Für die Anfechtung der Anfechtungserklärung der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft sowie der Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1956 BGB) gelten die Fristen des § 121 BGB, nicht diejenigen des § 1954 BGB.

Im hier entschiedenen Fall hatte die gesetzliche Erbin mit notariell beglaubigter Erklärung notariell beglaubigter Erklärung vom 13.11.1996, beim Nachlassgericht eingegangen am 19.11.1996 erklärt, die Erbschaft nicht annehmen zu wollen. Ihr sei die Frist zur Ausschlagung nicht bekannt gewesen. Sie fechte daher die Versäumnis der Ausschlagungsfrist an und schlage die Erbschaft aus. Der Nachlass sei überschuldet. Mit einer weiteren notariell beglaubigten Erklärung vom 26.08.2013, beim Nachlassgericht eingegangen am 29.08.2013, focht sie ihre Ausschlagungserklärung vom 13.11.1996 an und begründete dies damit, sie sei im Zeitpunkt der Ausschlagung davon ausgegangen, der Nachlass sei überschuldet, habe nunmehr indessen erfahren, dass zum Nachlass noch ein Anteil am Nachlass einer Tante der Erblasserin gehöre.
Hier hatte die Erbin in ihrer Anfechtungserklärung erklärt, sie habe die Erbschaft nicht annehmen wollen und ihr sei über die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft nichts bekannt gewesen. Hierin liegt ein beachtlicher Anfechtungsgrund im Sinne des § 1956 BGB in Gestalt eines Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB1.
Die Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB setzt ferner die Kausalität des Irrtums für die Abgabe der Willenserklärung voraus. Voraussetzung hierfür ist bei der Erbschaftsanfechtung, dass ohne den Irrtum weder der Irrende selbst nach seinen persönlichen Verhältnissen und Eigenschaften noch ein unparteiischer Beobachter bei verständiger Würdigung der Gesamtheit der Umstände die Annahme erklärt oder die Abgabe einer wirksamen Ausschlagungserklärung versäumt hätte2. Auf dieser Grundlage ist eine objektive Wertung vorzunehmen, die auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist abstellt3. Dabei kommt es aus Gründen der Rechtssicherheit auch auf den Kenntnisstand der Beteiligten an. Bei Ablauf der Ausschlagungsfrist war der Erbin ausschließlich bekannt, dass in den Nachlass der Erblasserin lediglich Verbindlichkeiten fielen, so dass dieser überschuldet war. Für die Kausalität des Irrtums kann demgegenüber – wie das Beschwerdegericht zu Recht annimmt – nicht auf die erst später bekannt gewordene Tatsache der Zugehörigkeit eines weiteren Vermögensgegenstandes zum Nachlass abgestellt werden, die sodann zur Anfechtungserklärung vom 26.08.2013 führte. Eine Berücksichtigung dieses Umstandes hätte zur Folge, dass schon die erste Anfechtung als unwirksam anzusehen wäre und es einer zweiten Anfechtungserklärung von vornherein nicht bedürfte. Ein solches Verständnis des Kausalitätserfordernisses losgelöst von den Erkenntnismöglichkeiten im Zeitpunkt der ersten Anfechtungserklärung führte dazu, dass diese Anfechtung bei späterem Bekanntwerden neuer Umstände ohne jede zeitliche Befristung hinfällig wäre. Dies kommt schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Betracht4.
Dagegen war die zweite Anfechtungserklärung der Erbin vom 26.08.2013 unwirksam und hat daher nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit der ersten Anfechtungserklärung geführt.
Anerkannt ist allerdings, dass auch eine Anfechtungserklärung gemäß §§ 1954, 1956 BGB ihrerseits angefochten werden kann5. Der Anfechtungsgrund ergibt sich aus dem Irrtum der Beteiligten zu 1 über die tatsächlich nicht gegebene Überschuldung des Nachlasses, die eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB darstellt6.
Die Anfechtungserklärung der Erbin ist indessen verfristet.
