Um den Erfahrungssatz, dass ein Käufer bei Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder untersagung vom Fahrzeugerwerb abgesehen hätte, im konkreten Einzelfall zu entkräften, bedarf es auf die konkrete Kaufentscheidung bezogenen Vortrages; allgemeine Erwägungen reichen nicht aus.

In dem hier vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Fall hat erstinstanzlich das Landgericht dem klagenden Autokäufer einen Schadensersatzanspruch gegen die beklagte Autoherstellerin aus § 826 BGB auf Rückgängigmachung des Gebrauchtwagen-Kaufvertrages vom 09.12.2013 durch Zahlung des Kaufpreises von 25.970.- € abzüglich der vom Autokäufer zu zahlenden Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Übereignung der streitgegenständlichen Pkw zuerkannt1. Das Oberlandesgericht wies die hiergegen gerichtete Berufung der Fahrzeugherstellerin zurück:
Der Bundesgerichtshof hat in Bezug auf ein anderes von der Autoherstellerin hergestelltes Fahrzeug mit Motor des Typs EA189 (auch) im Verhältnis zwischen der Autoherstellerin und dem Käufer eines von ihr hergestellten Gebrauchtwagens die planmäßige Entscheidung der Autoherstellerin für die Entwicklung der streitgegenständlichen Motorsteuerungs-Software sowie das anschließende bewusste und planmäßige Inverkehrbringen der Motoren des Typs EA189 und der damit ausgestatteten Fahrzeuge zum Zwecke der Erzielung eines höheren Gewinns als objektiv sittenwidriges Verhalten der Autoherstellerin angesehen, das einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Käufers gleichstehe2. Die abweichenden Entscheidungen der Oberlandesgericht Hamm, Frankfurt und Oldenburg3 sind dadurch sämtlich überholt, denn sie datieren alle aus der Zeit vor dem 25.05.2020.
Das vom Bundesgerichtshof Ausgeführte gilt unverändert auch für den Fall des Autokäufers und unabhängig davon, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Konstellationen dem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB durch spätere Entscheidungen Grenzen gezogen hat. Der im Fahrzeug des Autokäufers eingebaute Motor der Baureihe EA189 enthielt mit der streitgegenständlichen Motorsteuerungs-Software eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007. Der Pkw des Autokäufers war mithin bei Kaufvertragsabschluss am 09.12.2013 mit dem Risiko einer Betriebseinschränkung oder untersagung ausgesetzt; er war deshalb in kaufrechtlicher Hinsicht mangelhaft4.
Das Landgericht hat entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch zutreffend die haftungsbegründende Kausalität der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigungshandlung der Autoherstellerin festgestellt. Es hat unter Verweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25.05.2020 festgestellt, dass es generell Käufern bei zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeugen um deren Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit gehe; das rechtfertige bei generalisierender Betrachtung nach allgemeiner Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer wie hier der Autokäufer bei Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder untersagung vom Fahrzeugerwerb abgesehen hätte. Dieser Erfahrungssatz mag im konkreten Einzelfall dem Gegenbeweis oder der Erschütterung zugänglich sein. Entsprechenden Tatsachenvortrag, dass entweder kein derartiger Erfahrungssatz bestehe oder aber der Einzelfall anders liege, hat die dafür darlegungspflichtige Autoherstellerin jedoch nicht geleistet.
Die Autoherstellerin setzt dem vom Bundesgerichtshof gebilligten Argument des Landgerichts mit der allgemeinen Lebenserfahrung, dass niemand ein Fahrzeug mit einem Stilllegungsrisiko kaufe, das in weiten Teilen bereits in der Klagerwiderung enthaltene Vorbringen entgegen, es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Autokäufer das Fahrzeug auch bei Kenntnis von der Installation der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Motorsteuerung mit zwei Emissionskontroll-Modi und Prüfstandserkennung erworben hätte. Der häufige Einschub der Worte „im vorliegenden Einzelfall“ oder „im Einzelfall“ kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autoherstellerin insoweit nur ihr bekanntes Vorbringen wiederholt, die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs, die konkreten Schadstoffausstoßwerte oder die konkret hier vorhandene, unzulässige Abschalteinrichtung beim Kauf stellten eher nachgeordnete Gründe für die Wahl eines bestimmten Fahrzeugs dar, im Unterschied etwa zu Ausstattung, Design und Fahrleistungen.
Dabei ist schon ihre Ansicht nicht nachvollziehbar, es habe kein allein auf das Vorhandensein der Abschalteinrichtung zurückzuführendes Stilllegungsrisiko gegeben, nachdem der Bundesgerichtshof das Gegenteil erstmals mit Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 und sodann rechtskräftig in den oben zitierten und zahlreichen weiteren Urteilen gegen die Autoherstellerin immer wieder festgestellt hat5.
Aber auch abgesehen davon handelt es sich bei dem Autoherstellerinvorbringen zur Kaufmotivation von Kraftfahrzeugkäufern nicht um auf den konkreten Fall des hiesigen Autokäufers bezogene Behauptungen, sondern nur um allgemeine und damit abstrakte. Auf den konkreten Fall bezogen ist dabei ausschließlich die erstinstanzlich explizite Behauptung, dass genau dieser Autokäufer das Fahrzeug auch bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung gekauft hätte. Die Autoherstellerin hat dies jedoch auch schon in erster Instanz ausschließlich als Folgerung aus ihren allgemeinen Erwägungen dargestellt. Sie trägt auch jetzt nicht zu den konkreten Motiven gerade des Autokäufers des vorliegenden Rechtsstreits vor, sondern wiederholt nur ihre allgemeinen Wahrscheinlichkeitserwägungen zu unterschiedlichen Motiven für den Kauf eines Pkw; daran ändert auch die wiederholte Betonung des vorliegenden Einzelfalls nichts. Das Vorbringen ist gerade nicht auf die Kaufentscheidung konkret des Autokäufers im vorliegenden Falle bezogen, sondern stellt nichts Anderes als die senatsbekannt von der Autoherstellerin in früheren Parallelsachen erhobene allgemeine Behauptung dar, wegen des erfahrungsgemäßen Bestehens eines ganzen „Motivbündels“ für die Kaufentscheidung spiele für diese die konkrete Auslegung des Abgas-Nachbehandlungssystems erfahrungsgemäß eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Diesem Vorbringen jedoch hat der Bundesgerichtshof bereits eine ausdrückliche Absage erteilt6. Deswegen vermag der inhaltsgleiche Vortrag auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht dazu führen, dass die explizite Behauptung der Autokäuferseite, die Täuschungshandlung der Autoherstellerin sei ursächlich für seine Kaufentscheidung gewesen, weil kein vernünftiger Mensch solch ein Fahrzeug kaufen würde, als noch nicht bewiesen und noch beweisbedürftig anzusehen wäre.
Soweit die Autoherstellerin ferner das nachvertragliche Verhalten des Autokäufers anführt, stellt dieses schon deshalb kein Indiz gegen die Ursächlichkeit der vom Bundesgerichtshof festgestellten Täuschungshandlung der Autoherstellerin für die Kaufentscheidung des Autokäufers dar, weil dieser sich entgegen ihrem Vorbringen durchaus nicht „mehr als vier Jahre“ untätig verhalten hat, sondern sich unstreitig bereits kurz nach Schaffung der Möglichkeit der Musterfeststellungsklage zur Teilnahme an dieser angemeldet hat. Im Übrigen durfte der Autokäufer jedenfalls die Verjährungsfrist zur Überlegung ausnutzen.
Auch soweit die Autoherstellerin die fortwährende Nutzung des Fahrzeugs durch den Autokäufer anführt, ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Kapitalanlagesachen auf den Fall eines Fahrzeugkaufes nicht anwendbar. Ein genutztes Fahrzeug bietet anders als Kapitalanlagen keine eventuellen Gewinnmöglichkeiten, in deren Hoffnung der Kauf trotz Beseitigungsmöglichkeit aufrechterhalten worden sein könnte, wie der Bundesgerichtshof dies in Kapitalanlagesachen zugrunde legt7. Der Bundesgerichtshof hat bezogen auf die sog. „Abgasfälle“ in anderem Zusammenhang auch selbst maßgeblich darauf abgestellt, dass an einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug für den Erwerber Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit maßgeblich seien6.
Keine konkreten Tatsachen behauptet die Autoherstellerin schließlich für die vage vermutete Vertragsreue des Autokäufers nach dem Aufkommen von Diesel-Fahrverboten in Innenstädten.
Nach alledem hat das Landgericht zu Recht auch von einer Parteivernehmung des Autokäufers gem. §§ 447, 448 ZPO abgesehen und die Autoherstellerin in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gegen Übereignung und Übergabe des gekauften Fahrzeugs zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung und nebst Prozesszinsen verurteilt.
Die Autoherstellerin beanstandet mit der Berufung schließlich erfolglos die Feststellung des Annahmeverzuges auf den Klagantrag zu 2 des Autokäufers hin.
Die vom Schuldner zu erbringende Leistung muss dem Gläubiger gem. § 294, 295 BGB so, wie sie zu bewirken ist, angeboten werden, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in rechter Weise, also so, dass er nur noch zuzugreifen braucht (§§ 266, 269, 271 BGB)8. Wenn der Gläubiger seine Ablehnung schon erklärt hat oder die geschuldete Sache abzuholen ist, genügt ein – im vorstehenden Sinne konkretes – wörtliches Angebot; die letztere Fallalternative greift hier ein. Der Autokäufer hat sich mithin bereits in der Klageschrift zutreffend darauf berufen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch im auf eine Zugum-Zug-Leistung gerichteten Klageantrag bereits ein wörtliches Angebot liege9. Das Oberlandesgericht folgt dieser Rechtsprechung. Soweit der Autoherstellerinvortrag dazu in der Berufungsbegründung über die Ansicht hinausgeht, das Landgericht habe zu Unrecht den Annahmeverzug festgestellt, weil kein ordnungsgemäßes Angebot vorliege, werden darin keine konkreten Beanstandungen gegen die Entscheidung der Kammer erhoben. Die durchweg mit „wenn…“ und „soweit…“ eingeleiteten Ausführungen in der Berufungsbegründung dazu, unter welchen Umständen der Annahmeverzug nicht gegeben sei, gehen gerade nicht auf die konkrete Tatsachenfeststellung des Landgerichts i.S.d. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO ein. Daran ändert auch das Zitat des höchstrichterlichen Urteils vom 25.05.2020 nichts.
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 7 U 200/21
- BGH 25.05.2020 – 7 U 252/19[↩]
- s. nur BGH 25.05.2020 – 7 U 252/19[↩]
- OLG Hamm 17.03.2020 – 7 U 92/19 und 95/19; OLG Frankfurt /M 28.11.2019 – 19 U 173/19; OLG Oldenburg 20.12.2019 – 6 U 241/19[↩]
- vgl. BGH 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, in Juris Rz. 423, bes. 23; BGH 25.05.2020 – VI ZR 252/19, in Juris Rz. 17, 18, 22, 48, 53[↩]
- vgl. nur BGH 08.01.2019 – VIII ZR 225/17; 25.05.2020 – VI ZR 252/19[↩]
- BGH 25.05.2020 – VI ZR 252/19[↩][↩]
- vgl. etwa BGH 08.05.2012 – XI ZR 262/10[↩]
- Palandt /Grüneberg a.a.O. Rz. 3 zu § 294 m.w.N.[↩]
- BGHZ 181, 170; BGH NJW 1997, 581; dem folgend OLG Frankfurt /M OLGR 2008, 482; OLG Köln 07.12.2010 – 24 U 51/10[↩]