Mit der von dem Gesetz geforderten eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts der Berufungsbegründungsschrift durch den unterzeichnenden Rechtsanwalt hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen.

Dem zugrunde lag ein Fall, in dem das Brandenburgische Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen hat, weil sie entgegen § 520 Abs. 3 i.V.m. § 78 Abs. 1 ZPO nicht von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt begründet worden sei1. Die 81 Seiten umfassende Begründungsschrift sei zwar von dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnet worden. Nach ihrem Inhalt stehe aber außer Zweifel, dass dieser nur die erste Seite verfasst und den Schriftsatz ohne eigene Prüfung unterzeichnet habe. Zwar sei die juristische Qualität eines Schriftsatzes für seine Beurteilung als Rechtsmittelbegründung grundsätzlich unerheblich. Aber aus den sonstigen Umständen, insbesondere der wirren Gestaltung der Anträge und des Schriftsatzes im Vergleich zu der sonstigen Qualität der Schriftsätze des Rechtsanwalts sowie u.a. der Tatsache, dass dieser der Bitte des Gerichts um Konkretisierung der Anträge nicht nachgekommen sei, lasse sich der Schluss ziehen, dass die Seiten 2 bis 81 von der Beklagten zu 1 herrührten und von dem Rechtsanwalt unbesehen unterzeichnet worden seien. Dessen spätere Stellungnahme führe nicht zu einer anderen Bewertung, da der Rechtsanwalt darin nur darlege, dass er den Schriftsatz unterzeichnet und an das Gericht übersandt habe.
Der Bundesgerichtshof wies die hiergegen gerichte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurück:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist das Erreichen einer Wertgrenze nicht erforderlich, da die Berufung als unzulässig verworfen worden ist (§ 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) ist nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde ist den Beklagten der Zugang zu der Berufung nicht infolge einer fehlerhaften Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung unzumutbar erschwert worden.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht legt die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde, wonach die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt keine bloße Formalität darstellt, sondern zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt ist2.
Mit den Regelungen über den Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 ZPO) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffs vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüberhinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Brandenburgischen Oberlandesgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat3.
Ausnahmen hiervon werden in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat4. Zur letztgenannten Fallgruppe werden insbesondere Rechtsmittelbegründungsschriftsätze gerechnet, die weitgehend unverständlich sind und Ausführungen enthalten, die mit dem Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in keinem Zusammenhang stehen5 bzw. nach deren Inhalt schlechthin auszuschließen ist, dass der Anwalt sie in der gebotenen Weise überprüft haben kann6.
Im Ergebnis rechtsfehlerfrei ordnet das Brandenburgische Oberlandesgericht den hier entschiedenen Sachverhalt der zuletzt genannten Fallgruppe zu.
Allerdings macht die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend, dass die nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangene Stellungnahme des Rechtsanwalts und dessen späteres Verhalten, namentlich die unterbliebene Konkretisierung der Anträge trotz gerichtlicher Aufforderung, in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung sind. Denn Umstände dieser Art könnten eine den Anforderungen entsprechende Begründungsschrift nicht nachträglich unwirksam machen7. Umgekehrt könnte eine nicht ordnungsgemäße Begründungsschrift nach Fristablauf nicht mehr ergänzt werden. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde war das Brandenburgische Oberlandesgericht daher auch nicht gehalten, den Rechtsanwalt – wie beantragt – als Zeugen zu vernehmen. Der Zeugenbeweis wäre ungeeignet, weil die Entscheidung darüber, ob die Frist des § 520 Abs. 2 ZPO gewahrt ist, allein auf der Grundlage der innerhalb der Frist eingereichten Schriftsätze – die aus sich heraus auszulegen sind – getroffen werden kann.
Der Inhalt der Berufungsschrift rechtfertigt im vorliegenden Fall die Schlussfolgerung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts aber auch unabhängig von den genannten späteren Umständen:
Rechtsfehlerfrei ist zunächst die Annahme des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, dass die Begründungsschrift nicht von dem Rechtsanwalt oder seinen Mitarbeitern stammt. Es stützt sich insoweit darauf, dass die Seiten 2 bis 81 nicht nur – etwa hinsichtlich der Seitenzahlen – anders formatiert sind als die erste Seite des Schriftsatzes, sondern auch im Vergleich mit früheren Schriftsätzen eine andere Schriftart und Formatierung aufweisen. Außerdem folgert es aus den Unterschieden in Stil und Inhalt sowie einem Vergleich mit erstinstanzlichen, von den Beklagten stammenden Anlagen und den anwaltlichen Schriftsätzen, dass der Text von einer Person aus dem Umfeld der Beklagten verfasst worden ist. Ob es sich dabei um die Beklagte zu 1 handelt, wie das Brandenburgische Oberlandesgericht vermutet, kann dahinstehen.
