Einstweilige Verfügung – und die Verfassungsbeschwerde

Das Bundesverfassungsgericht hat  eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der Beschwerdeführerin im Verfahren ergangene wettbewerbsrechtliche einstweilige Verfügung richtet.

Einstweilige Verfügung – und die Verfassungsbeschwerde

Die Beschwerdeführerin vertreibt kleine Solaranlagen (sogenannte Balkonkraftwerke) an Endverbraucher. Sie wurde von einem Wettbewerber wegen des Vorwurfs künstlich generierter Rezensionen auf einem Online-Bewertungsportal abgemahnt. Die Beschwerdeführerin teilte daraufhin mit, sich wegen Urlaubsabwesenheit ihrer Geschäftsführer erst nach Ablauf der gesetzten Frist äußern zu können. Auf Antrag des Wettbewerbers erließ das Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung gegen die Beschwerdeführerin, ohne diese zuvor anzuhören. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht sie einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG) und das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend.

Die Beschwerdeführerin hat jedoch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine Erschöpfung des Rechtswegs nicht dargetan. Für eine ausnahmsweise direkt gegen eine einstweilige Verfügung gerichtete Verfassungsbeschwerde, mit der unter Berufung auf die prozessuale Waffengleichheit eine Verletzung prozessualer Rechte geltend gemacht wird, bedarf es eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses. Dafür reicht es nicht aus, einen Verfahrensfehler geltend zu machen. Vielmehr müssen die Zivilgerichte die aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit folgenden Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht ausrichten. An der näheren Darlegung eines solchen Feststellungsinteresses fehlt es hier.

Der Ausgangssachverhalt

Die Beschwerdeführerin wurde von einem Wettbewerber abgemahnt, der ihr vorhielt, auf einem Bewertungsportal im Internet künstlich generierte, nicht auf echten Kundenbeziehungen beruhende Rezensionen eingestellt zu haben.

Am Tag nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten Frist beantragte der Wettbewerber beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Im Verfügungsantrag sowie in der antragsgemäß und ohne Einbeziehung der Beschwerdeführerin erlassenen einstweiligen Verfügung wurde das Unterlassungsbegehren, das in der Abmahnung noch durch Verweis auf einen Internetlink zum Profil der Beschwerdeführerin auf dem Bewertungsportal näher beschrieben worden war, unter Bezugnahme auf Bildschirmfotografien (sogenannte Screenshots) fünf einzelner Rezensionen konkretisiert.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die einstweilige Verfügung hätte nicht ohne ihre Anhörung im Verfahren ergehen dürfen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die gesetzlichen Annahmevoraussetzungen nicht erfüllt sind. Insbesondere lägen die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden kann, nicht vor:

Weiterlesen:
Alternativangebote bei der WEG-Verwalter-Bestellung

Der Anwendung der Maßstäbe zur Handhabung der prozessualen Waffengleichheit in einem lauterkeitsrechtlichen Einzelfall kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch ist die Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden kann, liegen nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden, wenn zwar andere Rechtsverletzungen – auch ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör – fachgerichtlich angegriffen werden können, die Rügen der Verfassungsbeschwerde sich aber auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung selbst richten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wiederholt angenommen, wenn sich der Beschwerdeführer gegen ein seinem Vorbringen nach bewusstes und systematisches Übergehen seiner prozessualen Rechte wendet, das die Fachgerichte im Vertrauen darauf praktizierten, dass diese Rechtsverletzungen angesichts später eröffneter Verteidigungsmöglichkeiten folgenlos blieben und deshalb nicht geltend gemacht werden könnten. Diesbezüglich besteht ein fachgerichtlicher Rechtsbehelf nicht. Insbesondere gibt es keine prozessrechtliche Möglichkeit, etwa im Wege einer Feststellungsklage eine fachgerichtliche Kontrolle eines solchen Vorgehens zu erwirken1. Beinhaltet die unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gerügte Rechtsverletzung demgegenüber ausschließlich einen fachgerichtlich angreifbaren Verfahrensfehler, verbleibt es im Hinblick auf § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bei der vorrangigen Zuständigkeit der Fachgerichte.

Hieran gemessen hat die Beschwerdeführerin eine Erschöpfung des Rechtswegs nicht dargetan.

Die Beschwerdeführerin ließ der späteren Verfügungsantragstellerin auf deren Abmahnung vorgerichtlich mitteilen, nicht binnen der ihr gesetzten Frist – deren Angemessenheit die Beschwerdeführerin nicht in Zweifel zieht – inhaltlich erwidern zu können, weil die gleichzeitige Urlaubsabwesenheit beider Geschäftsführer eine Abstimmung mit dem Prozessbevollmächtigten verhindere, und daher eine Rückäußerung bis zum 1.08.2023 ankündigen. Ob das Landgericht vor diesem Hintergrund verfahrensfehlerhaft handelte, indem es vor Erlass der einstweiligen Verfügung am 27.07.2023 die unter anderen Umständen auch bei Absehen von einer mündlichen Verhandlung mit kurzer Frist – fernmündlich, per Telefax oder E-Mail – mögliche und gebotene Anhörung unterließ und dieser Verfahrensweise keinen Ausnahmecharakter beimaß, kann vorliegend dahinstehen.

Denn die Beschwerdeführerin hat jedenfalls die Voraussetzungen für eine vor Erschöpfung des Rechtswegs unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht entsprechend den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG dargelegt.

Weiterlesen:
Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz - und die Grundsätze der Selbstbetroffenheit und der Subsidiarität

Nicht jede Verletzung prozessualer Rechte kann unter Berufung auf die prozessuale Waffengleichheit im Wege einer auf Feststellung gerichteten Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach betont, dass es bei der Geltendmachung einer Verletzung prozessualer Rechte unter Berufung auf die prozessuale Waffengleichheit im Wege einer auf Feststellung gerichteten Verfassungsbeschwerde eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses bedarf2.

Die bloße Geltendmachung eines error in procedendo reicht hierfür nicht aus3. Für ein Feststellungsinteresse bedarf es nach der Klärung der Rechtslage durch mehrere Kammerentscheidungen näherer Darlegungen. Es setzt voraus, dass die Zivilgerichte die aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit folgenden Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht ausrichten4.

An der näheren Darlegung eines solchen Feststellungsinteresses fehlt es hier auch dann, wenn man trotz der fehlenden Darlegung einer Erwiderungsbereitschaft der Beschwerdeführerin einen Verfahrensfehler des Landgerichts durch Absehen von der Anhörung vor Erlass der einstweiligen Verfügung unterstellte.

Indem die Beschwerdeführerin undifferenziert und selektiv ausschließlich unter Bezugnahme auf bestimmte Kammerentscheidungen argumentiert, die sämtlich in äußerungsrechtlichen Konstellationen ergangen sind, vermag sie ein Feststellungsinteresse für eine unmittelbar gegen eine – wie vorliegend – lauterkeitsrechtliche einstweilige Verfügung gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert darzulegen. Zwar gelten die in den Beschlüssen vom 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17 – und – 1 BvR 2421/17 – entwickelten Maßstäbe zur Handhabung der prozessualen Waffengleichheit und des rechtlichen Gehörs im zivilrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren im Presse- und Äußerungsrecht im Grundsatz auch für einstweilige Verfügungsverfahren im Bereich des Lauterkeitsrechts5. Ihre Anwendbarkeit und die der weiteren von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen – teils erst in späteren Entscheidungen entwickelten – Maßstäbe für äußerungsrechtliche Konstellationen kann indes nicht pauschal unterstellt werden, sondern bedarf im Einzelfall der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ausgangssituationen und mit den vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen herausgearbeiteten Einschränkungen.

Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, ihre Anhörung im Verfahren sei wegen des von der Abmahnung abweichenden Unterlassungsbegehrens im Verfügungsantrag geboten gewesen, übergeht sie die Bedeutung der sogenannten Kerntheorie für lauterkeitsrechtliche einstweilige Verfügungen. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, bezieht sich unter Berücksichtigung der Kerntheorie ein Unterlassungsgebot auf den Inhalt der zu unterlassenden Handlung und weniger auf ihre konkrete Formulierung im Einzelfall; demnach ist es dem Antragsgegner im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich zumutbar, im Erwiderungsschreiben auf eine außergerichtliche Abmahnung auch zu kerngleichen, nicht-identischen Verstößen Stellung zu nehmen6.