Die Frage, nach welchen Bestimmungen sich die Frist für die Anfechtung einer Anfechtungserklärung richtet, wird unterschiedlich beurteilt. Die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass die allgemeine Regelung des § 121 BGB Anwendung findet, die Anfechtung mithin ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) und ausgeschlossen ist, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind7. Auf dieser Grundlage war die Anfechtungsfrist hier jedenfalls gemäß § 121 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 und Abs. 5 EGBGB nicht gewahrt, da die Zehnjahresfrist am 31.12 2011 abgelaufen war.
Die Gegenauffassung wendet für die Frist zur Anfechtung der Anfechtungserklärung § 1954 BGB an8. Auf der Grundlage dieser Auffassung ist hier keine Verfristung eingetreten, da die Erbin ihre Anfechtung vom 26.08.2013 innerhalb der Sechswochenfrist des § 1954 Abs. 1 BGB erklärt hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat (§ 1954 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dies war hier das Schreiben der Genealogen vom 07.08.2013, durch das die Erbin vom Anteil am Nachlass der Großtante als Gegenstand des Nachlasses der Erblasserin erfuhr. Ein Ausschluss der Anfechtung gemäß § 1954 Abs. 4 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht, da seit der ersten Anfechtungserklärung noch keine 30 Jahre verstrichen waren.
Die zuerst genannte Auffassung trifft nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zu. Die Anfechtungserklärung der Erbin ist mithin verfristet. Eine unmittelbare Anwendung von § 1954 Abs. 1 BGB kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil hier nicht die Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung, sondern die Anfechtung der Anfechtungserklärung in Rede steht9.
Da diese in den §§ 1954, 1956 f. BGB nicht geregelt ist, gelten für sie die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB.
Auch für eine entsprechende Anwendung von § 1954 BGB besteht keine Veranlassung. Zwar bestimmt § 1957 Abs. 1 BGB, dass die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung und die Anfechtung der Ausschlagung als Annahme gilt. Dies hat aber nicht zur Konsequenz, dass allein deshalb die Anfechtung einer Anfechtung der Annahme (bzw. der Versäumung der Ausschlagungsfrist) hinsichtlich der Anfechtungsfrist wie die Anfechtung einer Ausschlagung und die Anfechtung einer Anfechtung der Ausschlagung wie die Anfechtung einer Annahme behandelt werden müssten. Angefochten wird in derartigen Fällen nicht die fingierte Ausschlagung oder Annahme, sondern die Anfechtungserklärung selbst. Die Fiktion des § 1957 Abs. 1 BGB hat lediglich den Sinn, der Anfechtung einer Annahme bzw. der Anfechtung einer Ausschlagung eine über die bloße Nichtigkeit der angefochtenen Willenserklärung hinausgehende Wirkung zu verleihen, damit sofort erbrechtlich klare Verhältnisse geschaffen werden und ein nochmaliger Schwebezustand vermieden wird10. Darum geht es hier nicht, da die Anfechtung der Anfechtungserklärung von selbst den Rechtszustand wiederherstellt, der vor der ersten Anfechtungserklärung bestanden hat. Darüber hinaus lehnt sich die Fristenregelung des § 1954 BGB an die Bestimmung des § 1944 BGB über die Ausschlagungsfrist an. Der Gleichlauf von Ausschlagungs- und Anfechtungsfrist ist daher angesichts der in § 1957 Abs. 1 BGB angeordneten Wirkung der Anfechtung konsequent11. Darum handelt es sich bei der Anfechtung einer Anfechtungserklärung nicht.
