Die Unterlassungsklage gegen einen anderen Wohnungseigentümer

Nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung oder Schadensersatz wegen einer Äußerung in Anspruch, handelt es sich nur dann um eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF (bzw. § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG), wenn die Äußerung in einer Eigentümerversammlung oder Beiratssitzung getätigt wurde. Dies gilt unabhängig von Inhalt und Anlass der Äußerung1.

Die Unterlassungsklage gegen einen anderen Wohnungseigentümer

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Rechtsstreit, der im Jahr 2019 und damit vor dem am 1.12.2020 erfolgten Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) vom 16.10.20202 anhängig geworden ist, sodass gemäß Art. 1, 4, 18 WEMoG, § 48 Abs. 5 WEG noch die bisherigen Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes und damit § 43 Nr. 1 bis 6 WEG aF Anwendung fanden3.

In Betracht käme hier nur das Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF. Erfasst werden von dieser Vorschrift „Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander“. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.

Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass der Kläger selbst kein Wohnungseigentümer ist, sondern nur die GbR, deren Gesellschafter er und seine Ehefrau sind. § 43 WEG aF ist gegenstands- und nicht personenbezogen zu verstehen4. Wird in der Sache über typische Rechte und Pflichten in einer GdWE gestritten, kann auch der Gesellschafter einer GbR, die eine Wohnungseigentumseinheit hält, Kläger oder Beklagter einer wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit sein5.

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Entscheidend ist deshalb, ob die Voraussetzungen des § 43 Nr. 1 WEG aF in sachlicher Hinsicht vorliegen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsgrundlagen, auf die ein Kläger seine Klageansprüche stützt, im Wohnungseigentumsgesetz wurzeln. Es ist deshalb im Ausgangspunkt unschädlich, dass der Kläger hier seine Ansprüche aus dem allgemeinen Zivilrecht (§ 823 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB, § 1004 Abs. 1 BGB analog) herleitet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum bisherigen Recht ist maßgeblich allein der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer (oder ihm gleichstehenden Personen) in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist6. An dem Erfordernis des inneren Zusammenhangs mit den Rechten und Pflichten als Wohnungseigentümer hat sich im Ausgangspunkt trotz der im Vergleich zum bisherigen Recht weiter gefassten Formulierung, die § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG durch das WEMoG erfahren hat („Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander“), nichts geändert. Geklärt hat der Gesetzgeber insoweit nur, dass Streitigkeiten über die sachenrechtlichen Grundlagen der GdWE Wohnungseigentumssachen sind7.

Nimmt ein Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung oder Schadensersatz wegen einer Äußerung in Anspruch, handelt es sich nur dann um eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit (§ 43 Nr. 1 WEG aF, § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG), wenn die Äußerung in einer Eigentümerversammlung oder Beiratssitzung getätigt wurde. Dies gilt unabhängig von Inhalt und Anlass der Äußerung8. Entgegen der Auffassung der Revision ist es deshalb unerheblich, dass sich die verbale Auseinandersetzung der Parteien an der – wohnungseigentumsrechtlich zu beantwortenden – Frage der Erfüllung von Reinigungspflichten entzündet hat.

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Auszugehen ist zunächst davon, dass eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit nicht bereits deshalb zu bejahen ist, weil es sich bei den Parteien um Wohnungseigentümer bzw. ihnen gleichgestellte Personen handelt. Besteht zwischen den Wohnungseigentümern eine Sonderverbindung, aufgrund derer sie sich gleichsam wie Dritte gegenüberstehen, stellt ein hieraus resultierender Streit keine Wohnungseigentumssache dar. So liegt es beispielsweise, wenn Rechte aus zwischen den Wohnungseigentümern bestehenden Miet-, Dienst- oder Werkverträgen hergeleitet werden9. Ob die Verträge nur deshalb zustande gekommen sind, weil sich die Vertragsparteien wegen der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer GdWE kennen, ist unerheblich. Ebensowenig stellt eine Streitigkeit zwischen einzelnen Miteigentümern aus einem nur zwischen ihnen vereinbarten Konkurrenzverbot eine Wohnungseigentumssache dar10.

Nicht anders liegt es im Grundsatz, wenn sich Wohnungseigentümer über die Zulässigkeit von Äußerungen streiten. Auch in diesem Fall treten sie sich wie Dritte gegenüber, ohne dass ein innerer Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist. Dass sich der Streit daran entzündet, dass die Wohnungseigentümer in einer die GdWE betreffenden Frage unterschiedlicher Auffassung sind, ist nur der Anlass für die Äußerung. Deren Zulässigkeit richtet sich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften. Spezifisch wohnungseigentumsrechtlichen Sachverstands bedarf es für die gerichtliche Entscheidung in aller Regel nicht11. Im Vordergrund steht vielmehr die äußerungsrechtliche Beurteilung.

