103 Abs. 1 GG gewährt jedem Verfahrensbeteiligten die grundsätzliche Möglichkeit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass einer Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern1. Insoweit ist der Anspruch auf rechtliches Gehör eng verknüpft mit dem Recht auf Information.

Eine Art. 103 Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Der Anspruch umfasst damit auch die Gelegenheit, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, also grundsätzlich auch zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite2.
Eine Verletzung scheidet daher nicht schon deshalb aus, weil sich eine Partei in einem früheren Stadium des Verfahrens hat äußern können oder geäußert hat. Vielmehr darf ein Gericht seiner Entscheidung keine Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde legen, ohne den Parteien vorher Gelegenheit zu geben, sich zu ihnen zu äußern3.
Gemessen an diesem Maßstab verletzt der hier überprüfte Beschluss des Landgerichts betreffend die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Das Landgericht übermittelte diesem den Schriftsatz des Sachwalters selbst auf Nachfrage hin nicht und räumte ihm auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Dennoch stützte die Kammer sich ausweislich der Entscheidungsgründe des die Beschwerde zurückweisenden Beschlusses maßgeblich auf die Ausführungen des Sachwalters in diesem Schriftsatz und auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer diesen nicht entgegengetreten sei. Nachdem dem Beschwerdeführer nachträglich Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, widersprach er mit Schriftsatz vom 13.08.2020 dem Vorbringen des Sachwalters und verwies insbesondere auf die Notwendigkeit gerichtlicher Amtsermittlung hinsichtlich des Fortgangs des Anfechtungsverfahrens gegen das Finanzamt, die bislang unterblieben sei. Erst durch die nachträgliche Übermittlung der Beschwerdeerwiderung des Sachwalters samt Anlagen habe er erkennen können, dass das Beschwerdegericht die Einbeziehung anfechtungsrechtlicher Rückgewähransprüche allein auf der Grundlage der Klageschrift des Sachwalters aus dem Jahr 2018 für gerechtfertigt gehalten habe.
Der angegriffene Beschluss beruht auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Denn der Beschwerdeführer hat in der Verfassungsbeschwerde tatsächlichen und rechtlichen Vortrag gehalten, den er bei rechtzeitiger Gewährung rechtlichen Gehörs gemacht hätte, um das gegnerische Vorbringen zu entkräften. Ob dieser Versuch Erfolg gehabt hätte, hat das Bundesverfassungsgericht, das nicht zur Entscheidung über Fragen des einfachen Rechts berufen ist, nicht zu beurteilen4. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer mit seinem beabsichtigten Vorbringen eine ihm günstigere Entscheidung erreicht hätte.
Dieser Gehörsverstoß ist im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens nicht geheilt worden. Denn das Landgericht hat rechtsirrtümlich eine Berücksichtigung des im Rahmen des nachträglich gewährten rechtlichen Gehörs gemachten Vorbringens des Beschwerdeführers vom 13.08.2020 mit der Begründung ausgeschlossen, dass eine „Nachholung des rechtlichen Gehörs im Rahmen der Anhörungsrüge […] nicht möglich“ sei.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. April 2023 – 2 BvR 1605/21
- vgl. BVerfGE 1, 418 <429> 84, 188 <190> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 19, 32 <36> 49, 325 <328> 55, 95 <98>[↩]
- vgl. BVerfGE 1, 418 <429> 10, 177 <182 f.> 64, 135 <144> 84, 188 <190>[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 275 <281 f.> 55, 95 <99>[↩]
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