Unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV steht dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zu1.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt eine Autokäuferin den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch. Sie erwarb im Oktober 2016 von einem Autohaus zu einem Kaufpreis von 44.900 € ein gebrauchtes, von der Fahrzeugherstellerin hergestelltes Fahrzeug. Das Fahrzeug, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 und einem SCR-Katalysator ausgestattet ist, unterliegt einem noch nicht bestandskräftigen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge2 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Autokäuferin macht geltend, der Motor in ihrem Fahrzeug sei mit zwei unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen, nämlich einem die Abgasrückführung steuernden Thermofenster sowie einer Abschalteinrichtung, die sich aus der Wirkungsweise des SCR-Katalysators ergebe. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Halle hat die Klage abgewiesen3, das Oberlandesgericht Naumburg die Berufung der KLägerin zurückgewiesen4. Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Autokäuferin hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Naumburg zurückverwiesen:
Das Oberlandesgericht Naumburg hat angenommen, die Autokäuferin habe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Rückzahlung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises.
- Ein Anspruch ergebe sich nicht aus § 826 BGB. Dabei könne dahinstehen, ob sich in dem Fahrzeug der Autokäuferin eine im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung befinde beziehungsweise ob der Vortrag der Autokäuferin diesbezüglich als hinreichend substantiiert anzusehen sei. Denn der Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 durch den Einbau eines Thermofensters allein sei nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten mit Schädigungsvorsatz auszugehen. Zu einem Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten müsse eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die hier nicht feststellbar sei. Zwar mache die Autokäuferin geltend, die Fahrzeugherstellerin sei im Typgenehmigungsverfahren nicht ihren Pflichten zur Angabe von Details der Motorsteuerung, etwa zum Funktionieren der Abgasrückführung insbesondere bei niedrigen Temperaturen, nachgekommen. Der Bundesgerichtshof teile allerdings nicht die Ansicht der Autokäuferin, dass dies einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Vorsätzlichkeit und Sittenwidrigkeit des Handelns der Fahrzeugherstellerin biete. Ob Behörden und Kunden tatsächlich getäuscht worden seien, müsse mit Blick auf die vertretbare Auslegung des Gesetzes im Sinne der Zulässigkeit eines Thermofensters bezweifelt werden.
- Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Denn bei diesen Normen handele es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
Diese Erwägungen des Oberlandesgerichts Naumburg hielten der revisionsrechtlichen Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht in jeder Hinsicht stand. Seine Beurteilung, die Autokäuferin habe gegen die Fahrzeugherstellerin keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB, ist zwar revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Anspruch der Autokäuferin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann jedoch mit der Begründung des Oberlandesgerichts Naumburg nicht verneint werden:
Die Fahrzeugherstellerin haftet der Autokäuferin nicht aus §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz, weil die Fahrzeugherstellerin das Fahrzeug der Autokäuferin – was das Oberlandesgericht Naumburg unterstellt hat – mit einer temperaturbeeinflussten Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die rechtliche Würdigung des Oberlandesgerichts Naumburg, dass insoweit nicht von einem sittenwidrigen Verhalten der Fahrzeugherstellerin ausgegangen werden könne.
Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt5. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht allein der Umstand, dass die Abgasrückführung durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, nicht aus, um dem Verhalten der für die Fahrzeugherstellerin handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Autokäuferin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass ein derartiges Thermofenster objektiv als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Wie das Oberlandesgericht Naumburg zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende – revisionsrechtlich zu unterstellende – Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Fahrzeugherstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Dies gilt auch dann, wenn die Fahrzeugherstellerin mit der Entwicklung und dem Einsatz des Thermofensters eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinnen erstrebt hat. Bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die für die Fahrzeugherstellerin handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters das Bewusstsein hatten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen6.
Das Oberlandesgericht Naumburg hat ein solches Vorstellungsbild und Verhalten dieser Personen nicht festgestellt. Hieran ist der Bundesgerichtshof gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden.
