, 156, 159; Beschluss vom 20.03.1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 13[]
  10. BGH, Beschluss vom 20.03.1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 f. 16 f.[]
  11. BGH, Beschluss vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137 5; BGH, Beschlüsse vom 26.03.2012 – II ZB 23/11, NJW 2012, 1738 Rn. 9; vom 03.05.1957 – VIII ZB 7/57, BGHZ 24, 179, 180 3[]
  12. BGH, Urteil vom 10.05.2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088 22; BVerfG, NJW 2002, 3534 18[]
  13. vgl. BGH, Beschluss vom 30.01.1997 – III ZB 72/96 7; BVerfG, NJW 1993, 1635 f. 27[]
  14. BVerfG, NJW 1993, 1635 22[]
  15. vgl. BGH, Beschluss vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137 5; BGH, Urteil vom 24.05.1962 – II ZR 173/60, BGHZ 37, 156, 159[]
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