Die Schadensersatzklage des Versicherungsnehmers – und die Aufnahme des Verfahrens durch seinen Insolvenzverwalter

Ist die mit der Klage des Versicherungsnehmers geltend gemachte Schadensersatzforderung nach Rechtshängigkeit entweder infolge einer Abtretung oder infolge einer Legalzession auf den Versicherer übergegangen und fällt der Versicherungsnehmer nach dem Forderungsübergang in Insolvenz, ist der Insolvenzverwalter befugt, den unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen und die Forderung im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Der für die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters erforderliche Massebezug ergibt sich aus der in § 86 Abs. 2 VVG dem Versicherungsnehmer auferlegten Obliegenheit, die Interessen des Versicherers zu wahren.

Die Schadensersatzklage des Versicherungsnehmers – und die Aufnahme des Verfahrens durch seinen Insolvenzverwalter

Auch wenn eine Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO unterliegt, weil sie gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen ist, ist dazu gehaltener neuer Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Zulassung setzt voraus, dass der Vortrag im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.

Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen1. Das Revisionsgericht hat selbstständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Prozessführungsbefugnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben2. Für erforderliche Ermittlungen gelten dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Grundsätze des Freibeweises3.

Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters ist gegeben. Der Insolvenzverwalter ist in zulässiger Weise in zweifacher Hinsicht in Prozessstandschaft tätig4.

Die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) war befugt, die nach der Behauptung des Insolvenzverwalters auf die Haftpflichtversicherung übergegangene Klageforderung gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO in gesetzlicher Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen.

Nach § 265 Abs. 1 ZPO schließt die Rechtshängigkeit das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten. Nach § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat die Veräußerung oder Abtretung auf den Prozess keinen Einfluss. Der ursprüngliche Forderungsinhaber verliert durch die Übertragung der Forderung die Sachbefugnis, bleibt aber prozessual befugt, auch diejenigen Ansprüche weiterhin geltend zu machen, die infolge der Abtretung dem neuen Anspruchsinhaber zustehen5. Zur Vermeidung einer Abweisung der Klage als unbegründet muss der Insolvenzverwalter seinen Antrag auf Leistung an den neuen Forderungsinhaber umstellen6. In einem solchen Fall besteht die Prozessführungsbefugnis des ursprünglichen Forderungsinhabers aufgrund einer gesetzlichen Prozessstandschaft gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO fort. Die Norm ist auch im Fall eines gesetzlichen Forderungsübergangs anzuwenden7. Beantragt der Insolvenzverwalter wie im Streitfall die Zurückweisung der Berufung des Auftragnehmerin mit der Maßgabe, dass dieser nicht – wie im erstinstanzlichen Urteil ausgesprochen – an ihn, den Insolvenzverwalter, sondern an seinen Zessionar zahlen soll, so bedarf es dazu keiner Anschlussberufung8. Diesen Grundsätzen hat der Insolvenzverwalter Rechnung getragen und die Klage im Berufungsverfahren auf Zahlung an die Haftpflichtversicherung umgestellt. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er nicht ein eigenes, sondern ein fremdes Recht geltend macht.

Den Vortrag des Insolvenzverwalters, wonach es sich bei der Haftpflichtversicherung um den Verkehrshaftungsversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) handele, auf den die Ersatzforderung übergegangen sei, hat die Auftragnehmerin im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Rechtsstreit gemäß § 138 Abs. 4 ZPO prozessual wirksam mit Nichtwissen bestritten. Dieses Bestreiten der Auftragnehmerin steht nicht im Widerspruch zu dem weiteren Vorbringen der Auftragnehmerin in der Berufungsinstanz. Die Auftragnehmerin hat im Berufungsverfahren zwar selbst auf die außergerichtliche Mitteilung der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) zum Forderungsübergang hingewiesen. Sie hat sich damit jedoch die Behauptungen der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) zur behaupteten Legalzession und zur behaupteten Abtretung nicht zu Eigen gemacht. Vielmehr hat die Auftragnehmerin lediglich gerügt, dass die Klage erstinstanzlich mangels schlüssig vorgetragener Aktivlegitimation abgewiesen worden wäre, hätte die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) ihren Vortrag zum Forderungsübergang bereits erstinstanzlich gehalten.

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Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters hängt nicht davon ab, dass er den von der Auftragnehmerin bestrittenen Anspruchsübergang auf die Haftpflichtversicherung be- weist. Vielmehr reicht hierfür im Streitfall ein schlüssiger Vortrag, den der Insolvenzverwalter gehalten hat.