Ohne Erfolg wendet die Autokäuferin ein, die Auffassung des Oberlandesgerichts Naumburg, der Sachvortrag der Autokäuferin zu bewusst unzutreffenden und unvollständigen Angaben der Fahrzeugherstellerin im Typgenehmigungsverfahren sei unerheblich, weil er keinen gewichtigen Anhaltspunkt für die Sittenwidrigkeit des Handelns der Fahrzeugherstellerin biete, widerspreche der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs7, wonach sich die Verwerflichkeit des Handelns der Fahrzeugherstellerin auch aus einer bewussten Täuschung im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens ergeben könne. Das Oberlandesgericht Naumburg hat aufgrund bestehender Zweifel gerade nicht festgestellt, dass die Fahrzeugherstellerin das Kraftfahrt-Bundesamt im Typgenehmigungsverfahren bewusst über die Funktionsweise der Motorsteuerung getäuscht hat. Es hat für seine Entscheidung darauf abgestellt, dass allein eine etwaig pflichtwidrig unterbliebene Offenlegung von Details der Motorsteuerung hinsichtlich der Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen keinen gewichtigen Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Verhalten der Fahrzeugherstellerin darstelle. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung8.
Soweit die Revision geltend macht, zu der Frage, ob im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens eine bewusste Täuschung vorgenommen worden sei, seien eine umfassende Aufklärung und tatrichterliche Feststellungen erforderlich gewesen, hat sie keine ordnungsgemäße Verfahrensrüge erhoben. Sie legt nicht dar, dass das Oberlandesgericht Naumburg relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte der darlegungs- und beweisbelasteten Autokäuferin9 übergangen hätte.
Weitere Abschalteinrichtungen im Fahrzeug der Autokäuferin hat das Oberlandesgericht Naumburg nicht festgestellt. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die insoweit von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Oberlandesgericht Naumburg habe Sachvortrag der Autokäuferin zu einer zweiten Abschalteinrichtung übergangen, ist bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt.
Die ordnungsgemäße Begründung einer Verfahrensrüge erfordert, dass die Tatsachen, die den Mangel ergeben, konkret bezeichnet und dessen Auswirkungen auf die Entscheidung aufgezeigt werden. Geht die Rüge dahin, dass ein Tatsachenvortrag nicht berücksichtigt wurde, muss dieser unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Tatsacheninstanzen genau bezeichnet werden10. Darüber hinaus muss sich aus dem Vorbringen des Revisionsführers ergeben, dass es sich um prozessual berücksichtigungsfähiges Vorbringen, insbesondere um Tatsachenbehauptungen von ausreichender Substanz handelt11.
Daran fehlt es. Aus dem Revisionsvorbringen ergibt sich schon nicht, dass der als übergangen gerügte Vortrag in den Vorinstanzen Tatsachenbehauptungen von ausreichender Substanz zu einer (zweiten) unzulässigen Abschalteinrichtung enthalten hat. Die Revision macht unter Bezugnahme auf die Berufungsbegründung nur geltend, die Autokäuferin habe zu einer zweiten Abschalteinrichtung vorgetragen, die „sich aus der Wirkungsweise des SCR-Katalysators ergab“. Anhand dieser Beschreibung lässt sich nicht beurteilen, ob die Autokäuferin in den Vorinstanzen schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise dazu vorgetragen hat, dass in ihrem Fahrzeug – neben dem Thermofenster – eine zweite Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 Verwendung findet12.
Dagegen hält die Annahme des Oberlandesgerichts Naumburg, der Autokäuferin stehe gegen die Fahrzeugherstellerin auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Allerdings hat das Oberlandesgericht Naumburg zutreffend der Regelung des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 keinen Anspruch auf Gewähr „großen“ Schadensersatzes entnommen. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schützen zwar das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf. Der Schutz erstreckt sich aber nicht auf das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden. Auch das Unionsrecht verlangt nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, also das Interesse auf Rückabwicklung des Kaufvertrags in den sachlichen Schutzbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV einzubeziehen. Dies ist aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21.03.202313 geklärt. Der hier erkennende III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 26.06.202314 an.
