Die Pflicht eines Rechtsanwalts, für eine Vertretung bei Erkrankung zu sorgen

Mit der Pflicht eines Rechtsanwalts, für eine Vertretung bei Erkrankung zu sorgen, hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof im Rahmen der Beurteilung eines Wiedereinsetzungsantrags zu befassen:

Die Pflicht eines Rechtsanwalts, für eine Vertretung bei Erkrankung zu sorgen

Aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren1.

Ein Rechtsanwalt hat im Rahmen seiner Organisationspflichten grundsätzlich auch dafür Vorkehrungen zu treffen, dass im Falle einer Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen wahrnimmt2. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war3.

Im vorliegenden Fall war der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits seit mehreren Tagen erkrankt. Er wusste also mindestens am Vortag, dass er durch seine Erkrankung gehindert sein würde, die am nächsten Tag ablaufende Frist zur Berufungsbegründung einzuhalten. Warum es ihm in dieser Zeit nicht möglich gewesen sein soll, zumindest eine Fristverlängerung zu beantragen, mit der der Gegner bereits einverstanden war, oder einen Kollegen damit zu beauftragen, trägt die Klägerin nicht vor. Insofern hilft dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Vortrag, die Erkrankung habe sich im Lauf des Tages des Fristablaufs massiv verschlimmert, nicht weiter, da er nicht erklärt, wieso er sich nicht um eine Vertretung für einen solchen Verlängerungsantrag bemüht hat.

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Die Rechtsbeschwerde führt auch erfolglos an, die Frist wäre auch dann versäumt worden, wenn mit Rechtsanwalt D. eine allgemeine Vertretungsregelung bestanden hätte, da dieser in der Woche vom 12. bis 18.10.2012 ortsabwesend gewesen sei. Die Klägerin trägt nämlich nicht vor, dass diese Ortsabwesenheit unvorhersehbar gewesen sei oder dass es ihrem Prozessbevollmächtigten nicht möglich und zumutbar gewesen sei, einen anderen Vertreter zu beauftragen; dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Erkrankung nicht plötzlich und unvorhergesehen eintrat, sondern bereits seit einigen Tagen bestand.

Das Berufungsgericht musste den Schriftsatz des gegnerischen Rechtsanwalts, mit dem dieser sein Einverständnis mit einer nochmaligen Fristverlängerung erklärte, auch nicht dahin auslegen, dass er für den Klägervertreter, seinen Gegner, Fristverlängerung beantragt. Die Frage, ob der Prozessgegner antragsberechtigt für eine Fristverlängerung zu Gunsten der Gegenpartei ist4, kann dahinstehen.

Denn jedenfalls hat der Gegner keinen Antrag auf Fristverlängerung für die Klägerin gestellt. Die Erklärung, mit der Verlängerung der Frist für den Gegner einverstanden zu sein, kann nicht als Antrag auf Fristverlängerung ausgelegt werden. Auch wenn Prozesshandlungen grundsätzlich auslegungsfähig sind, müssen Anträge eindeutig als solche formuliert sein. Die Einverständniserklärung mit einer Fristverlängerung für den Gegner gleichzeitig als Fristverlängerungsantrag auszulegen, wäre eine unzulässige Auslegung über den eindeutigen Wortlaut der Erklärung hinaus.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. März 2014 – XII ZB 736/12

  1. ständige Rechtsprechung, BGH, Beschluss vom 11.06.2008 XII ZB 184/07 FamRZ 2008, 1605 Rn. 6 mwN[]
  2. BGH Beschluss vom 05.04.2011 – VIII ZB 81/10 NJW 2011, 1601 Rn. 18[]
  3. BGH Beschlüsse vom 05.04.2011 – VIII ZB 81/10 NJW 2011, 1601 Rn. 18; vom 06.07.2009 – II ZB 1/09 NJW 2009, 3037 Rn. 10; und vom 18.09.2008 – V ZB 32/08 FamRZ 2008, 2271 Rn. 9[]
  4. vgl. Zöller/Stöber ZPO 30. Aufl. § 224 Rn. 6; Hk-ZPO/Wöstmann 4. Aufl. § 224 Rn. 5; a.A. MünchKomm-ZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 225 Rn. 1[]
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