Reicht eine Partei eine Rechtsmittelschrift beim unzuständigen Ausgangsgericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht am darauf folgenden Werktag ausführt. Die Partei hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sie wegen eines davon abweichenden üblichen Geschäftsgangs am Ausgangsgericht darauf vertrauen durfte, die richterliche Verfügung werde noch am selben Tag umgesetzt1.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Berliner Kammergericht eine Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen2. ausgewirkt. Die Beklagte habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie darauf habe vertrauen können, die Berufungsschrift werde im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs fristgerecht bis zum 10.02.2022 an das Kammergericht weitergeleitet. Sie habe erwarten dürfen, dass der am 7.02.2022 übermittelte Schriftsatz am 8.02.2022 auf die Geschäftsstelle der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts gelangen und dem zuständigen Richter am 9.02.2022 vorgelegt werde. Es könne offenbleiben, ob die vom Richter erst am nächsten Tag verfügte Übersendung des Schriftsatzes an das Kammergericht noch als Bearbeitung im üblichen Geschäftsgang anzusehen sei. Selbst wenn die Beklagte damit hätte rechnen können, dass der Richter die Weiterleitung noch am 9.02.2022 verfügen würde, wäre im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs eine Bearbeitung durch die Geschäftsstelle erst am 10.02.2022 und ein Eingang beim Kammergericht erst am 11.02.2022 zu erwarten gewesen. Dass die Berufungsschrift tatsächlich bereits am Folgetag der richterlichen Verfügung beim Kammergericht eingegangen sei, lasse sich nur mit überobligatorischen Anstrengungen des Landgerichts erklären, auf die die Beklagte nicht habe vertrauen dürfen. Der Bundesgerichtshof verwarf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde als unzulässig:
Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) oder ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Kammergericht hat die Berufung der Beklagten mit Recht als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte die Berufungsfrist versäumt hat und ihr die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen ist (§ 233 Satz 1 ZPO). Dass die Entscheidung über die Wiedereinsetzung nicht in die Beschlussformel aufgenommen worden ist, sondern nur in den Beschlussgründen erfolgte, ist unschädlich3.
Die Auffassung des Kammergerichts, dass die Beklagte die einmonatige Frist des § 517 ZPO zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Eine Partei hat die Berufungsfrist versäumt, wenn die Berufungsschrift an das unzuständige Landgericht adressiert war und bei dem Kammergericht, bei dem sie gemäß § 519 Abs. 1 ZPO hätte der Berufungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruht.
Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet4.
Von diesen Grundsätzen ist das Kammergericht ausgegangen. Es hat rechtsfehlerfrei ein der Beklagten zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass dieser die Berufungsschrift unterzeichnet hat, ohne die Angabe des als Adressat bezeichneten Gerichts zu korrigieren.
zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen. Er muss daher die Rechtsmittelschrift vor der Unterzeichnung insbesondere auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts kontrollieren und eine fehlerhafte Angabe berichtigen5.
Das Kammergericht hat zutreffend angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten diesen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt hat. Bei sorgfältiger Überprüfung der von seiner Mitarbeiterin gefertigten Berufungsschrift hätte er die fehlerhafte Adressierung an das Landgericht bemerken und die Angabe des Kammergerichts als Empfänger des Schriftsatzes veranlassen müssen. Das zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel.
Die Rechtsbeschwerde wendet sich erfolglos gegen die Annahme des Kammergerichts, das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei für die Versäumung der Berufungsfrist ursächlich geworden.
Einer Partei ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sich ihr Verschulden oder dasjenige ihres Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der unrichtigen Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts nicht auf die Versäumung der Rechtsmittelfrist auswirkt. Dies ist der Fall, wenn ein Schriftsatz bei dem unzuständigen Ausgangsgericht so zeitig eingeht, dass die Partei darauf vertrauen darf, ihre Rechtsmittelschrift werde noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet6.