Das Oberlandesgericht Naumburg hat übersehen, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen kann, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden nach Maßgabe der Differenzhypothese, also ein Differenzschaden, entstanden ist. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines solchen Anspruchs dem Grunde nach sind mangels abweichender Feststellungen des Oberlandesgerichts Naumburg revisionsrechtlich zu unterstellen.
Der VIa. Zivilsenat hat am 26.06.2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom 21.03.2023 Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet15. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz „wegen des Erwerbs“ eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen16. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden17. Der Bundesgerichtshof schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Unbegründet ist der Einwand der Revisionserwiderung, die Auslegung von § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB führe gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG zur Nichtigkeit dieser Verordnungsbestimmungen, weil der Verordnungsgeber nicht wirksam zur Schaffung einer deliktischen Herstellerhaftung ermächtigt gewesen sei. Nach ständiger, auf Art. 2 EGBGB gründender höchstrichterlicher Rechtsprechung kann ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz neben dem Gesetz im formellen Sinne jede sonstige Norm des objektiven Rechts sein, sofern darin nur ein bestimmtes Gebot oder Verbot ausgesprochen wird18. Diese Voraussetzung erfüllen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung bedarf es keiner weitergehenden Ermächtigung des Verordnungsgebers zum Erlass von Regelungen zum deliktsrechtlichen Schutz der sachlichen Individualinteressen von Fahrzeugkäufern, um aus § 823 Abs. 2 BGB eine Haftung des Fahrzeugherstellers bei einem schuldhaften Verstoß gegen diese Bestimmungen ableiten zu können. Anknüpfend an die in § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV normierten Ge- und Verbote wird die deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers nach Maßgabe der unionsrechtlichen Vorgaben Gewährung eines effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzes im Falle des enttäuschten Käufervertrauens dadurch begründet, dass gemäß § 823 Abs. 2 BGB derjenige, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetz verstößt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob der Verordnungsgeber einen deliktischen Schadensersatzanspruch schaffen wollte. Der Wortlaut der Vorschriften steht einem unionsrechtlich fundierten Verständnis als Schutzgesetze, deren sachlicher Schutzbereich den Differenzschaden bei Abschluss des Kaufvertrags umfasst, nicht entgegen19.
Revisionsrechtlich ist mangels anderweitiger Feststellungen des Oberlandesgerichts Naumburg zugunsten der Autokäuferin zu unterstellen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erfüllt sind.
Zu unterstellen ist, dass die Fahrzeugherstellerin eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt hat.
Der VIa. Zivilsenat hat am 26.06.2023 entschieden, dass eine Übereinstimmungsbescheinigung unzutreffend ist, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, ohne dass es dabei auf den Inhalt der zugrunde liegenden EG-Typgenehmigung ankommt20. Nach Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie 2007/46/EG habe eine EG-Typgenehmigung die Bescheinigung eines Mitgliedstaats zum Gegenstand, dass ein Fahrzeugtyp den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen der Richtlinie sowie der in den Anhängen – IV oder – XI aufgeführten Rechtsakte entspreche. Demgemäß könne sich die Tatbestandswirkung des verfügenden Teils einer EG-Typgenehmigung nicht über eine seitens der befassten Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus erstrecken21. Aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 a)) der Richtlinie 2007/46/EG folge, dass die befasste Behörde die EG-Typgenehmigung weder hinsichtlich eines konkreten Fahrzeugs noch im Hinblick auf eine Gruppe konkreter Fahrzeuge im Sinne der produzierten Fahrzeuge einer bestimmten Baureihe erteile, sondern lediglich einen Fahrzeugtyp genehmige, der mit den Angaben in der Beschreibung übereinstimme. Dementsprechend könne die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung nicht über die Angaben in der Beschreibung (Art. 3 Nr. 38 und 39 der Richtlinie 2007/46/EG) hinausreichen22.
Weiter habe der Gerichtshof der Europäischen Union das Vorliegen einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung ausschließlich vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 abhängig gemacht. Auf den Inhalt der EG-Typgenehmigung sowie die dafür maßgebende Beschreibung des genehmigten Fahrzeugtyps sei er nicht näher eingegangen23. Die Übereinstimmungsbescheinigung weise danach gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweise nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorlägen20.
