Die Duldungspflicht nach § 16a Abs. 1 des Berliner Nachbarrechtsgesetz (NachbG Bln) gilt nicht für eine die Grundstücksgrenze überschreitende Wärmedämmung einer Grenzwand, mit der der benachbarte Grundstückseigentümer erstmals die Anforderungen der bei der Errichtung des Gebäudes bereits geltenden Energieeinsparverordnung (hier: EnEV 2001) erfüllt.

In diesem Zusammenhang hat es der Bundesgerichtshof ausdrücklich offen gelassen, ob § 16a Abs. 1 NachbG Bln überhaupt verfassungsgemäß ist.
Für den Bundesgerichtshof ist bereits fraglich, ob § 16a NachbG Bln verfassungsgemäß ist. Bedenken bestehen zunächst hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin. Für das bürgerliche Recht besteht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG); für eine Gesetzgebung der Länder ist daher nur Raum, solange und soweit der Bund die Materie nicht erschöpfend geregelt hat. Ob sich insbesondere aus Art. 124 EGBGB ergibt, dass die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Überbaus in § 912 BGB erschöpfend geregelt worden sind, ist streitig1. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage offengelassen2. In materieller Hinsicht ist zweifelhaft, ob der Berliner Landesgesetzgeber die grundrechtlich geschützten Interessen des von dem Überbau betroffenen Nachbarn ausreichend berücksichtigt hat; Einschränkungen der Duldungspflicht, wie sie etwa § 7c NRG BW, § 23a NachbG NRW oder § 10a NachbG HE enthalten, sind in § 16a NachBG Bln nämlich nicht aufgenommen worden3. Ob § 16a Abs. 1 NachbG Bln formell und materiell verfassungsgemäß ist, kann allerdings offen bleiben, weil hier schon die Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt sind.
Nach § 16a Abs. 1 NachbG Bln hat der Eigentümer eines Grundstücks die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu dulden, „wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht“. Hieran fehlt es. Bei dem Mehrfamilienhaus der Wohnungseigentümer handelt es sich nicht um ein bestehendes Gebäude im Sinne dieser Vorschrift.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ist das Mehrfamilienhaus zwar in den Jahren 2004/2005 und damit vor Inkrafttreten der Vorschrift des § 16a NachbG Bln am 31.12 20094 errichtet worden. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die Wärmedämmung als nachträgliche Sanierungsmaßnahme darstellt. Die Duldungspflicht nach § 16a Abs. 1 NachbG Bln gilt nicht für eine die Grundstücksgrenze überschreitende Wärmedämmung einer Grenzwand, mit der der benachbarte Grundstückseigentümer erstmals die Anforderungen der bei der Errichtung des Gebäudes bereits geltenden Energieeinsparverordnung (EnEV) erfüllt.
Diese Einschränkung findet zwar im Wortlaut von § 16a NachbG Bln keinen ausdrücklichen Niederschlag. Sie ergibt sich aber aus der gebotenen Auslegung der Vorschrift nach deren Sinn und Zweck. Der Landesgesetzgeber wollte Grundstückseigentümern nicht generell gestatten, eine Wärmedämmung grenzüberschreitend, also im Wege des Überbaus, anzubringen. Er verfolgte vielmehr das Ziel, energetische Sanierungen von Altbauten zu erleichtern. Diese wurden bei Gebäuden, die auf der Grundstücksgrenze stehen, häufig dadurch erschwert, dass der Nachbar die notwendige Zustimmung zu dem durch die Verkleidung der Grenzwand mit einem Wärmeverbundsystem entstehenden Überbau verweigerte oder von unverhältnismäßigen finanziellen Forderungen abhängig machte. Dem sollte durch die Einführung einer Duldungspflicht begegnet werden5.
Anders als für den Altbaubestand hat der Landesgesetzgeber für die Wärmedämmung von Neubauten kein Regelungsbedürfnis gesehen. Er hat im Gegenteil ausgeführt, dass die Duldungsverpflichtung nur bei Bestandsbauten und nicht bei Neubauten gilt, weil den Wärmeschutzanforderungen durch eine entsprechende Planung Rechnung getragen werden kann6. Für Neubauten bleibt es somit bei dem Grundsatz, dass sie so zu planen sind, dass sich die Wärmedämmung in den Grenzen des eigenen Grundstücks befindet7.
Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Mehrfamilienhaus der Wohnungseigentümer nicht um ein bestehendes Gebäude im Sinne des § 16a Abs. 1 NachbG Bln. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Bauträger das Gebäude in den Jahren 2004/2005 und damit nach Inkrafttreten der EnEV 2001 vom 16.11.20018 errichtet. Diese galt für Vorhaben, für die vor Inkrafttreten der Verordnung der Bauantrag gestellt oder die Bauanzeige erstattet worden war (§ 19 EnEV 2001), und damit auch für das Mehrfamilienhaus der Wohnungseigentümer. Die in der EnEV 2001 enthaltenen Wärmeschutzanforderungen konnte und musste der Bauträger bei Errichtung des Gebäudes beachten. Wollte er – wie hier – die Anforderungen der EnEV 2001 durch Anbringung einer Außendämmung erfüllen, musste er das Gebäude so planen und erstellen, dass sich das Dämmmaterial in den Grenzen des eigenen Grundstücks befindet. Das hat er nicht getan, sondern das ungedämmte Mehrfamilienhaus unmittelbar an die Grenze zum Grundstück des Nachbarn gebaut. Die Wärmedämmung der Grenzwand stellt sich somit nicht als nachträgliche Sanierung, sondern als erstmalige Erfüllung der Anforderungen der bei Errichtung des Gebäudes geltenden Energieeinsparverordnung. Für diese gilt die Duldungspflicht des Nachbarn nach § 16a Abs. 1 NachbG Bln nicht.
Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass ein Duldungsanspruch der Wohnungseigentümer nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleitet werden kann.
Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Zwar ist auch auf sie der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden. Daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammengefasst werden. Eine daraus folgende selbständige Verpflichtung ist aber mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden. Das Rechtsinstitut darf insbesondere nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren9.
Ein Ausnahmefall, in dem eine Unterlassungsverpflichtung aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleitet werden könnte, wird durch das Interesse des Gebäudeeigentümers und der Allgemeinheit an einer Wärmedämmung nicht begründet. Das würde zu einer weitgehenden Zulässigkeit einer die Grundstücksgrenze überschreitenden Wärmedämmung führen und die nachbarrechtlichen Vorschriften in ihr Gegenteil verkehren10. Das gilt auch dann, wenn die Überbauung, wie hier, nur wenige Zentimeter beträgt.
Das Berufungsgericht verneint im Ergebnis zu Recht auch einen Duldungsanspruch der Wohnungseigentümer aus Gestattung im Zusammenhang mit dem „Nachbarschaftsvertrag“ vom 26.10.2004.
Benachbarte Grundstückseigentümer haben allerdings die Möglichkeit, die Folgen eines Überbaus durch Rechtsgeschäft in gewissem Umfang abweichend von § 912 BGB zu bestimmen. Das ergibt sich – unbeschadet der grundsätzlich zwingenden Natur sachenrechtlicher Vorschriften – daraus, dass in § 912 BGB selbst maßgeblich auf den Willen der beiden Nachbarn abgehoben wird, und zwar sowohl in der Person des Überbauers („Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit“) als auch in der des Betroffenen („Widerspruch“). Der gestattete Überbau ist nicht rechtswidrig. Die Duldungspflicht des Nachbarn folgt aus der Abrede11. Wie § 912 BGB beim gutgläubigen Überbau schafft die Zustimmung bei der rechtmäßigen Grenzüberbauung den Rechtsgrund dafür, dass der Nachbar den fremden Gebäudeteil auf seinem Grundstück dulden muss. Die auf dem Willen der Beteiligten beruhende Legitimation begrenzt zugleich deren Umfang und Bestand12.
An einer solchen Gestattung des Überbaus durch den Nachbarn fehlt es hier jedoch.
Sie ergibt sich nicht aus dem „Nachbarschaftsvertrag“ vom 26.10.2004. Der Überbau ist in dem Vertrag nicht genannt. Dass die Vertragsparteien in dessen Vorfeld über die grenzüberschreitende Wärmedämmung gesprochen haben, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Auf den „Nachbarschaftsvertrag“ als solchen stützt sich die Revision auch nicht.
Eine Gestattung des Überbaus liegt auch nicht darin, dass der Nachbar gegenüber der Baubehörde in Erfüllung des „Nachbarschaftsvertrags“ vom 26.10.2014 den Widerspruch gegen die dem Bauträger erteilte Baugenehmigung zurückgenommen, dem geänderten Bauvorhaben zugestimmt und erklärt hat, dass ihm die maßgeblichen Pläne ausgehändigt und erläutert worden seien.
