Der Anspruch auf Beseitigung überragender Zweige gegen den Nachbarn gem. § 1004 BGB unterliegt im Gegensatz zum Selbsthilferecht des § 910 BGB der regelmäßigen Verjährung der §§ 195, 199 BGB. Die Regelung in § 26 Abs. 3 NRG BW, nach der u.a. „der Anspruch […] auf Beseitigung herüberragender Zweige […] der Verjährung nicht unterworfen [ist]“, führt zu keinem anderen Ergebnis. § 23 NRG BW modifiziert – entsprechend der Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers aufgrund von Art. 122 EGBGB – entgegen seinem verunglückten Wortlaut keinen Beseitigungsanspruch, sondern beschränkt nur das Selbsthilferecht gem. § 910 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt der Beseitigungsanspruch gem. § 1004 BGB der regelmäßigen Verjährung der §§ 195, 199 BGB. § 902 Abs. 1 Satz BGB findet insoweit keine Anwendung [1].
Die Verjährung beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt. Geht es um die Beseitigung von Ästen, so kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Zeitpunkt der Anpflanzung des Baumes an, sondern auf den Zeitpunkt, in dem die konkrete Beeinträchtigung des Grundstücks durch das Wachstum der Äste einsetzt [2]. Zu welchem Zeitpunkt dies vorliegend der Fall war, bedarf keiner genauen Festlegung. Denn angesichts des Überwuchses von nahezu 5 m im Fall der Kiefer und von 3, 70 m im Fall des Walnussbaumes und der Tatsache, dass beide Bäume angesichts ihres Alters nur noch langsam wachsen, besteht eine etwaige Beeinträchtigung jedenfalls wesentlich länger als seit 2009.
Die Regelung in § 26 Abs. 3 NRG BW, nach der u.a. „der Anspruch […] auf Beseitigung herüberragender Zweige […] der Verjährung nicht unterworfen [ist]“, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn diese Vorschrift normiert nicht die Unverjährbarkeit des bundesgesetzlich in § 1004 BGB geregelten Beseitigungsanspruchs [3]. Vielmehr ist § 26 Abs. 3 NRG im Zusammenhang mit § 26 Abs. 1 NRG zu sehen, der ausdrücklich bestimmt, dass eine Verjährungsregelung nur für „Beseitigungsansprüche nach diesem Gesetz“ getroffen werden sollen. Nur eine Auslegung dahingehend, dass § 26 NRG BW ausschließlich die Verjährung landesrechtlich begründeter Ansprüche regelt, erscheint auch mit der an den Landesgesetzgeber gerichteten Kompetenznorm des Art. 124 EGBGB vereinbar. Denn Art. 124 Satz 1 EGBGB ermächtigt den Landesgesetzgeber nur dazu, das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen. Landesgesetzlich können daher – vorbehaltlich weiterer Regelungen im EGBGB, wie z.B. in Art. 122 EGBGB – nur weitere Eigentumsbeschränkungen für Sachverhalte, die nicht im BGB geregelt sind, eingeführt werden, nicht dagegen Änderungen bundesgesetzlich bereits geregelter Eigentumsbeschränkungen [4].
Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat sich daher erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen. Dies gilt auch im Hinblick auf den Walnussbaum. Zwar wird teilweise die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem Walnussbaum um einen Obstbaum im Sinne des NRG BW handelt [5], für den § 23 NRG BW nach seinem Wortlaut einen modifizierten Beseitigungsanspruch regelt. Auch die Regelung in § 23 NRG BW führt jedoch nicht zur Anwendung von § 26 Abs. 3 NRG BW. Denn § 23 NRG BW modifiziert – entsprechend der Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers aufgrund von Art. 122 EGBGB – entgegen seinem verunglückten Wortlaut (hierzu ausführlich Dehner, Nachbarrecht, B § 21 III) keinen Beseitigungsanspruch, sondern beschränkt nur das Selbsthilferecht gem. § 910 BGB. Dafür spricht nicht nur die Formulierung in § 23 Abs. 1 Satz 1 NRG BW („Abweichend von § 910 Abs. 1 BGB“), sondern vor allem auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift [6]. Im Übrigen wäre es mit dem Sinn und Zweck der Obstbäume privilegierenden Regelung in § 23 NRG BW unvereinbar, durch ebendiese Regelung ein Abwehrrecht gegenüber privilegierten Obstbäumen durch Abschaffung der Verjährung zu erweitern.