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Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn es um die Zulässigkeit von Äußerungen geht, die in einer Eigentümerversammlung gefallen sind12. Eine solche Rechtsstreitigkeit weist eine spezifische, unmittelbare wohnungseigentumsrechtliche Komponente auf, die über die durch das allgemeine Zivilrecht geregelten Rechtsbeziehungen hinausgeht. Die Eigentümerversammlung ist das Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft; sie dient der Erörterung der Beschlussfassung, und Äußerungen tragen zur Meinungsbildung innerhalb der Gemeinschaft bei13. Der für die Anwendbarkeit des § 43 Nr. 1 WEG aF und des § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG erforderliche Bezug zu dem Gemeinschaftsverhältnis wird – im Sinne einer Verklammerung – durch den institutionellen Rahmen der Versammlung selbst hergestellt. In gleicher Weise kann der unmittelbare Gemeinschaftsbezug auch bei Äußerungen in einer Beiratssitzung bejaht werden14.

Dass hiernach Streitigkeiten zwischen einzelnen Wohnungseigentümern über die Zulässigkeit von Äußerungen, soweit diese nicht im Rahmen von Eigentümerversammlungen oder Beiratssitzungen ausgesprochen wurden, keine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF (bzw. § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG) begründen, ermöglicht eine klare Abgrenzung. Dies ist gerade im Hinblick darauf, dass die Zuständigkeit der Berufungsgerichte gemäß § 72 Abs. 2 GVG von der Einordnung der Streitigkeit abhängt15, von besonderer Bedeutung. Nur ein solch formales Verständnis der Norm wird dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit gerecht, wonach Rechtsbehelfe „in der geschriebenen Rechtsordnung“ geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger klar erkennbar sein müssen16. Hiermit verträgt es sich nicht, wenn der Bundesgerichtshof eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit trotz einer Äußerung in einer Eigentümerversammlung – als Gegenausnahme – verneint, wenn ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer offensichtlich nicht gegeben ist13. Zur Vermeidung hierdurch hervorgerufener Abgrenzungsschwierigkeiten wird an der Ausnahme deshalb nicht mehr festgehalten.

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Dass der Anlass für die ehrverletzenden Äußerungen außerhalb von Wohnungseigentümerversammlungen und Beiratssitzungen in Differenzen der Wohnungseigentümer in der Wohnungseigentümergemeinschaft liegt, ist auf der anderen Seite aber nicht völlig irrelevant. Bei der Beurteilung, ob wegen einer bestimmten Äußerung ein Schadensersatz- oder Unterlassungsanspruch besteht, kommt es unter anderem darauf an, ob die Grenze zur Schmähkritik überschritten ist. In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob die Auseinandersetzung noch einen (wohnungseigentumsrechtlichen) Sachbezug aufweist oder nicht. Dies betrifft allerdings die materiell-rechtliche Begründetheit der Klage, spielt jedoch für die prozessuale Frage der Zuständigkeit i.S.d. § 43 Nr. 1 WEG aF, § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG keine Rolle17.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. September 2023 – V ZR 254/22

  1. Fortentwicklung von BGH, Beschluss vom 17.11.2016 – V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12[]
  2. BGBl. I S. 2187[]
  3. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24.02.2022 – V ZB 59/21, NJW-RR 2022, 805 Rn. 8[]
  4. BGH, Beschluss vom 21.01.2016 – V ZR 108/15, NJW-RR 2016, 463 Rn. 5[]
  5. vgl. BGH, aaO Rn. 6 für die persönliche Haftung des Gesellschafters für Beitragsrückstände der GbR[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2016 – V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 7 mwN; Urteil vom 13.12.2019 – V ZR 313/16, ZWE 2020, 300 Rn. 6[]
  7. vgl. BT-Drs.19/18791, S. 81[]
  8. aA Niedenführ, LMK 2017, 387641[]
  9. vgl. Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 43 Rn. 38; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 12[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 20.06.1986 – V ZR 47/85, NJW-RR 1986, 1355[]
  11. vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteil vom 21.01.2016 – V ZR 108/15, NJW-RR 2016, 464 Rn. 6[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2016 – V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12[]
  13. BGH, Beschluss vom 17.11.2016 – V ZB 73/16, MDR 2017, 78 Rn. 12[][]
  14. vgl. Sauren, NZM 2017, 433, 434[]
  15. vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 12.11.2015 – V ZB 36/15, NZM 2016, 168 Rn. 10[]
  16. vgl. BGH, Beschluss vom 19.06.2007 – VI ZB 3/07, NJW-RR 2007, 1436 Rn. 6 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 24.09.2020 – V ZB 90/19, NJW-RR 2020, 1339 Rn. 8; Beschluss vom 21.02.2020 – V ZR 17/19, NJW 2020, 1525 Rn. 8[]
  17. vgl. bereits Derleder, ZWE 2001, 312[]
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