Der in Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) – inhaltsgleich mit Art. 103 Abs.1 GG – verbriefte Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet jedem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung nicht nur zu dem ihr zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, insbesondere sachgerechte Anträge zu stellen. Daraus ergibt sich jedoch keine generelle Verpflichtung des Gerichts, vor der Entscheidung seine Rechtsauffassung kundzutun, und auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht, wie sie das einfache Recht etwa in § 139 ZPO normiert. Es kann nur dann auch verfassungsrechtlich geboten sein, einen Verfahrensbeteiligten auf rechtliche Gesichtspunkte hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter – selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen – hiermit nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte1.

Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ergibt sich darüber hinaus, dass ein Gericht sich nicht widersprüchlich verhalten darf. Auch ist es ihm verwehrt, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile abzuleiten2.
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren verletzt. Es hat ihnen keine hinreichende Gelegenheit gegeben, auf die entstandenen Zulässigkeitsbedenken so zu reagieren, dass sie rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz in der Sache erlangen können.
Das Landgericht hat es im vorliegenden Fall in einer mit Art. 15 Abs. 1 VvB sowie dem Grundsatz des fairen Verfahrens unvereinbaren Weise versäumt, die Beschwerdeführer hinreichend deutlich darauf hinzuweisen, dass es die Klage trotz der auf den in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis hin vorsorglich beantragten Klageänderung als unzulässig ansah. Aufgrund der erst kurze Zeit vor der Klageerhebung erfolgten Änderung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Prozessverlaufs vor dem Landgericht mussten die Beschwerdeführer im vorliegenden Fall auch nicht damit rechnen, dass das Landgericht ihre Klage als unzulässig abweist.
Bis zu dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 02.06.20053 galt die Wohnungseigentümergemeinschaft in der Rechtsprechung und Praxis der Zivilgerichte als nicht rechtsfähig. Gemeinschaftsbezogene Ansprüche mussten danach von allen Wohnungseigentümern – wie hier in der Klageschrift im Einklang mit der früheren Praxis geschehen – gemeinschaftlich geltend gemacht werden. Erst die durch den Bundesgerichtshof anerkannte (Teil-)Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft führte letztlich zu der Annahme der fehlenden Prozessführungsbefugnis der Beschwerdeführer als Wohnungseigentümer durch das Landgericht.
Es kann offen bleiben, ob der Beschluss des Bundesgerichtshofs den Beschwerdeführern angesichts des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs mit der Klageerhebung hätte bekannt sein können und müssen. Sie hatten im vorliegenden Fall aufgrund des Prozessverlaufs keinen Anlass, von sich aus Konsequenzen daraus zu ziehen und gegebenenfalls eine Änderung der Parteibezeichnung oder einen Parteiwechsel zu beantragen. Das Landgericht hat nämlich die Klage bis zu der mündlichen Verhandlung im Juni 2009 selbst offenbar als zulässig behandelt. Das ergibt sich zum einen aus dem Erlass eines Versäumnisurteils im September 2005 und zum anderen auch aus den mehrfachen streitigen Verhandlungen in den Jahren 2005 bis 2009 sowie aus der Einholung eines Sachverständigengutachtens im parallel anhängigen selbständigen Beweisverfahren.
Unter diesen besonderen Umständen hätte das Landgericht über den protokollierten Hinweis auf die alleinige Prozessführungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft hinaus die Beschwerdeführer unmissverständlich darauf hinweisen müssen, dass es seine Auffassung geändert hat und nunmehr die Klage für unzulässig hielt. Auch auf den Einwand der Beschwerdeführer, die Klage sei nach den vorgetragenen Umständen von Anfang an in Wahrheit von der Wohnungseigentümergemeinschaft erhoben worden, hat das Landgericht vor Erlass seines Urteils nicht deutlich gemacht, dass es nur die einzelnen Wohnungseigentümer als Kläger ansah und die Parteibezeichnung weder für offensichtlich unrichtig noch für auslegungsfähig hielt, so dass keine Rubrumsberichtigung in Frage kam. Außerdem hat das Landgericht nicht darauf hingewiesen, dass es die vorsorglich hilfsweise gestellten Anträge als Parteiwechsel versteht, welcher mangels Zustimmung des Beklagten unwirksam ist, und nicht als Parteibeitritt, der nach § 264 ZPO ohne weiteres zulässig war. Es ist mangels einer Begründung auch nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht den vorsorglich erklärten Parteiwechsel ohne Prüfung seiner Sachdienlichkeit in entsprechender Anwendung des § 263 ZPO allein wegen der fehlenden Zustimmung des Beklagten als unzulässig behandelt hat. Schließlich hat das Landgericht nicht von sich aus, wie es unter den gegebenen besonderen Umständen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens erforderlich war, auf eine sachdienliche Antragstellung hingewirkt. Damit hat es insgesamt seine Pflicht verletzt, den Beteiligten durch eine faire Verfahrensführung zum rechtlichen Gehör in der Sache zu verhelfen und den begehrten Rechtsschutz zu gewähren.
Das Kammergericht hätte angesichts dieser Grundrechtsverletzung die Berufung nicht mit der gegebenen Begründung nach § 522 Abs. 2 ZPO (in der im Ausgangsverfahren noch maßgeblichen, bis Oktober 2011 geltenden alten Fassung) zurückweisen dürfen. Der Verfassungsverstoß stellt einen gemäß § 513 Abs. 1 i. V. m. § 529 Abs. 2 ZPO mit der Berufung rügbaren Rechtsfehler dar. Die Beschwerdeführer haben entsprechende Rügen erhoben. Das Urteil des Landgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Soweit das Kammergericht gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. darauf hingewiesen hat, dass der in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erklärte Parteiwechsel auch schon deshalb unzulässig gewesen sei, weil er bedingt erklärt worden sei, lässt dies die Verletzung des rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens durch das Landgericht unberührt. In welcher Weise das Kammergericht im Einzelnen zu einer Abhilfe und Fehlerkorrektur in verfassungskonformer Handhabung des Prozessrechts hätte gelangen können und müssen, bedarf keiner Entscheidung.
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 23. Januar 2013 – VerfGH 60/10