Im Streitfall ist die Frage, ob die Haftpflichtversicherung entweder durch Abtretung oder durch Legalzession neue Gläubigerin des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs geworden ist, eine Tatsache, die sowohl im Rahmen der Zulässigkeit der Klage für die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters als auch für die Begründetheit der auf Zahlung an die Haftpflichtversicherung gerichteten Klage ausschlaggebende Be- deutung hat. Solche doppelt relevanten Tatsachen, die zugleich für die Zulässigkeit und die Begründetheit eines Rechtsmittels maßgeblich sind, müssen für die Zulässigkeit nicht festgestellt werden. Die Begründetheit eines Rechtsmittels und die Zulässigkeit seiner sachlichen Prüfung müssen getrennt beurteilt werden9. Für die Annahme der Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO reicht es im Bestreitensfall aus, dass er die Rechtsnachfolge schlüssig darlegt; die Wirksamkeit der Rechtsnachfolge ist im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen10.

Der Insolvenzverwalter hat seine Prozessführungsbefugnis schlüssig dargelegt. Nach der durch die Vorlage der schriftlichen Abtretungserklärung der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) vom 28.02.2018 belegten Behauptung des Insolvenzverwalters hat die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) die mit der Klage geltend gemachte Forderung nach Rechtshängigkeit an die Haftpflichtversicherung abgetreten. Außerdem soll ausweislich des Schreibens der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) an die Auftragnehmerin vom 24.01.2019 die Haftpflichtversicherung den Schaden der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) nach Rechtshängigkeit regu- liert haben, so dass ein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 86 VVG stattgefunden hätte.

Die Befugnis des Insolvenzverwalters, die nach seinem schlüssigen Vorbringen zunächst der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) zustehende und sodann auf die Haftpflichtversicherung als deren Verkehrshaftungsversicherer übergegangene Forderung gerichtlich geltend zu machen, beruht auf seiner Befugnis als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) aus § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO, den Rechtsstreit aufzunehmen.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird (§ 240 Satz 1 ZPO). Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängig sind, können in der Lage, in der sie sich befinden; vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden (§ 85 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach § 35 Abs. 1 InsO ist die Insolvenzmasse das Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt.

Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters, die Unterbrechung des Rechtsstreits wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Aufnahmebefugnis des Insolvenzverwalters setzen voraus, dass der für den Insolvenzschuldner anhängige Rechtsstreit Vermögen betrifft, das zur Insolvenzmasse gehört. Davon ist im Streitfall auszugehen, obwohl nach dem Vortrag des Insolvenzverwalters die mit der Klage geltend gemachte Forderung noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) auf die Haftpflichtversicherung übergegangen sein soll.

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Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ergibt sich der erforderliche Massebezug in einem derartigen Fall unmittelbar aus der Vorschrift des § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Das Reichsgericht ist davon ausgegangen, dass § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO die ursprüngliche Klagepartei so behandelt, als hätte ein Forderungsübergang nicht stattgefunden. Daran ändere die Eröffnung des Konkursverfahrens nichts. Wenn sich die Forderung noch im Vermögen der insolventen Partei befinde, bestehe unzweifelhaft eine Prozessführungsbefugnis des Konkursverwalters. Die Forderungsübertragung könne diese Befugnis nicht aufheben, weil sie gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf die prozessuale Lage des Rechtsstreits keinen Einfluss habe11.

Der Bundesgerichtshof hat die Frage bislang offengelassen, ob dies in jedem Fall der Abtretung einer konkurs- beziehungsweise insolvenzbefangenen Forderung gilt oder ob als weitere Voraussetzung hinzukommen muss, dass nach der materiellen Rechtslage durch den Streit um die abgetretene Forderung die Konkurs- beziehungsweise Insolvenzmasse betroffen wird12.

Allgemein bejaht wird eine hinreichende Betroffenheit der Masse, wenn der Insolvenzschuldner eine Forderung nur erfüllungshalber13 oder als Sicherheit14 abgetreten hat. Gleiches gilt, wenn der Zedent im Fall des Prozessverlusts Regressansprüche als Insolvenzforderung anmelden kann15 oder wenn im Hinblick auf den Forderungsübergang insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände in Betracht kommen16.

Die Frage, ob sich der für die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters erforderliche Massebezug einer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf einen Dritten übergegangenen Forderung des Insolvenzschuldners bereits allein aus der Vorschrift des § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt, kann auch im Streitfall offenbleiben. Im Hinblick auf die Klageforderung besteht ein hinreichender Massebezug, der eine Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters begründet.