Ein (unverjährter) Anspruch auf Beseitigung der auf das Grundstück der Kläger überragenden Äste und Zweige ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in Verbindung mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Umständen eine Verpflichtung des Eigentümers ergeben, Bäume auf Verlangen des Nachbarn zurückzuschneiden [7]. Allerdings kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung neben den ins Einzelne gehenden Sonderregelungen der §§ 905 ff., 1004 BGB eine allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nur dann zum Tragen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint [8]. Daran fehlt es hier. Denn auch wenn der Beseitigungsanspruch der Kläger gem. § 1004 Abs. 1 BGB gem. §§ 195, 199 BGB verjährt ist, sind die Kläger nicht rechtlos gestellt. Denn durch die Verjährung des Beseitigungsanspruchs entsteht nicht etwa ein Recht der Beklagten, Äste und Zweige in beliebiger Art und Weise auf das Grundstück der Kläger hinüberragen zu lassen. Vielmehr sind die Kläger weiterhin berechtigt, von ihrem Selbsthilferecht gem. § 910 BGB Gebrauch zu machen und die überragenden Zweige und Äste selbst zu beseitigen [9]. Denn da es sich bei dem in § 910 BGB geregelten Selbsthilferecht nicht um einen Anspruch im Sinne von § 194 BGB handelt, kann sich die Beklagte insoweit nicht erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen [10].
Die Klage ist mit dem Hilfsantrag begründet, soweit Duldung des Abschneidens der überragenden Äste und Zweige der im Bereich der Grundstücksgrenze stehenden Kiefer und des Walnussbaums begehrt wird. Den Klägern steht gem. § 910 Abs. 1 BGB das Recht zu, die von diesen Bäumen auf ihr Grundstück herüberragenden Zweige selbst zu beseitigen; damit korrespondiert eine entsprechende Duldungspflicht der Beklagten [11].
Einen Ausschluss des Selbsthilferechts gem. § 910 Abs. 2 BGB wegen fehlender Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks durch die überhängenden Äste und Zweige hat die Beklagte nicht nachgewiesen. Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass das Landgericht sich im Rahmen des Ortstermins selbst davon überzeugen konnte, dass sowohl die Lichtreduktion durch die die Grundstücksgrenze überragenden Äste und Zweige [12] als auch die Mehrbelastung durch herabfallende Nadeln bzw. Äste erheblich ist. Damit hat die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis der fehlenden Beeinträchtigung nicht geführt, ohne dass die Kläger – wie die Berufung geltend macht – den Umfang der Mehrbelastung genau quantifizieren müssten.
Die Beklagte kann auch nicht erfolgreich geltend machen, die Kläger müssten die Beeinträchtigung ihres Grundstücks gem. § 906 Abs. 1 BGB dulden. Denn im Hinblick auf die die Grundstücksgrenze überragenden Äste und Zweige müssen die Kläger – wie sich aus § 910 Abs. 2 BGB ergibt – gerade keine (bzw. nach teilweiser Auffassung nur eine ganz unwesentliche [13]) Beeinträchtigung dulden. Eine solche liegt hier – wie auch der Augenschein durch das Landgericht eindrucksvoll bewiesen hat – eindeutig nicht vor.
Dass der Walnussbaum, jedenfalls wenn man ihn als Obstbaum ansieht, gem. § 23 NRG BW privilegiert ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Selbsthilferecht ist insoweit wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 NRG BW nicht nach § 23 Abs. 1 NRG BW beschränkt.
Die Beklagte kann sich gegenüber dem Selbsthilferecht der Kläger auch nicht erfolgreich damit verteidigen, ein Rückschnitt der Bäume stehe einer – wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr durchsetzbaren – Beseitigung gleich und könne daher gem. § 242 BGB nicht verlangt werden. Es kann dahinstehen, ob ein Absterben der Bäume der Ausübung des Selbsthilferechts der Kläger entgegen stehen könnte [14].
