Das vernichtete Testament – und die zweite Urschrift

Vom Erblasser kann ein Testament jederzeit ohne besonderen Grund widerrufen werden (§ 2253 BGB), auch durch Vernichtung der Testamentsurkunde. Existieren mehrere Urschriften, kann es ausreichen, dass nur eine Urkunde vernichtet wird, wenn der Aufhebungswille zweifelsfrei feststeht.

Das vernichtete Testament – und die zweite Urschrift

So hat das Oberlandesgericht Köln in dem hier vorliegenden Fall entschieden, dass dem Urenkel einer Erblasserin ein Erbschein erteilt werden kann. Der Urenkel der im Landgerichtsbezirk Bonn wohnhaften Erblasserin war zunächst als Erben eingesetzt worden. Später verfasste sie ein handschriftliches Testament, mit dem anstelle des Urenkels ihre Haushälterin zur Alleinerbin bestimmt wurde. Außerdem erteilte sie der Haushälterin eine Vorsorge- und Bankvollmacht und verkaufte dieser – gegen einen Barkaufreis sowie eine Betreuungs- und Pflegeverpflichtung – ihr Hausgrundstück. Nachdem die Haushälterin mit Hilfe der Bankvollmacht 50.000 Euro vom Konto der späteren Erblasserin abgehoben hatte, widerrief diese die Vollmacht. Sie suchte außerdem einen Rechtsanwalt auf, um sich wegen einer möglichen Rückabwicklung des Kaufvertrags über das Haus beraten zu lassen.

Ob dem Urenkel ein Erbschein erteilt werden kann, hatte das Nachlassgericht zu entscheiden. Dem Gericht lag ein Original des Testaments zu Gunsten der Haushälterin vor, welches der Rechtsanwalt der Haushälterin übersandt hatte. Der Urenkel behauptete dagegen, die Erblasserin habe das Testament widerrufen. Es habe ein zweites Original des Testaments gegeben. Dieses habe die Erblasserin im Rahmen der Beratung zur Rückabwicklung des Hauskaufs ihrem Rechtsanwalt gezeigt und es vor seinen Augen zerrissen. Deshalb gelte wieder die frühere Erbeinsetzung zu seinen Gunsten.

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Das Nachlassgericht kam nach Vernehmung der Rechtsanwälte der Erblasserin und der Haushälterin als Zeugen zu dem Ergebnis, dass der Urenkel Alleinerbe geworden und ihm ein Erbschein zu erteilen ist. Gegen diese Entscheidung hat sich die Haushälterin mit der Beschwerde gewehrt.

In seiner Entscheidungsbegründung hat das Oberlandesgericht Köln ausgeführt, dass der Erblasser ein Testament jederzeit ohne besonderen Grund widerrufen könne (§ 2253 BGB). Dies könne zum Beispiel durch Vernichtung der Testamentsurkunde erfolgen (§ 2255 S. 1 BGB). Sofern jedoch mehrere Urschriften vorhanden seien, könne die Vernichtung lediglich einer Urkunde nur genügen, wenn keine Zweifel über den Aufhebungswillen des Erblassers bestünden. Dies sei hier der Fall. Der Anwalt der Erblasserin, der kein erkennbares persönliches Interesse am Ausgang des Streits gehabt habe, habe glaubhaft ausgesagt, dass die Erblasserin ein Original des Testaments in seiner Anwesenheit zerstört habe. Dabeihabe sie zweifelsfrei bekundet, dass sie nicht an der Erbeinsetzung der Haushälterin festhalten wolle. Dazu passe, dass die Erblasserin keinen Kontakt mehr zur Haushälterin gehabt habe und unstreitig versucht habe, die Übertragung des Grundstücks an sie rückgängig zu machen. Angesichts ihres Alters von über 90 Jahren könne angenommen werden, dass sie das zweite Original schlicht vergessen gehabt habe. Trotz der Existenz dieses weiteren Originals sei daher vom Widerruf des die Haushälterin begünstigenden Testaments auszugehen.

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Aus diesen Gründen hat das Oberlandesgericht Köln die Beschwerde der Haushälterin zurückgewiesen.

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 22. April 2020 – 2 Wx 84/20

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