Zwar kann wegen der vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Umstellung des Klageantrags auf Zahlung an die Haftpflichtversicherung eine unmittelbare Mehrung der Masse durch die Klageforderung nicht mehr erwartet werden. Ob der Kostenerstattungsanspruch im Fall des Erfolgs der Klage einen hinreichenden Massebezug herstellen kann, ist fraglich17. Dies braucht jedoch nicht vertieft zu werden.

Von einer hinreichenden Betroffenheit der Masse ist jedenfalls deshalb auszugehen, weil im Streitfall die Klageforderung nach dem Vortrag des Insolvenzverwalters auf den Verkehrshaftungsversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) – entweder im Wege der Abtretung oder im Wege der Legalzession gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG – übergegangen ist. Der Massebezug ergibt sich aus § 86 Abs. 2 VVG. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG hat der Versicherungsnehmer seinen Ersatzanspruch gegen einen Dritten oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren und bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit vorsätzlich, ist der Versicherer gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 VVG zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als er infolgedessen keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer nach § 86 Abs. 2 Satz 3 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer.

Die in § 86 Abs. 2 VVG dem Versicherungsnehmer auferlegte Interessenwahrungsobliegenheit geht über das in § 67 Abs. 1 Satz 3 VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung geregelte sogenannte Aufgabeverbot hinaus. Zum einen kommt nun auch im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck, dass im Zeitraum vor dem Anspruchsübergang der Versicherungsnehmer nicht nur den Anspruch nicht aufgeben darf, sondern dass auch jede andere Beeinträchtigung zu unterbleiben hat. Zum anderen hält die Neuregelung den Versicherungsnehmer zur aktiven Unterstützung des Versicherers an18. Zu der den Versicherungsnehmer gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG treffenden Pflicht zur Anspruchswahrung kann auch eine aktive Rechtsdurchsetzung gehören19. Hat wie im Streitfall der Versicherungsnehmer den Anspruch gegen den ersatzpflichtigen Dritten rechtshängig gemacht und leistet der Versicherer während des laufenden Rechtsstreits, hat der Versicherungsnehmer in Erfüllung seiner Anspruchswahrungsobliegenheit den Rechtsstreit gegen den ersatzpflichtigen Dritten gemäß § 265 Abs. 2 ZPO fortzusetzen und den Ersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Dritten zugunsten des Versicherers durchzusetzen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall ein der Klage des Versicherungsnehmers stattgebendes erstinstanzliches Urteil vorliegt.

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Es liegt im Interesse der Insolvenzmasse, diese Obliegenheiten zu erfüllen, weil der Versicherer bei deren Nichterfüllung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 und 3 VVG zur vollständigen oder teilweisen Kürzung der Versicherungsleistung berechtigt ist. In diesem Fall würde der Rechtsgrund der nach dem Vortrag des Insolvenzverwalters bereits geleisteten Versicherungszahlung entfallen, so dass die Versicherungsleistung vom Versicherer kondiziert werden könnte. Der Kondiktionsanspruch würde sich gegen die Versicherungsnehmerin richten, unabhängig davon, ob die Zahlung der Haftpflichtversicherung an die Versicherungsnehmerin oder direkt an die geschädigte L. erfolgt wäre20, vorausgesetzt, die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) wäre der L. zum Schadensersatz verpflichtet gewesen21. Die Masse wäre damit sowohl im Falle einer Leistung der Haftpflichtversicherung an die ur- sprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) als auch im Falle einer Leistung an die L. mit einer zusätzlichen Insolvenzforderung belastet. Maßgeblich ist hierbei die typische Interessenlage. Von einer Betroffenheit der Masse ist schon dann auszugehen, wenn Vermögensnachteile der Masse aus Rechtsgründen möglich sind, ohne dass ein tatsächlicher Nachteil der Masse bereits feststehen muss22.

Im vorliegenden Fall sah der Bundesgerichtshof die Zahlungsklage allerdings wie zuvor bereits das Oberlandesgericht Oldenburg23 als unbegründet an: 

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat angenommen, durch das erstinstanzliche Urteil sei unbestritten ein falscher Vollstreckungstitel geschaffen worden. Die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) habe es schuldhaft versäumt, hinreichend umfassend wahrheitsgemäß vorzutragen. Ein solcher wahrheitsgemäßer Vortrag hätte zwingend die nach ihrer Behauptung bereits am 28.02.2018 – nach Rechtshängigkeit der Klage, aber vor der letzten mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug – vorgenommene Abtretung der Schadensersatzforderung an ihren Haftpflichtversicherer umfasst.

Die Behauptungen des Insolvenzverwalters zur Regulierung und zur Abtretung der Schadensersatzforderung sowie dazu, die Haftpflichtversicherung sei der Verkehrshaftpflicht- versicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin), habe die Auftragnehmerin zulässig mit Nichtwissen bestritten. Es sei nicht widersprüchlich, dass die Auftragnehmerin die ihr außergerichtlich übermittelte Abtretungserklärung vorlege und zugleich deren Wirksamkeit bestreite. Die bestrittenen Behauptungen des Insolvenzverwalters seien gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Es handele sich bei den Behauptungen nicht um Verteidigungsmittel der Auftragnehmerin, sondern um Angriffsmittel des Insolvenzverwalters. Der Vortrag, man habe eine gerichtlich verfolgte Forderung während des laufenden Verfahrens an einen Dritten abgetreten, gehöre zum unerlässlichen wahrheitsgemäßen Parteivortrag der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin). Etwaige Versäumnisse habe sich der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger zurechnen zu lassen.

Das Bestreiten der aufgezeigten Behauptungen des Insolvenzverwalters zum Forderungsübergang sei nicht im Hinblick auf § 265 ZPO unerheblich. Die Umstellung der Klage in der vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Weise sei prozessual rechtlich zulässig. Ob aber tatsächlich ein Forderungsübergang gerade auf die Haftpflichtversicherung – und beispielsweise nicht auf einen anderen Versicherer oder Rückversicherer – stattgefunden habe, sei nach materiellem Recht zu beurteilen. Für die Auftragnehmerinseite sei es von Bedeutung, dass sie an den richtigen Abtretungsempfänger leiste. Anderenfalls müsse sie ihre doppelte Inanspruchnahme befürchten.

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Der Insolvenzverwalter habe nicht dargelegt, dass der neue Tatsachenvortrag zum Verkehrshaftpflichtversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin), zur Regulierung des Schadens und zur Abtretung der streitgegenständlichen Schadensersatzforderung im ersten Rechtszug nicht gehalten worden sei, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruhe.

Der Hinweis des Insolvenzverwalters, eine Klageabweisung widerspreche dem von den gesetzlichen Vorschriften verfolgten Zweck der Prozessökonomie, gebe keine Veranlassung, den neuen Prozessvortrag zuzulassen. Das Spannungsverhältnis zwischen den prozessualen Wahrheitspflichten und der Prozessökonomie sei zu Gunsten der Wahrheitspflichten gesetzlich entschieden.

Diese Ausführungen des Oberlandesgerichts Oldenburg hielten der rechtlichen Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof stand:

Das Oberlandesgericht Oldenburg ist mit Recht davon ausgegangen, dass die vom Insolvenzverwalter vorgenommene Änderung des Klageantrags dahingehend, dass die Auftragnehmerin zur Zahlung an die Haftpflichtversicherung verurteilt werden solle, zulässig ist.

Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass Änderung und Erweiterung einer Klage selbstständige prozessuale Angriffe darstellen, die von den Angriffsmitteln im Sinne von §§ 296, 530, 531 ZPO zu unterscheiden sind und deshalb nicht den in diesen Bestimmungen genannten Voraussetzungen über die Zurückweisung oder Zulassung verspäteter Angriffsmittel unterliegen24. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klageänderung oder Klageerweiterung richten sich stattdessen nach den §§ 263, 264, 533 ZPO25.

Handelt es sich um eine Antragsanpassung, die, wie die Umstellung des Klageantrags auf Leistung an den Abtretungsempfänger, den Bestimmungen des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO unterfällt, ist sie schon kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht als eine Klageänderung anzusehen. Auf eine solche Modifizierung des Klageantrags finden daher diejenigen Vorschriften, die die Zulässigkeit einer Klageänderung regeln, keine Anwendung. Dies gilt nicht nur für § 263 ZPO, sondern ebenso für § 533 ZPO, weil § 264 ZPO gemäß § 525 Satz 1 ZPO auch auf das Berufungsverfahren anzuwenden ist26.

