Eine einstweilige Verfügung, mit der dem Schuldner eines Besichtigungsanspruchs im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens aufgegeben wird, die Inaugenscheinnahme durch einen Sachverständigen und Eingriffe in die Substanz der untersuchten Sache zu dulden und zudem dem Sachverständigen sowie anderen Personen Zutritt zu seinen Geschäftsräumen zu gewähren, stellt ihrem Schwerpunkt nach eine Duldungsverfügung dar, die nach § 890 ZPO zu vollstrecken ist.

Die Kosten der Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers zum Begutachtungstermin sind regelmäßig notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO) einer solchen Duldungsverfügung.
Kosten, die durch die Teilnahme von anwaltlichen Vertretern des Gläubigers am Begutachtungstermin entstehen, sind keine Kosten der Zwangsvollstreckung einer solchen Duldungsverfügung. Sie sind als Kosten des Beweisverfahrens im Wege eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs oder im Rahmen der Kostenerstattung des nachfolgenden Hauptsacheprozesses geltend zu machen.
Im vorliegenden Verfahren ist den Schuldnerinnen mit einstweiliger Verfügung aufgegeben worden, zur Ermöglichung der Beweisanordnung im parallel geführten selbständigen Beweisverfahren eine Reihe von Maßnahmen zu dulden. Hierzu zählte die Duldung der Untersuchung des IT-Systems der Schuldnerinnen, der Inaugenscheinnahme und Untersuchung des Programm- und Quellcodes des Programms iTrade sowie des Extrahierens, Sicherns und Vervielfältigens und der Mitnahme des Programm- und Quellcodes. Weiter wurde den Schuldnerinnen untersagt, für die Dauer der Begutachtung Veränderungen am Programm vorzunehmen oder dieses zu löschen. Die Schuldnerinnen wurden weiter verpflichtet, die Anwesenheit des Sachverständigen, seiner Hilfspersonen und vier namentlich genannter anwaltlicher Vertreter der Gläubigerin in ihren Geschäftsräumen während der Begutachtung zu dulden. Die Rechtsanwälte der Gläubigerin wurden zur Geheimhaltung verpflichtet und den Schuldnerinnen wurde die Möglichkeit eingeräumt, während der Zurückstellung der Besichtigung binnen einer Stunde anwaltliche Hilfe hinzuzuziehen. Der Gerichtsvollzieher wurde im Falle der Weigerung der Schuldnerinnen zur Sequestration ermächtigt. Den Schuldnerinnen wurden für den Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsmittel angedroht.
Für die Kosten der Zwangsvollstreckung aus einer einstweiligen Verfügung gelten die Vorschriften der §§ 788 und 104 ZPO entsprechend. Dies folgt aus § 928 ZPO, der auf die einstweilige Verfügung gemäß § 936 ZPO entsprechende Anwendung findet, und der vorsieht, dass auf die Vollziehung des Arrests die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechend anzuwenden sind. Das Gesetz versteht unter Vollziehung die Zwangsvollstreckung des Arrests und der einstweiligen Verfügung, wobei die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung deshalb nur entsprechend angewendet werden sollen, weil Arrest- und Verfügungsgläubiger im Regelfall lediglich Sicherung, aber nicht Befriedigung verlangen können1.
Die von der Gläubigerin geltend gemachten Gerichtsvollzieherkosten sowie der Auslagenvorschuss für die Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses stellen notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 788 Abs. 1 ZPO dar.
Gemäß § 788 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO fallen die Kosten der Zwangsvollstreckung, soweit sie notwendig waren, dem Schuldner zur Last. Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Kosten verweist die Vorschrift auf § 91 ZPO. Notwendig sind danach Kosten, wenn sie für eine Maßnahme angefallen sind, die der Gläubiger zum Zeitpunkt ihrer Vornahme bei verständiger Würdigung der Sachlage zur Durchsetzung seines titulierten Anspruchs objektiv für erforderlich halten durfte. Nicht notwendig sind insbesondere die Kosten voreiliger Vollstreckungsmaßnahmen2.
Die Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers zum Begutachtungstermin stellt sich mit Blick darauf als für die Anspruchsdurchsetzung erforderlich dar, dass der Erfolg der Begutachtung gefährdet gewesen wäre, wenn die Gläubigerin bei einem ohne Gerichtsvollzieher unternommenen Begutachtungsversuch auf Widerstand der Schuldnerinnen gestoßen wäre. Ein solcher Widerstand hätte nur unter Zuhilfenahme des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO überwunden werden können. Nur der Gerichtsvollzieher war zudem durch die einstweilige Verfügung für den Fall der Weigerung der Schuldnerinnen zur Wegnahme der zu sequestrierenden Sache3, ermächtigt. Die Gläubigerin musste nicht das Risiko eingehen, dass in der bis zu einem zweiten, nunmehr in Anwesenheit des Gerichtsvollziehers durchzuführenden Begutachtungstermin verstreichenden Zeit den Untersuchungszweck gefährdende Veränderungen am zu begutachtenden Computerprogramm vorgenommen würden, sondern durfte zur Sicherstellung der Begutachtung den Gerichtsvollzieher sogleich beim ersten Begutachtungstermin hinzuziehen.
