Die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments

Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls kann auch die Nachholung der Glaubhaftmachung vor Ablauf einer Woche nicht mehr unverzüglich sein (hier: Nachholung nach zwei Tagen).

Die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments

Gemäß § 130d Satz 2 ZPO ist die Übermittlung eines schriftlich einzureichenden Antrags nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 ZPO).

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ist zwar eine durch den Ausfall der Netzwerkkarte bedingte vorübergehende technische Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO anzunehmen; hiervon ist ersichtlich auch das Berufungsgericht ausgegangen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat aber die Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO nicht erfüllt.

Gemäß § 130d Satz 3 ZPO bedarf es für die Glaubhaftmachung, die nach der Intention des Gesetzgebers möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll1, einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen2.

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Dahinstehen kann hier, ob die Glaubhaftmachung bereits mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen gehabt hätte3. Denn jedenfalls sind die geltend gemachten Gründe für die Ersatzeinreichung nicht unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden, sodass die Ersatzeinreichung unwirksam ist.

Unverzüglich – und somit ohne schuldhaftes Zögern – ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Entgegen der Rechtsbeschwerde ist, anders als etwa bei § 121 BGB und auch anders als nach Zurückweisung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe, keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht abzugeben, sobald er Kenntnis davon erlangt, dass die Einreichung an einer technischen Störung gescheitert ist und er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist4. Hierbei ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen5. Glaubhaft zu machen ist lediglich die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, ohne dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung über deren Ursache bedarf6; es genügt eine (laienverständliche) Schilderung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Umstände, die beispielsweise mit Screenshots unterlegt werden kann, aber nicht zwingend muss7.

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Der Zeitraum des unverschuldeten Zögerns im Sinne von § 130d Satz 3 ZPO ist nach alledem eng zu fassen8. Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat9.

Ein allgemeiner Grundsatz, wonach eine Nachholung der Glaubhaftmachung binnen einer Woche ausreichend sein soll, ist hiermit nicht vereinbar. Der in diesem Zusammenhang teilweise erfolgende Hinweis etwa auf § 174 BGB und § 174 Abs. 5 SGB IX10 überzeugt nicht, da diesen Vorschriften, wie § 121 BGB, die hier nicht erforderliche Prüfungs- und Überlegungszeit immanent ist.

Soweit eine Zeitspanne von einer Woche in höchstrichterlichen Entscheidungen lediglich referiert11 beziehungsweise als „unter normalen Umständen ausreichend“12 erachtet worden ist, waren diese Erwägungen angesichts der unproblematischen Überschreitung einer solchen Zeitspanne jedenfalls nicht tragend. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls kann nach alledem auch die Nachholung der Glaubhaftmachung vor Ablauf einer Woche nicht mehr unverzüglich sein13.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger bereits am 19.01.2022 in der Lage, die zu der am Vortag erfolgten Ersatzeinreichung führenden Umstände in der vorstehend beschriebenen Weise geschlossen zu schildern und glaubhaft zu machen; dagegen erinnert für sich genommen auch die Rechtsbeschwerde nichts. An jenem Tag wurde die Netzwerkkarte seines Prozessbevollmächtigten getauscht, sodass die Internetverbindung wieder funktionierte und die (erneute) Übermittlung des Fristverlängerungsantrags in elektronischer Form erfolgen konnte. Zugleich hätte aber die Glaubhaftmachung in der vorstehend beschriebenen Form erfolgen können und nach dem Vorgesagten auch müssen. Daran fehlt es; die erst einen Tag später – also zwei Tage nach der Ersatzeinreichung – gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag übermittelte anwaltliche Versicherung war nicht mehr unverzüglich.

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Mangels unverzüglicher Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit ist die Ersatzeinreichung unwirksam14. Hierdurch wird die Rechtsschutzgewährung nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Erforderlich gemäß § 130d Satz 3 ZPO ist lediglich die Glaubhaftmachung der Gründe des § 130d Satz 2 ZPO. Die Verpflichtung zur Glaubhaftmachung stellt keine unzumutbaren Anforderungen an den Rechtsanwalt, da insoweit eine anwaltliche Versicherung genügt15.

Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger zurechnen lassen (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO). Die elektronische Übermittlung vorbereitender Schriftsätze sowie schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen gemäß § 130d Satz 1 ZPO ist seit dem 1.01.2022 der gesetzlich vorgeschriebene Regelfall; diese Rechtslage sowie die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 130d Sätze 2 und 3 ZPO musste dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sein16. Es könnte ihn auch nicht entlasten, wenn er im Zweifel darüber gewesen wäre, ob er vor der Glaubhaftmachung zunächst Ursachenforschung betreiben und etwa eine Bescheinigung eines EDV-Fachmannes vorlegen müsse. Ein darauf bezogener eventueller Rechtsirrtum wäre nicht unverschuldet17.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juni 2023 – V ZB 15/22

  1. BT-Drs. 17/12634 S. 28[]
  2. vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 15.12.2022 – III ZB 18/22, WM 2023, 189 Rn. 8; Beschluss vom 21.09.2021 XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn 13 ff.[]
  3. so BGH, Beschluss vom 17.11.2022 – IX ZB 17/22, WM 2023, 198 Rn. 11; aA BAG NZA 2023, 58 Rn. 32 zu der mit § 130d Satz 3 ZPO wörtlich übereinstimmenden Regelung in § 46g Satz 4 ArbGG[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 17; BAG, NZA 2023, 58 Rn. 38 zu § 46g Satz 4 ArbGG[]
  5. BT-Drs. 17/12634 S. 28; BGH, Beschluss vom 15.12.2022 – III ZB 18/22, WM 2023, 189 Rn. 10[]
  6. ebenso BAG aaO; VGH München, NVwZ 2022, 1392 Rn. 8; OVG Schleswig, NordÖR 2022, 198, 199, jeweils zu § 55d VwGO[]
  7. vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 20. Aufl., § 130d Rn. 3; jurisPK-ERV/Biallaß [14.04.2023], § 130d ZPO Rn. 66[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 16; BGH, Beschluss vom 15.12.2022 – III ZB 18/22, WM 2023, 189 Rn. 10; Beschluss vom 21.09.2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 17[]
  9. vgl. BAG, NZA 2023, 58 Rn. 35 zu § 46g Satz 4 ArbGG; OLG Braunschweig, NJOZ 2022, 1497 Rn. 49; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08.08.2022 – 8 A 10330/22 10[]
  10. vgl. LAG Schleswig-Holstein, NZA-RR 2022, 148 Rn. 111 zu § 46g Satz 4 ArbGG; BayVGH, NJW 2022, 3239 Rn. 8 zu § 55d VwGO[]
  11. so BGH, Beschluss vom 21.09.2022 XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 17[]
  12. so BAG, NZA 2023, 58 Rn. 36 zu § 46g Satz 4 ArbGG[]
  13. im Ergebnis ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08.08.2022 – 8 A 10330/22 11 zu § 55d VwGO[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.2022 – XII ZB 264/22 18[]
  15. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 18 mwN[]
  16. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 21[]
  17. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 26[]
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