Dieselskandal – und die deliktische Haftung des Motorenherstellers

Deliktszinsen, Annahmeverzug, Verjährung: Der Bundesgerichtshof hatte sich erneut mit der Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall zu befassen:

Dieselskandal – und die deliktische Haftung des Motorenherstellers

Anlass hierfür bot dem Bundesgerichtshof ein Fall aus dem Oldenburgischen: Der klagende Gebrauchtwagenkäufer nimmt den beklagten Motorenhersteller wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Gebrauchtwagenkäufer erwarb im November 2012 von einem Gebrauchtwagenhändler einen gebrauchten PKW Audi A4 Avant. Das Fahrzeug ist mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser Motor verfügte über eine sog. „Umschaltlogik“, die den Prüfstandsbetrieb bei der Typzulassung erkannte und dann die Grenzwerte der Abgasnorm EU 5 einhielt. Außerhalb des Prüfstandsbetriebs befand sich die Motorsteuerung in einem anderen Modus mit NOx-Werten jenseits der Abgasnorm EU 5. Mit seiner im Jahr 2019 erhobenen Klage verlangt der Gebrauchtwagenkäufer Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Volkswagen AG hat Klageabweisung beantragt und u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Oldenburg hat der Klage hinsichtlich des Hauptantrags abzüglich einer Nutzungsentschädigung, hinsichtlich der Rechtshängigkeitszinsen sowie hinsichtlich des Annahmeverzugs stattgegeben, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen1. Auf die Berufung des Gebrauchtwagenkäufers hat das Oberlandesgericht Oldenburg den Vorteilsausgleich zu Gunsten des Gebrauchtwagenkäufers abgeändert und dem Gebrauchtwagenkäufer zusätzlich Deliktszinsen zugesprochen; die weitergehende Berufung des Gebrauchtwagenkäufers sowie die Berufung der Volkswagen AG hat es zurückgewiesen2. Der Bundesgerichtshof sah dies teilweise anders:

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Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist für den Bundesgerichtshof allerdings die Annahme des Oberlandesgerichts Oldenburg, dass mit dem Erwerb des PKW am 19.11.2012 ein auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gerichteter Schadensersatzanspruch des Gebrauchtwagenkäufers gegen die Volkswagen AG aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden ist3. Allerdings beanstandet der Bundesgerichtshof, dass das Oberlandesgericht Oldenburg dem Gebrauchtwagenkäufer Deliktszinsen gemäß § 849 BGB auf einen Betrag von 12.784, 18 € vom 19.11.2011 bis 25.06.2019 zugesprochen hat. Ein solcher Anspruch scheidet aus Rechtsgründen aus, da der Gebrauchtwagenkäufer als Gegenleistung für die Kaufpreiszahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat4.

Die Revision der Volkswagen AG ist auch hinsichtlich des Ausspruchs des Oberlandesgerichts Oldenburg begründet, die Volkswagen AG befinde sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug. Der Gebrauchtwagenkäufer hat sein Angebot auf Rückgabe des Fahrzeugs durchgängig an die unberechtigte Bedingung der Erstattung des Kaufpreises ohne Berücksichtigung von Nutzungsvorteilen geknüpft. Er hat damit im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Volkswagen AG geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben5.

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Schließlich kann auf der Grundlage des revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalts die von der Volkswagen AG erhobene Einrede der Verjährung nicht zurückgewiesen werden; mangels entgegenstehender Feststellungen des Oberlandesgerichts Oldenburg ist für die revisionsrechtliche Prüfung der Sachvortrag der Volkswagen AG zu unterstellen, wonach der Gebrauchtwagenkäufer noch im Jahr 2015 sowohl Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen als auch von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeuges erlangt hat. Auf dieser Grundlage wäre es dem Gebrauchtwagenkäufer entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts Oldenburg noch im Jahr 2015 zumutbar gewesen, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen die Volkswagen AG aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Oldenburg bedurfte es hierzu keiner näheren Kenntnis des Gebrauchtwagenkäufers von den Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation der Volkswagen AG6. Damit wäre die dreijährige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der erst im Jahr 2019 erfolgten Klageerhebung bereits abgelaufen gewesen.

Die Sache ist insoweit allerdings nicht zur Entscheidung reif. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Gebrauchtwagenkäufer tatsächlich noch im Jahr 2015 Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB vom Dieselskandal allgemein und von der Betroffenheit seines Fahrzeugs hiervon erlangt hatte.

Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich eine solche Feststellung auch nicht der Aussage des Oberlandesgerichts Oldenburg „Damit ist den Geschädigten im Jahr 2015 zwar die Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge bekannt geworden, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Volkswagen AG begründenden Umstände“ entnehmen. Hierbei handelt es sich um eine im Rahmen der – rechtlichen – Prüfung gezogene Schlussfolgerung darüber, ob die Klageerhebung „den Geschädigten“ schon im Jahr 2015 zumutbar war, nicht aber um eine tatbestandliche Feststellung über den konkreten Kenntnisstand des Gebrauchtwagenkäufers. Soweit die Volkswagen AG geltend macht, es sei im Hinblick auf ihren unwidersprochen gebliebenen Instanzvortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, dass der Gebrauchtwagenkäufer insoweit Kenntnis gehabt habe, ist es dem Revisionsgericht verwehrt, entsprechende Feststellungen zu treffen7.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. Dezember 2021 – VI ZR 212/20

  1. LG Oldenburg, Urteil vom 06.09.2019 – 8 O 1151/19[]
  2. OLG Oldenburg, Urteil vom 30.01.2020 – 1 U 137/19[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn.20 ff.[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85; vom 14.12.2020 – VI ZR 573/20, NJW-RR 2021, 187 Rn. 4[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 17 ff. mwN[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, NJW 2021, 3250 Rn.20 mwN[]