Auch aus praktischen Gründen besteht kein Bedarf für eine Anwendung der längeren Anfechtungsfristen des § 1954 BGB gegenüber denjenigen in § 121 BGB. Hat ein Beteiligter bereits einmal seine Annahme oder Ausschlagung angefochten und erfährt er später, dass diese Anfechtungserklärung auf einem Irrtum beruhte, so ist es ihm zuzumuten, nunmehr unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB die Anfechtung zu erklären, damit möglichst schnell Rechtssicherheit hergestellt wird. Weder bedarf er hierzu einer sechswöchigen Überlegungsfrist gemäß § 1954 Abs. 1 und 2 BGB noch ist es sachgerecht, gemäß § 1954 Abs. 4 BGB erst nach Ablauf von 30 Jahren eine Anfechtung der Anfechtungserklärung auszuschließen. Dies könnte bei mehrfachen, zeitlich hintereinander gestaffelten Anfechtungserklärungen12 eine endgültige Klärung der Rechtsnachfolge nach dem Erblasser für einen unabsehbaren Zeitraum erschweren.
Gegen eine Anwendung von § 1954 BGB spricht auch das Wertungskonzept des Gesetzgebers im Bereich des Verjährungsrechts, der die frühere 30jährige Verjährungsfrist für erbrechtliche Ansprüche gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit Wirkung ab dem 1.01.2010 abgeschafft hat. Dem steht auch nicht die Regelung des zum 1.01.2010 neu eingeführten § 199 Abs. 3a BGB entgegen, wonach Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an verjähren. Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber gegenüber der bisherigen Rechtslage zum Ausdruck gebracht, dass nicht sämtliche erbrechtlichen Ansprüche erfasst sind, sondern nur solche, die originär und unmittelbar mit dem Erbfall verknüpft sind und nicht nur in irgendeiner Weise mit ihm in Zusammenhang stehen13. Erfasst von der Vorschrift werden etwa Fälle, bei denen es um die schwierige und zeitaufwändige Feststellung der Erben geht, bei denen ein Testament erst spät aufgefunden wird oder dessen Gültigkeit erst nach langer Zeit geklärt werden kann14. Um eine vergleichbare Fallgestaltung handelt es sich bei der Anfechtung einer Anfechtungserklärung von vornherein nicht.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Juni 2015 – IV ZB 39/14
- RGZ 143, 419, 423 f.; OLG Rostock NJW-RR 2012, 1356 Rn. 17; BayObLG ZEV 1994, 112[↩]
- vgl. RGZ 143, 419, 424[↩]
- OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 842 Rn. 12; OLG Hamm ZErb 2009, 137 Rn. 15; LG Bonn Rpfleger 1985, 148, 149; MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 1956 Rn. 9; Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 1956 Rn. 3; Löhnig/Plettenberg, ZEV 2015, 99 f.[↩]
- vgl. Löhnig/Plettenberg aaO[↩]
- vgl. OLG Hamm ZErb 2009, 137 Rn. 33; BayObLGZ 1980, 23, 27; Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1954 Rn. 12; Erman/Schmidt, BGB 14. Aufl. § 1955 Rn. 5[↩]
- BGH, Urteil vom 08.02.1989 IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359, 363; OLG Hamm ZErb 2009, 137 Rn. 15; BayObLG NJW-RR 1999, 590 unter – II 2 d cc[↩]
- so BayObLGZ 1980, 23, 28f.; Erman/Schmidt, BGB 14. Aufl. § 1955 Rn. 5; Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 1955 Rn. 1; MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 1954 Rn. 21; Muscheler, Erbrecht – II Rn. 3065; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 223 f.; Malitz in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, 2. Aufl. § 22 Rn. 62; Kraiß, BWNotZ 1992, 31, 35[↩]
- Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1954 Rn. 12; Damrau/Masloff, Erbrecht 3. Aufl. § 1954 Rn. 13; Löhnig/Plettenberg, ZEV 2015, 99[↩]
- Muscheler, Erbrecht – II Rn. 3065; a.A. Löhnig/Plettenberg, ZEV 2015, 99[↩]
- vgl. BayObLGZ 1980, 23, 28[↩]
- vgl. Muscheler aaO[↩]
- vgl. etwa den Fall OLG Hamm ZErb 2009, 137[↩]
- MünchKomm-BGB/Grothe, 6. Aufl. § 199 Rn. 50[↩]
- BT-Drs. 16/8954 S. 12; MünchKomm-BGB/Grothe aaO[↩]