Auslegung eines Erbvertrages – und die Frage der Rechtswahl

War die Erblasserin ausschließlich italienische Staatsangehörige, ist fFür die Beurteilung ihrer Erbfolge daher gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB italienisches Recht anwendbar, sofern es nicht im Rahmen des italienischen internationalen Privatrechts zu einer Rückverweisung auf das deutsche Recht kommt, die von dem deutschen Recht angenommen wird (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB).

Auslegung eines Erbvertrages – und die Frage der Rechtswahl

Nach Art. 46 Abs. 2 S. 1 ital. IPRG kann der Erblasser für die Rechtsnachfolge in sein gesamtes Vermögen durch in der Form eines Testaments ausgedrückte Anordnung das Recht des Staates seines gewöhnlichen Aufenthaltes wählen. Nach Satz 2 derselben Vorschrift wird die Rechtswahl unwirksam, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes in jenem Staat keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr hatte. Eine solche Rechtswahlerklärung kann sich hier im Wege der Auslegung aus dem Erbvertrag vom 07.08.2007 ergeben. Der Erbvertrag enthält allerdings nicht eine ausdrückliche Rechtswahlerklärung. Vielmehr sind die früheren gemeinschaftlichen Testamente der Ehegatten, die eine solche Rechtswahlerklärung umfassen, in § 1 des Erbvertrages – wenn auch nur „vorsorglich“ – aufgehoben worden, ohne dass in dem Erbvertrag eine erneute ausdrückliche Rechtswahlerklärung getroffen worden ist. Zur Annahme einer erneuten Rechtswahlerklärung kann deshalb nur eine Auslegung des Erbvertrages führen, die die Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Erbvertrages einschließlich der früheren Testamente der Ehegatten voraussetzt. Ob eine konkludente Rechtswahl im Rahmen eines vor einem deutschen Notar geschlossenen Erbvertrages vom Standpunkt des italienischen Rechts als wirksam anerkannt wird, lässt sich nach Auffassung des Oberlandesgerichts abschließend erst auf der Grundlage eines kostenintensiven Rechtsgutachtens zum italienischen Recht beantworten. Vielfach wird allerdings die Frage, ob die Rechtswahl in der Form eines Testamentes getroffen worden ist, als eine solche behandelt, die selbständig nach Art. 48 ital. IPRG anzuknüpfen ist, also nach dem Recht zu beurteilen ist, das am Ort der Errichtung der letztwilligen Verfügung gilt1. Gegen diese Auffassung kann der vom Amtsgericht hervorgehobene Gesichtspunkt sprechen, dass auf diese Weise die Rechtswahl in eine erbvertragliche Bindung einbezogen wird, der das italienische Recht durch Art. 589 cc durch den Ausschluss der Wirksamkeit mehrseitiger letztwilliger Verfügungen gerade entgegenwirken will, das Verbot mehrseitiger letztwilliger Verfügung also nicht lediglich auf formellen, sondern auf materiellen Gründen beruht2. Ein weiterer Problempunkt besteht darin, ob das italienische Recht die Wirksamkeit einer Rechtswahl von einer ausdrücklichen Erklärung abhängig macht und damit eine konkludente Rechtswahlerklärung ausschließt. Dazu wird berichtet3, dass diese Frage in Italien streitig beurteilt wird, mag sich auch eine überwiegende Auffassung für die Erforderlichkeit einer ausdrücklichen Rechtswahlerklärung gebildet haben. Eine abschließende Beurteilung im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung könnte danach nur auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens zum italienischen Recht getroffen werden, in dem die Auslegungsmethoden und die zu berücksichtigenden inhaltlichen Zusammenhänge des italienischen Rechts zu erläutern wären.

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Nach Art. 25 Abs. 2 EGBGB kann der Erblasser für sein im Inland belegenes unbewegliches Vermögen in der Form einer letztwilligen Verfügung deutsches Recht wählen. Die Auslegung des Erbvertrages vom 07.08.2007 führt aus den nachstehenden Gründen zu dem Ergebnis, dass die Ehegatten konkludent zumindest eine solche Rechtswahl getroffen haben. Diese Rechtswahl begründet eine Nachlassspaltung: Für das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen tritt eine gesonderte Erbfolge nach deutschem Recht ein. Diese ist zu unterscheiden von einer etwa daneben bestehenden Erbfolge in das sonstige gesamte Vermögen der Erblasserin, die eingetreten ist, wenn das italienische Recht die Wirksamkeit einer konkludenten Rechtswahl für das gesamte Vermögen nach Maßgabe des Art. 46 Abs. 2 IPRG nicht anerkennt. Der Antrag ist auf die Erteilung eines (Fremdrechts-) Erbscheins für den gesamten Nachlass der Erblasserin gerichtet. Die eingetretene Nachlassspaltung führt demgegenüber zu einer Geltungsbeschränkung für die über den allgemeinen Nachlass auszuweisende Erbfolge, weil für das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen eine gesonderte Erbfolge nach deutschem Recht eingetreten ist. Diese Geltungsbeschränkung muss in dem Erbschein zum Ausdruck gebracht werden4. Diese Geltungsbeschränkung wird in dem vorliegenden Antrag auf Erteilung eines Erbscheins nicht berücksichtigt. Vielmehr geht er davon aus, dass der zu erteilende Erbschein insbesondere auch die Erbfolge für den in H belegenen Grundbesitz ausweisen soll, der den wesentlichen Wert des Nachlasses ausmacht. Da die Erteilung eines Erbscheins streng antragsgebunden ist, dieser daher nur mit dem Inhalt erteilt werden darf, wie er beantragt worden ist5, führt die in diesem Zusammenhang erforderliche Abweichung notwendig zur Zurückweisung des vorliegenden Antrags.