Entscheidend ist infolgedessen, ob die von dem Brandenburgischen Oberlandesgericht in Bezug genommene Berufungsbegründungsschrift ihrem Inhalt nach den Schluss erlaubt, dass der Rechtsanwalt das von den Beklagten stammende Schriftstück unbesehen unterzeichnet hat.
Dies folgert das Brandenburgische Oberlandesgericht aus dem Umstand, dass der Inhalt nach Substanz und Stil nicht den vorangegangenen Schriftsätzen des Rechtsanwalts entspreche. Die Seiten 2 bis 81 der Berufungsbegründung seien geprägt durch Unübersichtlichkeit, Redundanz und schwere Verständlichkeit. Die rechtlichen Ausführungen seien zum Teil Ausdruck einer rechtlichen Unkenntnis, wie sie bei einem Rechtsanwalt im Allgemeinen und bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Besonderen nicht zu erwarten sei. Die für das Berufungsverfahren essentiellen Anträge fänden sich sowohl am Beginn als auch am Ende des Schriftsatzes, ohne dass sofort eindeutig klar werde, was eigentlich beantragt werde und in welchem Verhältnis die Anträge zu dem erstinstanzlichen Urteil stünden. Zitierungen erfolgten ohne Fundstellen („vgl. Kommentierungen zu § 138“), was – wie jeder Jurist wisse – mangels konkreter Angaben sinnlos sei.
Damit wird der in Bezug genommene Schriftsatz zutreffend beschrieben. Er besteht in weiten Teilen aus unverständlichen, wirren Ausführungen, die juristische Fachkenntnisse vermissen lassen. Dies gilt nicht nur für die Begründung, sondern auch für die Anträge, die umfangreiche Texteinschübe enthalten und sich sowohl über die Seiten 1 bis 5 als auch über die Seiten 72 bis 81 erstrecken. Die Seiten 72 bis 81 enthalten andere, aber gleichermaßen unverständliche Varianten der Anträge. Die Würdigung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, dass die Berufungsbegründung nicht das Ergebnis der geistigen Arbeit des Prozessbevollmächtigten auf der Grundlage einer eigenverantwortlichen Prüfung sein kann, ist ohne weiteres vertretbar.
Die Grenze dessen, was von den Gerichten noch hingenommen werden kann, wenn der Anwaltszwang seinen Zweck erfüllen soll, ist hier eindeutig überschritten, und zwar auch dann, wenn das nachträgliche Verhalten des Rechtsanwalts außer Betracht bleibt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Februar 2021 – V ZR 137/20
- OLG Brandenburg, Urteil vom 28.05.2020 – 5 U 59/19[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.06.2005 – V ZB 45/04, NJW 2005, 2709 mwN[↩]
- vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 23.06.2005 – V ZB 45/04, NJW 2005, 2709 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.06.2005 – V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; BGH, Urteil vom 29.10.1997 – VIII ZR 141/97, NJW-RR 1998, 574, 575[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.05.1954 – IV ZB 28/54, JR 1954, 463; Urteil vom 19.10.1988 – IVb ZR 5/88, NJW 1989, 394, 395; Beschluss vom 24.01.2008 – IX ZB 258/05, NJW 2008, 1311 Rn. 7[↩]
- so BGH, Urteil vom 13.07.1989 – VII ZR 223/88, NJW 1989, 3022, 3023; Urteil vom 29.10.1997 – VIII ZR 141/97, NJW-RR 1998, 574, 575; ähnlich Urteil vom 28.03.1969 – I ZR 100/67, VersR 1969, 617[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 19.10.1988 – IVb ZR 5/88, NJW 1989, 394, 395 unter II. 3.; Beschluss vom 21.09.2010 – VIII ZB 9/10, WuM 2010, 694 Rn. 13[↩]