Dieselskandal – und die Verjährung der Schadensersatzansprüche

Der Bundesgerichtshof hatte aktuell erneut1 darüber zu entscheiden, ob die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche des Fahrzeugkäufers gegen die Volkswagen AG durch die Anmeldung der klägerischen Ansprüche zum Klageregister der am OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsklage gehemmt wurde.

Dieselskandal – und die Verjährung der Schadensersatzansprüche

Anlass hierfür war ein Rechtsstreit aus Württemberg, in dem der klagende Autokäufer die beklagte Volkswagen AG wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch nimmt:

Der Kläger erwarb 2011 bei einer Kfz-Händlerin ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug VW Golf VI 2.0 TDI zu einem Preis von 22.607 €. In dem mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestatteten Fahrzeug war eine Motorsteuerungssoftware verbaut, durch die auf dem Prüfstand bessere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb. Mit seiner im Oktober 2019 eingegangenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie die Zahlung von Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zur Musterfeststellungsklage an- und im September 2019 wieder abgemeldet.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Ellwangen hat der Klage überwiegend stattgegeben2. Dagegen hat das Oberlandesgericht Stuttgart auf die Berufung der Beklagten – unter Abweisung der Berufung des Klägers – das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen3. Einem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung stehe, so das Oberlandesgericht, die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Es sei keine Hemmung der Verjährung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erfolgt, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 in Gang gesetzt worden sei. Die rechtzeitige Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage noch im Jahr 2018 habe der Kläger nicht bewiesen. Eine Anmeldung zum Klageregister erst nach Ablauf der Verjährungsfrist wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurück.

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Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision, mit der der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgte, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen; mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung könne die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden:

Allerdings musste die Beklagte, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, die von ihr erstinstanzlich erhobene Einrede der Verjährung in der Berufungsinstanz nicht wiederholen. Für die Annahme eines diesbezüglich unterlassenen Berufungsangriffs oder gar eines Verzichts der Beklagten auf diese Einrede ist im Streitfall kein Raum. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt hat, die Beklagte habe zur Begründung ihrer Berufung auch die Verjährung eines etwa bestehenden Anspruchs vorgebracht, gelangt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der zulässigen Berufung grundsätzlich auch die erstinstanzlich erhobene Verjährungseinrede ohne Wiederholung in der Berufungsbegründung in die Berufungsinstanz.

Die Revision hat aber erfolgreich die Annahme des Berufungsgerichts beanstandet, die Verjährung der Klageforderung sei mit dem Schluss des Jahres 2018 – und daher vor der 2019 erfolgten Klageeinreichung – eingetreten. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Hemmung der Verjährung durch Anspruchsanmeldung zum Klageregister der gegen die Beklagte geführte Musterfeststellungsklage im Jahre 2018 nicht verneint werden. Für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs konnte daher dahinstehen, ob die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen hat.

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Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs tritt – wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat – grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt4.

Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Klägervortrag wurde vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben, hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche jedenfalls ab Beginn des Jahres 2019 wirksam zur Eintragung im entsprechenden Klageregister angemeldet (§ 608 ZPO) und liegt den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Unter diesen Voraussetzungen war die Erhebung der Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grundsätzlich geeignet, die Verjährung der klägerischen Ansprüche zu hemmen, und zwar auch dann, wenn – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine Anmeldung zum Klageregister noch im Jahr 2018 nicht bewiesen ist. Der Kläger hat nach Rücknahme der Anmeldung zudem auf der Grundlage einer von ihm zweitinstanzlich vorgelegten Urkunde innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die vorliegende Individualklage erhoben.

Dem Kläger ist es nicht verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung zu berufen. Der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB findet grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt, um im Anschluss Individualklage zu erheben. Der Gesetzgeber hat dem Gläubiger bewusst die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt und der anschließenden Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Individualklage eingeräumt und für diesen Fall eine spezifische Regelung über eine nachlaufende sechsmonatige Verjährungshemmung getroffen (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Nutzt der Gläubiger diese ihm ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der Anmeldungsrücknahme, handelt es sich daher grundsätzlich um einen einfachen Rechtsgebrauch und nicht um einen Rechtsmissbrauch5. Die Umstände des hier entschiedenen Streitfalles gaben dem Bundesgerichtshof keinen Anlass, hiervon abzuweichen.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Januar 2022 – VII ZR 303/20

  1. im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20[]
  2. LG Ellwangen, Urteil vom 11.02.2020 – 5 O 363/19[]
  3. OLG Stuttgart, Urteil vom 17.11.2020 – 10 U 85/20[]
  4. BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20 Rn. 24 ff.[]
  5. BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, Rn. 39 ff.; Urteil vom 19.10.2021 – VI ZR 189/20, Rn. 16[]

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