Dem schließt sich der hier III. Zivilsenat an. Die dagegen von der Revisionserwiderung vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Insbesondere ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Frage, ob der EG-Typgenehmigung eine unionsrechtliche Bindungswirkung zukomme und wie weit diese reiche, nicht veranlasst. Der Bundesgerichtshof teilt die Auffassung des VIa. Zivilsenats, dass diese Frage in Bezug auf Schadensersatzansprüche eines Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit der Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung geklärt ist24.
Die Feststellungen des Oberlandesgerichts Naumburg gestatten nicht die Prüfung, mit welchen das Emissionskontrollsystem betreffenden Vorrichtungen das Kraftfahrzeug der Autokäuferin ausgerüstet ist und ob die vorhandenen Vorrichtungen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 für eine unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen. Das Oberlandesgericht Naumburg hat dahinstehen lassen, ob es sich bei dem im Fahrzeug der Autokäuferin implementierten Thermofenster um eine gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 verstoßende Abschalteinrichtung handelt. Feststellungen zu den nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Umständen und zu einer ausnahmsweisen Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 715/2007 hat es nicht getroffen.
Außerdem ist zugunsten der Autokäuferin mangels abweichender Feststellungen des Oberlandesgerichts Naumburg revisionsrechtlich zu unterstellen, dass die Fahrzeugherstellerin schuldhaft, nämlich mindestens leicht fahrlässig25, gehandelt hat. Da § 37 Abs. 1 EG-FGV den vorsätzlichen und fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV als Ordnungswidrigkeit behandelt, genügt für eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB der fahrlässige Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung im Sinne des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dem Berufungsurteil lassen sich Feststellungen nicht entnehmen, die ein fahrlässiges Verhalten der Fahrzeugherstellerin ausschlössen.
Schließlich ist aus Rechtsgründen davon auszugehen, dass die Autokäuferin, weil die sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV revisionsrechtlich zu unterstellen sind, einen Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat26. Die Autokäuferin hat ein Fahrzeug erworben, das dem Gebrauch als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dient. Da ihr infolge der revisionsrechtlich zu unterstellenden unzulässigen Abschalteinrichtung Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder untersagung durch die Zulassungsbehörde gemäß § 5 Abs. 1 FZV drohen27, steht die zweckentsprechende Nutzung des erworbenen Fahrzeugs in Frage. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition der Autokäuferin bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liegt28.
Anders als die Revisionserwiderung29 meint, steht der Annahme eines Vermögensschadens die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Nutzungsentschädigung beim deliktisch bedingten Entzug von Sachen nicht entgegen. Diese Rechtsprechung betrifft die Voraussetzungen, unter denen ein zeitweiser Verlust des Eigengebrauchs einer Sache einen ersatzfähigen Vermögensschaden begründen kann, obwohl dieser Verlust selbst in einer am Vermögensbestand ausgerichteten Differenzrechnung nicht ausgewiesen ist30. Darum geht es hier nicht. Der Vermögensschaden der Autokäuferin beruht auf der Verringerung des objektiven Werts des von ihr erworbenen Fahrzeugs infolge der Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung19.
Ein ersatzfähiger Vermögensschaden der Autokäuferin scheidet entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht deshalb aus, weil die Fahrzeugherstellerin der Autokäuferin ein Update für die Motorsteuerungssoftware angeboten hat. Für die Schadensentstehung ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend31. Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch ein Software-Update als nachträgliche Maßnahme der Fahrzeugherstellerin ist im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen32. Eine solche Aufwertung setzt allerdings voraus, dass das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert33. Gleiches muss jedenfalls für ein von der Fahrzeugherstellerin bislang nur angebotenes Software-Update gelten, damit die Fahrzeugherstellerin der Autokäuferin anspruchsmindernd entgegenhalten kann, von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht zu haben. Hierzu fehlt es an Feststellungen des Oberlandesgerichts Naumburg.
