Dieselskandal – und die Verjährung der Schadensersatzansprüche

Mit der Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sogenannten Dieselfall hatte sich der Bundesgerichtshof erneut1 zu befassen:

Dieselskandal – und die Verjährung der Schadensersatzansprüche

Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Eine solche Kenntnis liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht auf die zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt im Grundsatz die Kenntnis der den Einzelanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Hierzu gehört in Fällen unzureichender Beratung oder Aufklärung auch die Kenntnis der Umstände einschließlich der wirtschaftlichen Zusammenhänge, aus denen sich die Rechtspflicht zur Aufklärung ergibt. Die dem Geschädigten bekannten Tatsachen müssen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen2. Die dreijährige Verjährungsfrist gibt dem Geschädigten dann noch hinreichende Möglichkeiten, sich für das weitere Vorgehen noch sicherere Grundlagen, insbesondere zur Beweisbarkeit seines Vorbringens, zu verschaffen3.

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Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die erforderliche Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat. Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von „Verschulden gegen sich selbst“, vorgeworfen werden können4. Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht, noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an5. Das Unterlassen einer Nachfrage ist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen6.

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Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung und damit für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB trägt der Schuldner. Soweit es um Umstände aus der Sphäre des Gläubigers geht, hat dieser aber an der Sachaufklärung mitzuwirken und erforderlichenfalls darzulegen, was er zur Ermittlung der Voraussetzungen seiner Ansprüche und der Person des Schuldners getan hat7.

Die Feststellung, ob die Unkenntnis des Gläubigers von verjährungsauslösenden Umständen auf grober Fahrlässigkeit beruht hat, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften gewürdigt worden ist, und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grads des Verschuldens wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat8. Die Frage, wann eine für den Beginn der Verjährung hinreichende Kenntnis vorhanden ist, ist allerdings nicht ausschließlich Tatfrage, sondern wird maßgeblich durch den der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Begriff der Zumutbarkeit der Klageerhebung geprägt9. Die Frage, wann eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führt, unterliegt der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht10.

Nach diesen Maßgaben war die Klägerin im hier entschiedenen Fall nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten zu ermitteln, ob ihr Fahrzeug von dem Dieselskandal betroffen war.

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Selbst wenn es der Klägerin noch in dem verbleibenden – kurzen – Zeitraum seit Bekanntwerden des Dieselskandals und der Freischaltung der von der Beklagten gestellten Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass die Klägerin in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte und ihr Mutterkonzern seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten waren und auch weitere Erklärungen angekündigt hatten, war ein Zuwarten der Klägerin bis zum Ende des Jahres 2015 nicht schlechterdings unverständlich. Diesen vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in einem vergleichbaren Fall angestellten Erwägungen11 schließt sich der Bundesgerichtshof an. Auf die Frage, ob die Klageschrift noch im Jahre 2018 oder (erst) am 4.01.2019 beim Landgericht eingegangen ist, kommt es insoweit nicht an.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 226/20

  1. im Anschluss an BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 27[]
  2. st. Rspr., zB BGH, Urteil vom 11.09.2014 – III ZR 217/13, WM 2015, 445 Rn. 15; BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 8; jew. mwN[]
  3. BGH aaO[]
  4. st. Rspr., zB BGH, Urteile vom 08.07.2010 – III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 28; und vom 11.09.2014 aaO Rn. 16; BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, WM 2021, 1665 Rn. 14; jew. mwN[]
  5. BGH aaO Rn. 16 mwN[]
  6. BGH, Urteil vom 10.11.2009 – VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681 Rn. 16 mwN[]
  7. BGH, Urteil vom 29.07.2021 aaO Rn. 17 mwN[]
  8. st. Rspr., zB etwa BGH, Urteil vom 11.09.2014 aaO Rn. 17; BGH, Urteil vom 17.12.2020 aaO Rn. 16; jew. mwN[]
  9. BGH aaO; BGH aaO; jew. mwN[]
  10. BGH, Urteile vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 Rn. 44; und vom 17.12.2020 aaO[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 27[]
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