Bei den geschilderten Erklärungen des Nachbarn im Baugenehmigungsverfahren handelt es sich um eine Nachbarzustimmung (vgl. § 70 Abs. 2, § 71 Abs. 2 BauO Bln). Diese ist eine dem öffentlichen Recht angehörende, der Baubehörde gegenüber abzugebende Willenserklärung, wonach gegen das Bauvorhaben öffentlichrechtliche Einwendungen nicht (mehr) erhoben werden. Sie besitzt grundsätzlich keine zivilrechtliche Wirkung, und durch sie gehen bürgerlichrechtliche Abwehransprüche des Nachbarn nicht verloren13. Die Baugenehmigung ergeht vielmehr unbeschadet privater Rechte Dritter (vgl. § 71 Abs. 4 BauO Bln). Sie hat keine privatrechtsgestaltende Ausschlusswirkung14.
Die Erklärungen des Nachbarn können deshalb auch nicht als (konkludente) rechtsgeschäftliche Gestattung des Überbaus gewertet werden. Hierzu bedürfte es anderer Umstände, die – ggf. in der Zusammenschau mit der Nachbarzustimmung – den Schluss zuließen, der Nachbar habe den Überbau auch rechtsgeschäftlich gestatten wollen. Vortrag zu solchen Umständen zeigt die Revision nicht auf. Dass der Überbau aus den Plänen zu dem geänderten Baugenehmigungsantrag ersichtlich gewesen sein soll, ist nicht ausreichend, weil sich daraus noch nicht einmal entnehmen lässt, dass der Nachbar ihn wahrgenommen hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. Juni 2017 – V ZR 196/16
- vgl. zum Meinungsstand Staudinger/Karl-Dieter Albrecht, BGB [2012], EGBGB Art. 124 Rn. 8[↩]
- BVerfGK 11, 420, 431 f. zu § 7b NRG BW[↩]
- vgl. MünchKomm-BGB/Brückner, 7. Aufl., § 912 Rn. 49; siehe auch BVerfGK 11, 420, 430 zu § 7 b NRG BW[↩]
- GVBl. Bln 2009, 870[↩]
- vgl. Antrag der Fraktion der CDU zum Gesetz zur Änderung des Berliner Nachbarrechtsgesetzes [NachbG Bln] vom 01.09.2009, Drucks. 16/2594 S. 2 des Abgeordnetenhaus Berlin; Änderungsvorschlag der Fraktionen der SPD und Die Linke vom 18.11.2009 zum Antrag 16/2594 [Anlage 2 zum Beschlussprotokoll des Ausschusses für Bauen und Wohnen vom 18.11.2009], nachfolgend: Änderungsvorschlag zum Antrag 16/2594[↩]
- vgl. Änderungsvorschlag zum Antrag 16/2594[↩]
- vgl. Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 7c Rn. 5; Schäfer/Schäfer, Niedersächsisches Nachbarrechtsgesetz, 2. Aufl., § 21a Rn. 2; Grziwotz/Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., 2. Teil Rn. 62d; Kirchhof, ZfIR 2012, 777, 780[↩]
- BGBl. I. 3085[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2012 – V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160 Rn.20 mwN[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2010, 620 f.; Staudinger/Roth, BGB [2016], § 912 Rn. 3; Horst, NJW 2010, 122, 124; Nelskamp/Dahmen, BauR 2010, 1129, 1133; a.A. Kirchhof, ZfIR 2012, 777, 780 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.11.2014 – V ZR 305/13, NJW-RR 2015, 181 Rn. 17; Urteil vom 21.01.1983 – V ZR 154/81, NJW 1983, 1112, 1113; Urteil vom 22.02.1974 – V ZR 103/73, BGHZ 62, 141, 145; Urteil vom 18.12 1970 – V ZR 73/68, NJW 1971, 426, 427; Urteil vom 13.07.1966 – V ZR 8/64, WM 1966, 1185 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 16.01.2004 – V ZR 243/03, BGHZ 157, 301, 304 mwN[↩]
- vgl. BayObLG, NJW-RR 1991, 19, 20 f.; Zabel/Mohr, ZfIR 2010, 561, 563[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.02.1993 – V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 7 f.[↩]