Der VIa. Zivilsenat hat am 26.06.2023 weiter entschieden, dass bei der Ermittlung der gemäß § 287 Abs. 1 ZPO festzustellenden Höhe des Differenzschadens das Schätzungsermessen des Tatrichters aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben innerhalb einer Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt ist34. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe festgehalten, dass die vorzusehenden Sanktionen nach Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG und Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten und dass nationale Vorschriften dem Käufer die Erlangung eines angemessenen Schadensersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften35. Der geschätzte Schaden könne daher aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität nicht geringer sein als 5 % des gezahlten Kaufpreises. Umgekehrt könne ein allein nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und nicht auch nach §§ 826, 31 BGB geschuldeter Schadensersatz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht höher sein als 15 % des gezahlten Kaufpreises36. Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens sei der Tatrichter bei seiner Schätzung innerhalb dieses Rahmens nicht gehalten37. Dem schließt sich der hier III. Zivilsenat an.
Das Oberlandesgericht Naumburg hätte die Berufung der Autokäuferin bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne der Autokäuferin Gelegenheit zu geben, den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Denn dem von der Autokäuferin in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten „großen“ Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen38.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20
- Anschluss an BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21[↩]
- ABl. L 171 vom 29.06.2007, S. 1[↩]
- LG Halle, Urteil vom 17.09.2019 – 4 O 44/19[↩]
- OLG Naumburg, Urteil vom 31.08.2020 – 12 U 161/19, BeckRS 2020, 47166[↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24.03.2022 – III ZR 270/20 13 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 23.09.2021 – III ZR 200/20, WM 2021, 2153 Rn. 22; und vom 24.03.2022 aaO Rn. 15; BGH, Urteile vom 20.07.2021 – VI ZR 1154/20, WM 2021, 2105 Rn. 13; und vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, WM 2021, 2108 Rn. 16, jew. mwN[↩]
- Hinweis auf BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2022 aaO Rn. 22; BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 26 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2022 – III ZR 263/20, WM 2022, 1074 Rn. 25; BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 1031/22 17 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 02.06.2022 – III ZR 216/20, NJOZ 2022, 975 Rn. 24; BGH, Urteile vom 08.07.1954 – IV ZR 67/54, BGHZ 14, 205, 209 f; und vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092 Rn. 24[↩]
- BGH aaO; BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 16; jew. mwN[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21[↩]
- EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, NJW 2023, 1111[↩]
- BGH, Urteil vm 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 aaO Rn.19 ff[↩]
- BGH aaO Rn. 29 unter Hinweis auf EuGH aaO Rn. 79, 85, 88[↩]
- BGH aaO Rn. 30 unter Hinweis auf EuGH aaO Rn. 91[↩]
- BGH aaO unter Hinweis u.a. auf BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 49 ff[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 32 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 25.01.1977 – VI ZR 29/75, VersR 1977, 616, 617; siehe auch BGH, Urteile vom 12.07.1966 – VI ZR 1/65, WM 1966, 1148, 1150 mwN; und vom 20.09.1983 – VI ZR 248/81, NJW 1984, 360, 362[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO[↩][↩]
- BGH aaO Rn. 34[↩][↩]
- BGH aaO Rn. 12[↩]
- BGH aaO unter Hinweis auf EuGH aaO Rn. 83[↩]
- BGH aaO Rn. 34; siehe dazu auch Rn. 29 unter Hinweis auf EuGH aaO Rn. 79[↩]
- vgl. EuGH aaO Rn. 78 ff[↩]
- vgl. hierzu BGH aaO Rn. 35[↩]
- vgl. BGH aaO Rn. 39 ff[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn.19 ff[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 41[↩]
- Hinweis auf BGH, Urteil vom 09.07.1986 – GSZ 1/86, BGHZ 98, 212[↩]
- vgl. BGH aaO S. 216 ff[↩]
- BGH, aaO Rn. 42[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.07.2021 – VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 23 f[↩]
- BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 80[↩]
- BGH aaO Rn. 71 ff[↩]
- BGH aaO Rn. 73 unter Hinweis auf EuGH aaO Rn. 90, 93[↩]
- BGH aaO Rn. 74 f[↩]
- BGH aaO Rn. 78 u.a. unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 23.03.2021 – VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 45[↩]
Bildnachweis:
- Lenkrad: Toby Parsons