Das Kammergericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte nicht darauf vertrauen durfte, das Landgericht werde ihre Berufungsschrift bis zum Ablauf der Berufungsfrist an das Kammergericht weiterleiten.
Das Gericht ist einerseits aufgrund des verfassungsrechtlichen Anspruchs der Parteien auf ein faires und wirkungsvolles Verfahren zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Parteien verpflichtet. Andererseits muss die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden. Es besteht deshalb keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern und auf diese Weise der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die zutreffende Adressierung eines Schriftsatzes allgemein abzunehmen7. Geht ein fristgebundener Schriftsatz für das Rechtsmittelverfahren beim unzuständigen Ausgangsgericht ein, ist dieses deshalb grundsätzlich lediglich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten8. Die eine Wiedereinsetzung begehrende Partei hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können9.
Nach diesen Grundsätzen hat das Kammergericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, sie habe erwarten dürfen, dass die am 7.02.2022 beim Landgericht eingegangene Berufungsschrift bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang das Kammergericht fristgerecht bis zum 10.02.2022 erreichen werde.
Das Kammergericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Befassung des zuständigen Richters mit der Berufungsschrift nicht vor dem 9.02.2022 erwartet werden konnte. Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs ist üblicherweise damit zu rechnen, dass ein an eine zentrale gerichtliche Annahmestelle gesandter Schriftsatz am nächsten Werktag auf der zuständigen Geschäftsstelle eingeht und dem zuständigen Richter an dem darauf folgenden Werktag vorgelegt wird10. Dagegen erhebt die Rechtsbeschwerde keine Einwendungen.
Als rechtsfehlerfrei erweist sich auch die Annahme des Kammergerichts, die Beklagte habe nicht damit rechnen können, dass die dem Richter am 9.02.2022 vorliegende Berufungsschrift auf seine Veranlassung noch am selben Tag an das Kammergericht versandt werden würde. Das Kammergericht hat offengelassen, ob im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs die Weiterleitung des Schriftsatzes an das Kammergericht noch am 9.02.2022 und nicht, wie tatsächlich geschehen, am 10.02.2022 richterlich verfügt worden wäre. Es hat angenommen, es entspreche dem üblichen Geschäftsgang, dass eine richterliche Verfügung durch die Geschäftsstelle erst am Folgetag bearbeitet werde. Die Ausführung einer bereits am 9.02.werde; dagegen spreche, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung vom 10.02.2022 noch am selben Tag umgesetzt habe.
Ein ordentlicher Geschäftsgang erfordert nicht, dass das unzuständige Gericht die Weiterleitung einer fristgebundenen Rechtsmittelschrift an das zuständige Rechtsmittelgericht beschleunigt veranlasst11. Im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs kann deshalb nicht erwartet werden, dass die richterliche Verfügung einer Weiterleitung noch am selben Tag zur Geschäftsstelle gelangt, dort bearbeitet und der Schriftsatz zur Post gegeben wird12. Es entspricht dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterlich verfügte Weiterleitung einer Rechtsmittelschrift am folgenden Werktag umsetzt13.
Nichts anderes ergibt sich im Streitfall daraus, dass die tatsächlich erst am 10.02.2022 erfolgte richterliche Verfügung der Weiterleitung der Berufungsschrift noch am selben Tag umgesetzt worden ist. Das Kammergericht hat diesen Umstand rechtsfehlerfrei nicht als hinreichenden Anhaltspunkt dafür angesehen, dass die sofortige Ausführung einer richterlichen Verfügung allgemein üblich gewesen wäre und die Beklagte darauf auch bei einer am 9.02.2022 314 6])). Das Kammergericht hat zu Recht angenommen, die sofortige Ausführung der richterlichen Verfügung vom 10.02.2022 könne dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass der Richter die Weiterleitung der Berufungsschrift erst einen Tag nach ihrer Vorlage verfügt hat.
Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist für den Bundesgerichtshof auch die Annahme des Kammergerichts, die Beklagte habe nicht erwarten können, dass die Geschäftsstelle des Landgerichts die Berufungsschrift am 10.02.2022 auf elektronischem Weg an das Kammergericht weiterleiten und auf diese Weise den fristgerechten Eingang noch am selben Tag sicherstellen werde. Dem steht bereits entgegen, dass nach den unbeanstandeten Feststellungen des Kammergerichts die elektronische Weiterleitung von Schriftsätzen zwischen den Gerichten technisch nicht möglich war14.
Die Beklagte durfte auch nicht darauf vertrauen, dass das Landgericht ihren Prozessbevollmächtigten zeitnah auf die fehlerhafte Bezeichnung des Kammergerichts hinweisen werde. Das Ausgangsgericht ist im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs nicht gehalten, die Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist telefonisch oder per E-Mail von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten15.
Dententsprechend hat der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerde der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. April 2023 – I ZB 83/22
- Fortführung von BGH, Beschluss vom 12.05.2016 – IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582 15][↩]
- KG, Beschluss vom 13.09.2022 – 10 U 23/22[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.02.2014 – XII ZB 640/13 12; Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 10[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 10.02.2022 – I ZB 46/21, NJOZ 2022, 1110 7]; Beschluss vom 23.06.2022 – I ZB 76/21, NJOZ 2022, 1465 16]; Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 13[↩]
- st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 29.08.2017 – VI ZB 49/16, NJW-RR 2018, 56 7]; Beschluss vom 05.05.2021 – XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 14]; Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 15; jeweils mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 15.06.2011 – XII ZB 468/10, NJW 2011, 2887 12]; Beschluss vom 12.06.2013 – XII ZB 394/12, NJW-RR 2014, 2 19]; Beschluss vom 27.07.2016 – XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 12]; BGH, NJW-RR 2018, 56 13]; BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/2219[↩]
- BVerfG, NJW 2006, 1579 8]; BGH, NJW 2011, 2887 12]; BGH, Beschluss vom 13.09.2012 – IX ZB 251/11, NJW 2013, 236 10]; Beschluss vom 12.05.2016 – IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582 16]; Beschluss vom 19.09.2017 – VI ZB 37/16, NJW-RR 2018, 314 6][↩]
- BGH, NJW 2011, 2887 12]; NJW-RR 2016, 1340 12]; NJW-RR 2018, 314 5]; BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 21[↩]
- BGH, Beschluss vom 06.11.2008 – IX ZB 208/06, NJW-RR 2009, 408 7]; NJW 2011, 2887 12]; BGH, NJW-RR 2014, 2 21]; NJW-RR 2018, 314 5]; BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 21[↩]
- vgl. BGH, NJW-RR 2014, 2 23]; NJOZ 2016, 1582 14]; BGH, Beschluss vom 21.02.2018 – IV ZB 18/17 17[↩]
- vgl. BVerfG, NJW 2006, 1579 10]; BGH, NJW 2011, 2887 13]; NJOZ 2016, 1582 16]; NJW-RR 2016, 1340 13]; BGH, Beschluss vom 25.01.2017 – XII ZB 504/15, NJW-RR 2017, 386 18]; BGH, NJW-RR 2018, 56 14]; BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 21[↩]
- BGH, NJW-RR 2014, 2 23]; NJOZ 2016, 1582 15][↩]
- vgl. BGH, NJW-RR 2009, 408 8]; NJOZ 2016, 1582 14]; NJW-RR 2018, 56 15]; BGH, Beschluss vom 21.02.2018 – IV ZB 18/17 17[↩]
- vgl. auch BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 26[↩]
- vgl. BGH, NJW-RR 2016, 1340 13]; NJW-RR 2017, 386 18]; NJW-RR 2018, 56 14]; NJW-RR 2018, 314 6]; BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – I ZB 42/22 27[↩]