Hingegen handelt es sichbei den von der Gläubigerin geltend gemachten Kosten für die Anwesenheit ihrer Rechtsanwälte im Begutachtungstermin nicht um notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 788 Abs. 1 ZPO. Die Gläubigerin macht insoweit ohne Erfolg geltend, erst durch die Teilnahme ihrer anwaltlichen Vertreter habe die Gläubigerin ihren Willen nach außen dokumentiert, von der einstweiligen Verfügung auch hinsichtlich der Pflicht der Schuldnerinnen Gebrauch zu machen, den Rechtsanwälten der Gläubigerin Zutritt zu verschaffen und ihre Anwesenheit während der Begutachtung zu dulden.
Im Falle eines im Wege der einstweiligen Verfügung erlassenen Verbots folgt bereits aus der im Parteibetrieb vorgenommenen Zustellung einer mit Ordnungsmittelandrohung gemäß § 890 Abs. 2 ZPO versehenen Beschlussverfügung der hinreichende Wille des Gläubigers, von diesem Titel Gebrauch zu machen4.
Im Streitfall handelt es sich um eine Duldungs- und Unterlassungsverfügung. Die Titulierung einer Duldungs- oder Unterlassungsverpflichtung kann eine gleichfalls nach § 890 ZPO vollstreckbare Verpflichtung zur Handlung beinhalten, wenn der Schuldner der Pflicht zur Duldung oder Unterlassung nur genügen kann, indem er die hierfür erforderliche positive Handlung vornimmt5. Ob ein Titel Handlungspflichten auferlegt oder Unterlassung fordert, ist im Wege der Auslegung mit Blick auf den Schwerpunkt der jeweils in Rede stehenden Verpflichtung zu beurteilen6. Der Schwerpunkt der Verpflichtung des Schuldners eines Besichtigungsanspruchs, der die Inaugenscheinnahme durch einen Sachverständigen, Eingriffe in die Substanz der untersuchten Sache oder ihre Stilllegung dulden muss und zudem dem Sachverständigen sowie etwaigen anderen Personen Zutritt zu seinen Geschäftsräumen zu gewähren hat, liegt in der Duldung des gesamten Besichtigungs- und Untersuchungsvorgangs7.
Die im Streitfall ergangene einstweilige Verfügung enthält ihrem Schwerpunkt nach die Anordnung von Duldungspflichten. Soweit die Schuldnerinnen aktive Handlungen – etwa die Gewährung des Zugangs oder die Bereitstellung von Passwörtern – vorzunehmen hatten, waren diese lediglich zur Erfüllung der durch die einstweilige Verfügung auferlegten Duldungspflichten erforderliche Hilfshandlungen.
Selbst wenn es – wie im Streitfall nicht – infolge einer Weigerung der Schuldnerinnen der zwangsweisen Durchsetzung des Anwesenheitsrechts der Rechtsanwälte der Gläubigerin beim Begutachtungstermin bedurft hätte, wäre nicht die Anwesenheit der Rechtsanwälte selbst ein Akt der Zwangsvollstreckung, sondern lediglich deren Sicherstellung durch Zwangsmaßnahmen etwa des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO. Die Gegenansicht verwechselt hier eine Maßnahme der zwangsweisen Durchsetzung der Duldungspflicht mit dem Gegenstand dieser Duldungspflicht.
Die Gläubigerin dringt auch nicht mit ihrem Einwand durch, die Anwesenheit ihrer anwaltlichen Vertreter sei zur Koordinierung der Besichtigung und zur Vermeidung von Problemen hinsichtlich der in der einstweiligen Verfügung angeordneten Maßnahmen erforderlich gewesen. Selbst wenn die Anwesenheit der anwaltlichen Vertreter im Besichtigungstermin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sein sollte, ändert dies nichts an dem Umstand, dass nach dem Vorstehenden die Teilnahme der anwaltlichen Vertreter keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung darstellt.
Die Gläubigerin ist daher darauf zu verweisen, die Kosten der Besichtigung, die Kosten des Beweisverfahrens darstellen, entweder im Wege eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs8 oder im Rahmen der Kostenerstattung des nachfolgenden Hauptsacheprozesses geltend zu machen9.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. Juli 2020 – I ZB 79/19
- vgl. BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73, 77 18]; Urteil vom 15.07.1999 – IX ZR 239/98, BGHZ 142, 208, 209 6]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 928 Rn. 1; Ahrens/Büttner, Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl., Kap. 57 Rn. 2; Teplitzky/Feddersen, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 55 Rn. 37[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 05.03.2020 – I ZB 50/19 16 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.11.2000 – III ZR 314/99, BGHZ 146, 20, 22 9][↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2014 – I ZR 249/12, GRUR 2015, 196 Rn. 17 und 30 = WRP 2015, 209 – Nero; Teplitzky/Feddersen aaO Kap. 57 Rn. 41[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1977 – I ZR 109/75, GRUR 1977, 614, 616 22] – Gebäudefassade; Beschluss vom 11.10.2017 – I ZB 96/16, GRUR 2018, 292 Rn.20 = WRP 2018, 473, mwN; Zöller/Seibel aaO § 890 Rn. 4[↩]
- vgl. MünchKomm-ZPO/Gruber, 5. Aufl., § 890 Rn. 6[↩]
- vgl. Grabinski in Festschrift Mes, 2009, S. 129, 135 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn.19[↩]
- vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl., Kap. B Rn. 169 und 175; Kühnen/Grunwald, GRURPrax 2018, 513 f.[↩]
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