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Im Rahmen des Art. 25 Abs. 2 EGBGB ist nach gefestigter Auffassung auch eine konkludente Rechtswahl möglich6. Für eine entsprechende Auslegung des Erbvertrages sprechen hier eine Reihe von überzeugenden Anhaltspunkten: Zunächst fällt auf, dass die Ehegatten in ihren drei früheren notariell beurkundeten gemeinschaftlichen Testamenten jeweils erklärt haben, „ihre mit nachfolgender Urkunde zu regelnden Rechtsverhältnisses ausschließlich dem deutschen Recht unterstellen zu wollen“, also eine ausdrückliche Rechtswahlerklärung mit möglichst weitgehendem Inhalt getroffen haben. Bei diesen Beurkundungen muss ihnen also infolge erteilter notarieller Belehrung die Problematik bewusst geworden sein, dass auf ihre Beerbung in erster Linie italienisches Recht anzuwenden war und sie von einer Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch machen wollten, die zur Anwendbarkeit deutschen Rechts führte. Sie haben sodann in den genannten Testamenten erbrechtliche Gestaltungsformen des deutschen Rechts angewendet, indem sie zunächst sich gegenseitig als Alleinerben und einen Dritten als Schlusserben des Letztversterbenden (§ 2269 BGB) eingesetzt haben und ihn mit Vermächtnissen beschwert haben, sodann eine Ersatzerbfolge bestimmt sowie die Vermächtnisse im Detail neu geregelt und schließlich die Schlusserbfolge aufgehoben und dem Testat des überlebenden Ehegatten vorbehalten haben. Die Regelungen des letzten Erbvertrages knüpfen inhaltlich an die vorausgegangenen Testamente an, indem nunmehr die Beteiligten zu 1 und 3 zu gleichen Teilen als Schlusserben mit der Maßgabe eingesetzt werden, dass eine Teilungsanordnung hinsichtlich des Grundbesitzes F-Straße 12 und 12a in H getroffen wird, die ergänzt wird durch eine den Beteiligten zu 2 begünstigende Auflage (§ 2193 BGB) sowie die Ernennung des Beteiligten zu 3 zum Testamentsvollstrecker (§ 2197 BGB). Es ist zwar nicht mehr nachvollziehbar, warum die Ehegatten in § 1 des Erbvertrages erklärt haben, bisher keine letztwilligen Verfügungen getroffen zu haben. Diese Erklärung lässt lediglich erkennen, dass die Ehegatten die Notarin O über die von ihnen früher errichteten gemeinschaftlichen Testamente nicht unterrichtet haben. Fest steht demgegenüber, dass die Ehegatten in ihren früheren Testamenten jeweils deutsches Recht gewählt haben und ihre früheren Regelungen durch den Erbvertrag inhaltlich verändern wollten, nämlich bei Aufrechterhaltung der gegenseitigen Erbeinsetzung eine neue Regelung für die Schlusserbfolge mit den soeben geschilderten Bestimmungen treffen und diese mit erbvertraglicher Bindungswirkung verstärken wollten (vgl. die Regelung über die erbvertragliche Bindungswirkung). Dieser Zusammenhang spricht maßgebend dafür, dass die Ehegatten weiterhin ihre Erbfolge im Rahmen des deutschen Rechts regeln wollten. Maßgebend kommt hier hinzu, dass der Erbvertrag vollständig unwirksam wäre, wenn für die Erbfolge italienisches Recht Anwendung fände, weil Art. 589 cc mehrseitige letztwillige Verfügungen ausschließt. Da die Ehegatten jedoch eine wirksame Regelung mit erbvertraglicher Bindungswirkung herbeiführen wollten, muss angenommen werden, dass sie auch von der Rechtswahlmöglichkeit Gebrauch machen wollten, die allein den rechtlichen Weg zur Wirksamkeit ihrer Regelung eröffnet. Ein gewichtiges weiteres Indiz ergibt sich ferner daraus, dass die Ehegatten nach dem Inhalt des Erbvertrages eine Regelung im Wesentlichen für die Erbfolge betreffend ihren Grundbesitz F-Straße 12 und 12a in H getroffen haben, wie die Schlusserbeinsetzung und die damit verbundene Teilungsanordnung zeigt.

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Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 22. Juli 2014 – 15 W 138/14

  1. vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Erbrecht, Länderteil Italien, Rdnr. 58; MK-BGB/Birk, 5. Aufl., Art. 25 EGBGB, Rdnr. 30[]
  2. vgl. Staudinger/Dörner, BGB, Neubearb.2007, Art. 25 EGBGB, Rdnr. 328; Priemer MittRhNotK 2000, 45, 58[]
  3. Bergmann/Ferid, a.a.O., Rdnr.60 m.w.N.[]
  4. vgl. BayObLGZ 1996, 165 = FamRZ 1997, 318; OLG Köln NJW-RR 1992, 1480[]
  5. OLG Hamm, FGPrax 2013, 123[]
  6. OLG Zweibrücken ZEV 2003, 162; MK-BGB/Birk, a.a.O. Art. 25 EGBGB Rdnr. 42; Staudidnger/Dörner, a.a.O., Art. 25 EGBGB, Rdnr. 535[]

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