Weiterlesen:
Verfassungsbeschwerde - und die Rechtswegerschöpfung

Abmahnung und Verfügungsantrag unterscheiden sich vorliegend bezüglich des – im übrigen wortgleich formulierten – Unterlassungsbegehrens allein insofern, als es sich in der Abmahnung auf alle unter dem angegebenen Internetlink im Profil der Beschwerdeführerin auf dem verfahrensgegenständlichen Internetportal zu findenden Rezensionen bezieht, während der Verfügungsantrag fünf beanstandete Rezensionen mittels Screenshot konkret identifiziert. Ausweislich der Begründung in der Abmahnung wirft der Wettbewerber der Beschwerdeführerin umfassend die Nutzung „gekaufter“ Rezensionen vor, wofür die fünf im Verfügungsantrag konkret abgebildeten Rezensionen lediglich Beispiele bilden, die im Kern dasselbe der Beschwerdeführerin vorgehaltene unlautere Verhalten im Wettbewerb illustrieren.

Wie das Bundesverfassungsgericht für lauterkeitsrechtliche Konstellationen ebenfalls bereits entschieden hat, fehlt es jedenfalls an einem Feststellungsinteresse, wenn sich die Abweichungen zwischen dem außergerichtlich geltend gemachten Unterlassungsverlangen und dem gestellten Verfügungsantrag in der Sache als geringfügig darstellen, weil das mit dem Verfügungsantrag beantragte und – nach Umformulierung durch das Gericht gemäß § 938 Abs. 1 ZPO – schließlich mit der angegriffenen Beschlussverfügung tenorierte Verbot als „Minus“ bereits in dem außergerichtlichen Unterlassungsverlangen enthalten war7. So lag es hier; denn das beantragte und tenorierte Verbot bezog sich auf einen kleinen Ausschnitt, nämlich fünf konkrete Rezensionen unter den mit der Abmahnung beanstandeten Rezensionen auf dem Portal.

Auch soweit die Beschwerdeführerin eine Anhörung wegen angeblich abweichender Begründung des Verfügungsantrags für geboten hielt, verfehlt sie die gebotene Auseinandersetzung mit den für lauterkeitsrechtliche Konstellationen entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben. Danach ist eine Identität der rechtlichen Begründung nicht erforderlich; eine Grenze ist erst dort zu ziehen, wo der gerichtliche Verfügungsantrag den im Rahmen der außergerichtlichen Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände und Sachverhaltsumstände neu einführt8.

Soweit die Beschwerdeführerin zunächst damit argumentiert, dass der Verfügungsantrag länger (15 Seiten) als die Abmahnung (sieben Seiten) gewesen sei, zeigt sie allein damit noch keine inhaltliche Abweichung auf; der Unterschied von acht Seiten kann vielmehr den unvermeidlichen formalen Unterschieden zwischen einem außergerichtlichen Anwaltsschreiben einerseits und einem förmlichen Antrag bei Gericht andererseits geschuldet sein.

Insofern verfehlt die Beschwerdeführerin die aus den § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG fließenden Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde auch dadurch, dass sie den zum Verständnis ihrer Verfassungsbeschwerde erforderlichen Verfügungsantrag nicht beigefügt hat. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, bedarf es außer der Vorlage der angegriffenen Entscheidungen auch der jener Schriftstücke, ohne deren Kenntnis sich die Berechtigung der erhobenen Rügen nicht beurteilen lässt; zumindest muss der wesentliche Inhalt wiedergegeben werden, weil das Bundesverfassungsgericht nur so in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob die Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen9. Dies hat die Beschwerdeführerin versäumt, indem sie nur kursorisch auf die beanstandeten Abweichungen gegenüber der Abmahnung eingeht.

