Dieselskandal – und die sekundäre Darlegungslast bei Schadensersatzklagen

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage zu befassen, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen hatte und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

Dieselskandal – und die sekundäre Darlegungslast bei Schadensersatzklagen

Im hier entschiedenen Fall nimmt der Autokäufer die beklagte Autoherstellerin auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch. Die Mutter des Autokäufers bestellte am 19.05.2010 bei einem Autohaus einen neuen Pkw VW Eos 2.0 TDI zum Kaufpreis von 41.000 €. Das Fahrzeug wurde im Juli 2010 ausgeliefert und auf den Autokäufer zugelassen. Es ist mit einem von der Autoherstellerin hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 EU 5 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Mit seiner Klage verlangt der Autokäufer Schadensersatz in Höhe von 41.000 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen, hilfsweise Zahlung von 17.000 € nebst Prozesszinsen und Feststellung, dass dem Autokäufer aufgrund der Ausstellung einer falschen Übereinstimmungsbescheinigung künftige Schäden zu ersetzen sind.

Weiterlesen:
Prozesskostenhilfe für eine GbR

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Braunschweig hat die Klage abgewiesen1). Das Oberlandesgericht Braunschweig hat die Berufung des Autokäufers zurückgewiesen2. Mit der vom Oberlandesgericht Braunschweig zugelassenen Revision verfolgt der Autokäufer sein Klageziel weiter und erhielt vom Bundesgerichtshof Recht; der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Oberlandesgericht Braunschweig. Mit der Begründung des Oberlandesgerichts Braunschweig kann ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden:

Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Oberlandesgerichts Braunschweig, es fehle an einer Sittenwidrigkeit des Tuns der Autoherstellerin, selbst wenn das Fahrzeug mit Billigung des Vorstandsvorsitzenden der Autoherstellerin mit der Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht worden sein sollte.

Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Braunschweig hat die Autoherstellerin die Typgenehmigung für das Fahrzeug in der Weise erlangt, dass sie die Software, die die Abgasrückführung auf dem Prüfstand abweichend vom normalen Straßenverkehr steuert, im Verfahren zur Erteilung einer Typgenehmigung beim KraftfahrtBundesamt nicht angegeben hat. Mangels abweichender Feststellungen ist für die revisionsrechtliche Überprüfung der im Berufungsurteil wiedergegebene tatsächliche Vortrag des Autokäufers zu unterstellen, dass die Autoherstellerin aus reinem Gewinnstreben gehandelt und sich insbesondere den Umstand zunutze gemacht hat, dass weder die Zulassungsbehörden noch die Kunden objektiv die Möglichkeit hatten, die vom Hersteller behauptete Übereinstimmung des Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ bei der Zulassung zu prüfen.

Weiterlesen:
Das vom Oberlandesgericht verworfene Ablehnungsgesuch

Das Inverkehrbringen von mit einer offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugen unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, und die Inkaufnahme der damit einhergehenden Belastung der Umwelt und der Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder untersagung der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, ist, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, als sittenwidrige Schädigung der unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge anzusehen3.

Angesichts dieses Tatvorwurfs durfte das Oberlandesgericht Braunschweig vom Autokäufer keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche konkrete bei der Autoherstellerin tätige Person ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt hat4.

Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat5.

Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden6.

Weiterlesen:
Berufungsbegründung - formularmäßige Sätze und allgemeine Redewendungen

Nach diesen Grundsätzen traf die beklagte Autoherstellerin die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat der Autokäufer konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Entscheidung über den Einsatz dieser unzulässigen Abschalteinrichtung in den Fahrzeugen der Autoherstellerin, ohne dies gegenüber dem KraftfahrtBundesamt offenzulegen, zumindest mit Billigung vormaliger Vorstände der Autoherstellerin getroffen wurde. Der Autokäufer steht insoweit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs und kann den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln. Demgegenüber ist der Autoherstellerin Vortrag hierzu möglich und zumutbar7.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig fällt der vom Autokäufer geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EGFGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB, anders als das Oberlandesgericht Braunschweig meint, nicht an8.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2021 – VI ZR 566/19

  1. LG Braunschweig, Urteil vom 31.08.2017 – 3 O 21717 (055[]
  2. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, ZIP 2019, 815[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 25; und vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 12 f.; BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 16[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 14 ff.[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 15 mwN[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 16 mwN[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn.19 mwN[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 24 mwN[]
Weiterlesen:
Keine Schenkungsanfechtung für Stiftungen

Bildnachweis: