Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage zu befassen, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte:

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts München1 ist das Verhalten der für die Autoherstellerin handelnden Personen im Verhältnis zum Autokäufer auf der Grundlage des mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrags des Autokäufers als sittenwidrig zu qualifizieren2. Die Untersagung der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs musste hierfür nicht unmittelbar bevorstehen. Es genügt, dass nicht feststand, welche der rechtlich möglichen und grundsätzlich auch die Vornahme einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV umfassenden Maßnahmen die Behörden bei Aufdeckung der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik ergreifen würden3. Da das sittenwidrige Verhalten der für die Autoherstellerin handelnden Personen in einem aktiven Tun und nicht in einem Unterlassen liegt4, kommt es auch nicht darauf an, ob die Autoherstellerin eine Pflicht zur Aufklärung über die verwendete Prüfstandserkennungssoftware traf5.
Die Revision wendete sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Oberlandesgerichts München, ein Anspruch aus § 826 BGB scheide bereits deshalb aus, weil der Autokäufer nicht habe beweisen können, dass der von ihm als Zeuge benannte damalige Vorstandsvorsitzende der Fahrzeugherstellerin, dessen Handeln sich die Autoherstellerin gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht habe.
Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat6.
Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden7.
Nach diesen Grundsätzen traf die Autoherstellerin die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte.
Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Fahrzeugherstellerin getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Autokäufers entziehen. Demgegenüber war der Fahrzeugherstellerin Vortrag hierzu möglich und zumutbar8.
Dem steht nicht entgegen, dass der Autokäufer seinen Vortrag hinsichtlich der gezielten Entwicklung und des Einsatzes der Prüfstandserkennungssoftware durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Fahrzeugherstellerin soweit substantiieren konnte, dass sich das Oberlandesgericht München zunächst veranlasst sah, diesen als Zeugen zu laden.
Zum einen rügt die Revision mit Erfolg (§ 286 ZPO), dass sich der Vortrag des Autokäufers, der Vorstand der Fahrzeugherstellerin habe über umfassende Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschaltsoftware verfügt, erkennbar auf den gesamten Vorstand der Fahrzeugherstellerin und nicht nur auf die Person ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden bezog. Ausweislich der tatbestandlichen Feststellung im Berufungsurteil hatte der Autokäufer behauptet, der Vorstand der Fahrzeugherstellerin habe nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der Prüfstandserkennungssoftware verfügt, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und das Inverkehrbringen der mangelbehafteten Motoren veranlasst, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert würden. Allein der Umstand, dass der damalige Vorstandsvorsitzende zunächst als Zeuge geladen wurde, bevor er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 Nr. 2 ZPO berief und wieder abgeladen wurde, entbindet die Autoherstellerin daher nicht von ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich des Verhaltens und der Kenntnis des Vorstands im Übrigen.
Zum anderen wäre der außerhalb des maßgeblichen Geschehens stehende Geschädigte – folgte man der Ansicht des Oberlandesgerichts München – schutzlos gestellt, wenn er in Bezug auf eine der handelnden Personen ausreichende Anhaltspunkte für ein (möglicherweise) strafbares Verhalten vortragen kann, diese Person jedoch naturgemäß wegen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung als Zeuge nicht zur Verfügung steht (§ 384 Nr. 2 ZPO). Das ist mit der aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz folgenden Verpflichtung zu einer fairen Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten9 nicht zu vereinbaren und hat der Bundesgerichtshof auch in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Sachverhalten, in denen von einer sekundären Darlegungslast ausgegangen wurde, nicht angenommen10.
Mit der pauschalen Behauptung, alles Zumutbare und Mögliche getan zu haben, um die tatsächlichen Geschehnisse aufzuklären, hat die Autoherstellerin dieser ihr obliegenden sekundären Darlegungslast erkennbar nicht genügt. Wie die Revision zu Recht rügt, bedurfte es insoweit – jenseits der Berufung auf eben die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, die einen zentralen Berufungsangriff des Autokäufers darstellte – keiner näheren Ausführungen durch den Autokäufer, welche Aufklärungsschritte der Fahrzeugherstellerin darüber hinaus noch zumutbar und möglich gewesen wären.
Mit der Begründung des Oberlandesgerichts München kann zudem der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden.
Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen11. Der vom Autokäufer geltend gemachte Schaden (Abschluss des ungewollten Kaufvertrags) liegt damit nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck des Gebots, das Fahrzeug nicht ohne gültige EG-Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr zu bringen, kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts München nicht an12.
Rechtsfehlerhaft hat das Oberlandesgericht München schließlich angenommen, dass sich der Schädigungsvorsatz der für die Autoherstellerin handelnden Personen darauf beziehen müsse, dass das Kraftfahrzeug für den Autokäufer aufgrund der „Schummelsoftware“ wertlos geworden sei. Da der Schaden des Käufers in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags liegt, reichte es für die Annahme des hierauf bezogenen Vorsatzes aus, wenn den genannten Personen bewusst war, dass in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben würde13.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Mai 2021 – VI ZR 154/20
- OLG München, Urteil vom 04.12.2019 – 3 U 4570/19[↩]
- vgl. im Einzelnen BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff., 21, 23; vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 12 f.; 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 12 f.; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn.19, 21[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16, 25 f., 29; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 26[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 15; vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 15; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 35[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 16; vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 16; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 37 ff. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn.19; vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn.19; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 39 ff.[↩]
- vgl. BVerfG NJW 2019, 1510 Rn. 12 ff.; BVerfG NJW 2000, 1483, 1484 42[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteil vom 18.01.2018 – I ZR 150/15, NJW 2018, 2412 Rn. 28 ff.; zum Ganzen BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 42[↩]
- BGH, Urteile vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 21; vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 21; vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 24; vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 23 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 63[↩]