Weiterlesen:
Verfassungsbeschwerde gegen die Änderung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes

Soweit die Beschwerdeführerin – in einem Satz – geltend macht, dass der Wettbewerber im Verfügungsantrag erstmals auf diverse Angebote von Unternehmen hingewiesen habe, bei denen die Beschwerdeführerin gefälschte Bewertungen gekauft haben soll, verfehlt sie die Auseinandersetzung mit der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts8, denn sie legt damit einen neuen Streitgegenstand nicht dar. Inwiefern in der erstmaligen Erwähnung dieser Angebote eine waffengleichheitsrelevante Begründungsänderung liegen soll, erschließt sich aus ihren Ausführungen nicht. Denn die Mutmaßung, dass die Beschwerdeführerin die beanstandeten Rezensionen „gekauft“ habe, dient nur der Illustration des streitgegenständlichen Vorwurfs unlauteren Verhaltens durch Verwendung solcher Rezensionen, bildet aber keinen neuen Streitgegenstand.

Auch hinsichtlich der in der Verfassungsbeschwerde nicht näher bezeichneten oder beschriebenen, dem Verfügungsantrag angeblich beigefügten elf Anlagen kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sie den Antrag gegenüber der Abmahnung inhaltlich geändert haben; denkbar ist beispielsweise, dass erst gegenüber dem Gericht eine Vollmacht, Handelsregisterauszüge oder ähnliches vorgelegt wurden, deren es für die Abmahnung nicht in jedem Fall zwingend bedurfte.

Anders als in äußerungsrechtlichen Konstellationen ist dem Antragsgegner nicht auch in lauterkeitsrechtlichen Konstellationen regelmäßig schon dann notwendig rechtliches Gehör zu gewähren, wenn der Antragsteller durch ergänzenden Vortrag10 erstmals in seinem Verfügungsantrag sein Vorbringen glaubhaft macht11. Denn im Presse- und Äußerungsrecht geht es regelmäßig um Veröffentlichungen über die Verhältnisse Dritter – meist des Verfügungsantrag- stellers, deren Wahrheitsgehalt dieser mit der Glaubhaftmachung zu erschüttern unternimmt. Im Lauterkeitsrecht hingegen betrifft das Unterlassungsbegehren das nach Auffassung des Verfügungsantragstellers unlautere eigene Verhalten des Antragsgegners. Diesem gegenüber bedarf es regelmäßig keiner außergerichtlichen Glaubhaftmachung bezüglich seines eigenen Verhaltens im Wettbewerb. Ohne substantiierte Darlegung, welche Tatsachen angeblich erstmals mit dem Verfügungsantrag glaubhaft gemacht wurden, ist ein Feststellungsinteresse auch insofern nicht aufgezeigt.

Weiterlesen:
Verfassungsbeschwerde in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren

Die Darlegung eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses ist vorliegend auch nicht entbehrlich. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, geht insofern eine Bezugnahme auf den Beschluss vom 03.06.202012 fehl, weil ein Verzicht auf diese Anforderung der dortigen Verfahrenskonstellation geschuldet war13. Dort war ein schwerwiegender Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG geltend gemacht worden. Die Darlegung eines besonderen Feststellungsinteresses kann nur ausnahmsweise entbehrlich sein, solange eine offenkundig prozessrechtswidrig erlassene einstweilige Verfügung noch fortwirkt und schwere, grundrechtlich erhebliche Nachteile des Beschwerdeführers im Sinne der § 32 Abs. 1, § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG geltend gemacht werden, die ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts noch während des laufenden fachgerichtlichen Verfahrens gebieten14.

Vorliegend fehlt es für ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs an der Darlegung eines schweren Nachteils, der durch die Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO nicht aufgefangen werden könnte. Allein die fortgesetzte Belastung durch einen einseitig erstrittenen – woran vorliegend mangels Erwiderungsbereitschaft der Beschwerdeführerin bereits Zweifel bestehen – Unterlassungstitel reicht hierzu nicht aus. Vielmehr müsste die Beschwerdeführerin auch in der Sache durch die Unterlassungsverpflichtung belastet sein15. Dem Schutz des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren wird – systemimmanent – durch die verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht gemäß § 945 ZPO Rechnung getragen. Anders als etwa im Fall einer untersagten Presseveröffentlichung dürfte diese Kompensationsmöglichkeit in lauterkeitsrechtlichen Fällen regelmäßig in Betracht kommen16. Dafür, dass die Beschwerdeführerin einen durch die Schadensersatzpflicht gemäß § 945 ZPO nicht ausgleichbaren Nachteil erlitte, wenn sie die beanstandeten Rezensionen erst nach Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens wieder auf ihrem Profil auf dem verfahrensgegenständlichen Bewertungsportal einstellen könnte, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. September 2023 – 1 BvR 1728/23