Danach ist die vom Insolvenzverwalter in der Berufungsinstanz vorgenommene Umstellung des Klageantrags auf Leistung an die Haftpflichtversicherung unabhängig von den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig. Die Zulässigkeit der Änderung des Klageantrags hängt demnach weder davon ab, dass der Gegner einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich hält, noch setzt sie voraus, dass sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Oberlandesgericht Oldenburg bei seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

Das Oberlandesgericht Oldenburg ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage mit ihrem zulässigerweise in der Berufungsinstanz geänderten Klageantrag abzuweisen ist.

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen den Ausgangspunkt der Beurteilung des Oberlandesgerichts Oldenburg, wonach der Insolvenzverwalter für den von ihm behaupteten Forderungsübergang von der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) auf die Haftpflichtversicherung und für seine Behauptung, dass die Haftpflichtversicherung Verkehrshaftpflichtversicherer der ur- sprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) sei, darlegungs- und beweispflichtig ist.

Im Zivilrecht ist als Beweislastprinzip der Grundsatz anerkannt, dass jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen hat. Den Anspruchsteller trifft die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, der Gegner muss den Beweis für rechtshemmende, rechtshindernde oder rechtsvernichtende Tatsachen erbringen27. Danach muss derjenige, der eine Forderung geltend macht, die er durch Abtretung erworben hat, den Abschluss eines entsprechenden Abtretungsvertrags beweisen28. Macht der Gegner die Unwirksamkeit der Abtretung aufgrund rechtshindernder Einwendungen geltend, muss der Gegner die erforderlichen Tatsachen beweisen29.

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Im Streitfall, in dem der Insolvenzverwalter eine auf einen Dritten – die Haftpflichtversicherung – übergegangene Forderung einklagt, trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für den Abschluss des Abtretungsvertrags, weil es sich dabei um eine anspruchsbegründende Tatsache für eine Klage auf Leistung an einen Dritten handelt. Gleiches gilt für die Voraussetzungen der vom Insolvenzverwalter alternativ geltend gemachten Legalzession auf die Haftpflichtversicherung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG.

Insoweit wird ohne Erfolg geltend gemacht, das Oberlandesgericht Oldenburg habe den im Berufungsverfahren gehaltenen Vortrag des Insolvenzverwalters zum Übergang des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs auf die Haftpflichtversicherung und zu deren Eigenschaft als Haftpflichtversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen.

Unterliegt eine Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO, ist das Oberlandesgericht Oldenburg nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO an die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Feststellungen gebunden, sondern darf auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag zurückgreifen30. Neuer Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz ist jedoch, auch soweit er zur Begründung einer unter § 264 Nr. 2 und 3 ZPO fallenden Änderung des Klageantrags dient, nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen31. In diesem Zusammenhang ist gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu prüfen, ob neuer Vortrag der Partei im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit beruht32.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Oberlandesgericht Oldenburg mit Recht geprüft, ob die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) im Hinblick darauf der Vorwurf der Nachlässigkeit trifft, dass sie zum erst vom Insolvenzverwalter zweitinstanzlich behaupteten Übergang der Klageforderung auf die Haftpflichtversicherung erstinstanzlich nichts vorgetragen hat. Dies hat das Oberlandesgericht Oldenburg ohne Rechtsfehler bejaht. Der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) waren sowohl ihre kurz nach Rechtshängigkeit der Klage erklärte Abtretung als auch die Regulierung ihres Schadens durch die Haftpflichtversicherung bekannt. Die Bedeutung dieser Umstände für den Ausgang des Rechtsstreits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht waren ihr ebenfalls bekannt oder hätten ihr bekannt sein müssen.

Nach den vom Oberlandesgericht Oldenburg rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Haftpflichtversicherung Inha- berin der mit der Klage geltend gemachten Forderung geworden ist.

Aus diesem Grund war das Oberlandesgericht Oldenburg entgegen der Ansicht der Revision auch nicht gehalten, eine der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) erteilte Inkassovollmacht der Haftpflichtversicherung in Betracht zu ziehen. Auch eine Inkassovollmacht hätte vorausgesetzt, dass die Haftpflichtversicherung Anspruchsinhaberin geworden ist. Dies hat das Oberlandesgericht Oldenburg jedoch nicht feststellen können, weil es das entsprechende zweitinstanzliche Vorbringen des Insolvenzverwalters ohne Rechtsfehler als präkludiert angesehen hat.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 135/21

  1. st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 06.06.2019 – I ZR 67/18, GRUR 2019, 970 12] = WRP 2019, 1304 – Erfolgshonorar für Versicherungsberater, mwN[]
  2. BGH, Urteil vom 11.08.2010 – XII ZR 181/08, BGHZ 187, 10 7] mwN[]
  3. BGHZ 187, 10 7] mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1986 – VIII ZR 64/85, NJW 1986, 3206 16]; Beschluss vom 02.02.2017 – I ZR 146/16, ZinsO 2017, 596 8][]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2013 – X ZR 69/11, BGHZ 197, 196 49][]
  6. BGH, NJW 1986, 3206 15]; BGH, Urteil vom 09.02.1990 – V ZR 149/88, NJW 1990, 2755 9]; Urteil vom 29.08.2012 – XII ZR 154/09, NJW 2012, 3642 8]; BGHZ 197, 196 50][]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2011 – XII ZR 127/09, NJW 2011, 2884 12][]
  8. BGH, Urteil vom 24.11.1977 – VII ZR 160/76, MDR 1978, 398 15][]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2001 – XII ZB 161/98, NJW 2001, 3337 17][]
  10. Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 265 Rn. 60[]
  11. RG, Urteil vom 04.06.1907 – VII 379/06, RGZ 66, 181, 182 f.[]
  12. BGH, Urteil vom 30.09.1968 – VII ZR 93/67, BGHZ 50, 397 11 f.]; Urteil vom 12.03.1986 – VIII ZR 64/85, NJW 1986, 3206 19]; Urteil vom 11.02.2010 – VII ZR 225/07, ZIP 2010, 646 8][]
  13. BGHZ 50, 397 12]; OLG Koblenz, ZIP 1995, 1033 21][]
  14. BGH, NJW 1986, 3206 16]; BGH, Urteil vom 05.10.2010 – VI ZR 257/08, NJW 2010, 3779 9]; OLG München, MDR 2000, 602[]
  15. OLG Koblenz, ZIP 1995, 1033 21][]
  16. BGH, ZIP 2010, 646 8]; OLG Rostock, ZIP 2004, 1523 25 bis 29][]
  17. ablehnend Damerius, Das Schicksal schwebender Verfahren des Insolvenzschuldners, 2007, S. 72; Gerken in Wieczorek/Schütze aaO § 240 Rn. 5; unter zusätzlicher Berücksichtigung einer endenden Verbandsklagebefugnis vgl. KG, WRP 1990, 833 6][]
  18. Voit in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl.2009, § 86 Rn. 143[]
  19. Voit in Bruck/Möller aaO § 86 Rn. 151; Armbrüster in Pröls/Martin, VVG, 31. Aufl., § 86 Rn. 74; MünchKomm-.VVG/Segger, 3. Aufl., § 86 Rn. 302[]
  20. vgl. BGH, Urteil vom 08.10.1969 – IV ZR 633/68, NJW 1970, 134 16 f.][]
  21. vgl. BGH, Urteil vom 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113, 62 22 f.][]
  22. vgl. Gerken in Wieczorek/Schütze aaO § 240 Rn. 6; für den Fall der möglichen Anfechtbarkeit vgl. OLG Rostock, ZIP 2004, 1523 27 f.][]
  23. OLG Oldenburg, Urteil vom 11.08.2021 – 4 U 3719[]
  24. BGH, Urteil vom 23.04.1986 – VIII ZR 93/85, NJW 1986, 2257 23]; Urteil vom 15.01.2001 – II ZR 48/99, NJW 2001, 1210 15]; Beschluss vom 20.09.2016 – VIII ZR 247/15, NJW 2017, 491 18]; Urteil vom 21.03.2018 – VIII ZR 68/17, BGHZ 218, 139 67][]
  25. BGH, NJW 2017, 491 18][]
  26. BGH, Urteil vom 19.03.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295 25]; vgl. auch BGH, Urteil vom 15.12.2016 – I ZR 63/15, BGHZ 213, 179 17][]
  27. BGH, Urteil vom 14.01.1991 – II ZR 190/89, BGHZ 113, 222 16] mwN[]
  28. BGH, Urteil vom 13.01.1983 – III ZR 88/81, NJW 1983, 2018 21][]
  29. BGH, NJW 1983, 2018 23][]
  30. BGHZ 158, 295 32]; BGH, Urteil vom 08.12.2005 – VII ZR 191/04, NJW-RR 2006, 390 19][]
  31. BGH, NJW-RR 2006, 390 19]; BGH, Urteil vom 14.05.2009 – I ZR 98/06, BGHZ 181, 98 18] – Tripp-Trapp-Stuhl[]
  32. BGH, NJW-RR 2006, 390 19][]
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