Ein Absterben der Bäume durch einen Rückschnitt bis zur Grenze ist nicht nachgewiesen. Weitergehende Einschränkungen des Selbsthilferechts, etwa durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen des Naturschutzrechts wie z.B. Baumschutzsatzungen, sind weder dargelegt noch ersichtlich. Die Vorschrift des § 39 BNatSchG verbietet lediglich zeitlich einen Rückschnitt für den Zeitraum vom 01.03.bis zum 30. September, was die Kläger jedoch im Rahmen ihrer Antragstellung berücksichtigt haben.
Das Selbsthilferecht der Kläger gem. § 910 BGB ist auch nicht verwirkt. Allein die Tatsache, dass die Beklagte aufgrund der Untätigkeit der Kläger bzw. der Voreigentümerin davon ausging, das Selbsthilferecht werde nicht geltend gemacht, reicht nicht aus, solange zur bloßen Untätigkeit nicht weitere Umstände hinzutreten [15].
Landgericht Freiburg, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 S 143/14
- BGH NJW 2011, 1068; dort auch zur Kritik in Rechtsprechung und Literatur an dieser Auffassung; vgl. auch BGHZ 60, 235; NJW 1990, 2555[↩]
- BGH LM BGB § 156 zu § 1004 BGB; OLG Karlsruhe, Justiz 2010, 69; Palandt/Bassenge, a.a.O., § 1004 Rn. 45[↩]
- vgl. BGH NJW-RR 2010, 807; Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., Einl. Rn. 41 und § 26 Rn. 14[↩]
- so jedenfalls die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, z.B. BGHZ 29, 376; OLG Karlsruhe, Justiz 2010, 69; Staudinger/Albrecht, BGB, Neubearb.2012, Art. 124 Rn. 8 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte von Art. 124 EGBGB; Münchener Kommentar zum BGB/Säcker, 5. Aufl. Art. 124 EGBGB Rn. 1; Palandt/Bassenge, a.a.O., Art. 124 EGBGB Rn. 1[↩]
- Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 16 Rn. 25; Staudinger/Mayer, BGB, a.a.O., Art. 122 EGBGB Rn. 5, mit Nachweisen für die Gegenauffassung[↩]
- vgl. Staudinger/Mayer, a.a.O., EGBGB Art. 122 Rn. 6 unter Hinweis auf Prot III 143 ff.; IV 429; ebenso Münchener Kommentar zum BGB/Säcker, a.a.O., Art. 122 EGBG Rn. 1, Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 5. Aufl., § 23 Rn. Einl. zu § 910 BGB[↩]
- vgl. BGH NJW 2004, 1037, dort diskutiert für den Fall eines gem. § 54 Abs. 2 NdsNachbG nach Fristablauf ausgeschlossenen Rückschnittsrechts[↩]
- BGH NJW 2004, 1037; NJW-RR 2003, 1313[↩]
- BGH NJW 2011, 1068, s. dazu unten unter II B 2.[↩]
- allgem. Meinung, vgl. nur Palandt/Bassenge, a.a.O., § 910 Rn. 1[↩]
- Fritzsche in Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand 01.01.2014, § 910 Rn. 11[↩]
- vgl. zum Erfordernis der Beeinträchtigung gerade durch den Überhang OLG Karlsruhe MDR 2014, 893[↩]
- vgl. hierzu Palandt/Bassenge, a.a.O., § 910 BGB Rn. 3 m.w.N.[↩]
- vgl. zu dieser streitigen Frage Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl., Rn. 395; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 11.01.2007 – 8 U 77/06, OLG Köln, Urteil vom 12.07.2011 – 4 U 18/10, OLG Stuttgart, Urteil vom 14.11.2006 – 12 U 97/06[↩]
- OLG Hamm MDR 2005, 804; OLG Köln NJW 1995, 3321, Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 242 Rn. 87 m.w.N.[↩]
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