  1. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 06.06.2017 – 1 BvQ 16/17 u.a., Rn. 10 f.; vom 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, Rn. 10 und – 1 BvR 2421/17, Rn. 23; Beschlüsse vom 03.06.2020 – 1 BvR 1246/20, Rn. 12; vom 17.06.2020 – 1 BvR 1380/20, Rn. 12; vom 22.12.2020 – 1 BvR 2740/20, Rn. 16; vom 11.01.2021 – 1 BvR 2681/20, Rn. 25; vom 04.02.2021 – 1 BvR 2743/19, Rn. 13; vom 06.02.2021 – 1 BvR 249/21, Rn. 16; vom 01.12.2021 – 1 BvR 2708/19, Rn. 18; vom 11.01.2022 – 1 BvR 123/21, Rn. 29; vom 21.04.2022 – 1 BvR 812/22, Rn. 16; Beschlüsse vom 27.10.2022 – 1 BvR 1846/22, Rn.20; vom 10.11.2022 – 1 BvR 1941/22, Rn. 16; vom 26.04.2023 – 1 BvR 718/23, Rn. 18; vom 24.05.2023 – 1 BvR 605/23, Rn. 22; vom 15.06.2023 – 1 BvR 1011/23, Rn. 22; vom 25.08.2023 – 1 BvR 1612/23, Rn. 13[]
  2. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 06.06.2017 – 1 BvQ 16/17 u.a., Rn. 11; vom 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, Rn. 11 und – 1 BvR 2421/17, Rn. 24; Beschlüsse vom 08.10.2019 – 1 BvR 1078/19, Rn. 3; vom 27.07.2020 – 1 BvR 1379/20, Rn. 9; vom 04.02.2021 – 1 BvR 2743/19, Rn. 15 ff.; vom 24.03.2022 – 1 BvR 375/21, Rn. 9; Beschluss vom 10.11.2022 – 1 BvR 1941/22, Rn. 17[]
  3. vgl. BVerfGE 138, 64 <87 Rn. 71> m.w.N. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2020 – 1 BvR 1379/20, Rn. 10[]
  5. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2020 – 1 BvR 1379/20, Rn. 6[]
  6. vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2020 – 1 BvR 1379/20, Rn. 21 f.[]
  7. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.12.2020 – 1 BvR 2575/20, Rn. 21 f.; vom 22.01.2021 – 1 BvR 2793/20, Rn. 23[]
  8. vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.12.2020 – 1 BvR 2575/20, Rn. 23[][]
  9. vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.> 129, 269 <278> BVerfG, Beschluss vom 15.02.2023 – 1 BvR 1773/22, Rn. 10; stRspr[]
  10. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, Rn. 24 und – 1 BvR 2421/17, Rn. 36[]
  11. vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.11.2022 – 1 BvR 1941/22, Rn. 22[]
  12. BVerfG, Beschluss vom 03.06.2020 – 1 BvR 1246/20[]
  13. vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.09.2020 – 1 BvR 1617/20, Rn. 11[]
  14. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.09.2020 – 1 BvR 1617/20, Rn. 7; vom 04.02.2021 – 1 BvR 2743/19, Rn. 16[]
  15. vgl. BVerfG, Beschluss der 3.Kammer vom 01.09.2020 – 2 BvQ 61/20, Rn. 11[]
  16. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27.07.2020 – 1 BvR 1379/20, Rn. 25; vom 22.01.2021 – 1 BvR 2793/20, Rn. 18 f.; vom 23.07.2021 – 1 BvR 1653/21, Rn. 4; vom 24.03.2022 – 1 BvR 375/21, Rn. 13 ff.[]
Weiterlesen:
Gegenstandswert für eine für erledigt erklärte Vefassungsbeschwerde

Bildnachweis: