§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden. Dies ist bei einer Klage auf weitere Pflichtteilszahlung und einer Widerklage auf Rückzahlung überzahlten Pflichtteilsanspruchs der Fall1.

Eine Klage auf Pflichtteilsergänzung (§ 2315 BGB) und eine Widerklage auf Rückzahlung überzahlten Pflichtteilsanspruchs (§ 2303 BGB) betreffen nicht denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.
Die Klageanträge auf Auskunft und Zahlung stehen im Stufenverhältnis zueinander. Das Auskunfts- und Wertermittlungsinteresse eines Pflichtteilsberechtigten ist mit einer Quote des Wertes des Leistungsanspruchs zu bestimmen, die in der Regel zwischen 1/10 und 1/4 bemessen wird und umso höher anzusetzen ist, je geringer die Kenntnisse des Pflichtteilsberechtigten und sein Wissen über die zur Begründung des Leistungsanspruchs maßgeblichen Tatsachen sind2. Im hier vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Fall kennt der Kläger die Nachlassgegenstände, auf die sich sein Wertermittlungsbegehren bezieht, und hat eine genaue Vorstellung über deren Wert, den er mit 3.350,00 € beziffert, so dass der Wertermittlungsanspruch hier mit 1/10 des Wertes des Leistungsanspruchs zu bemessen ist.
Der Wert des Leistungsanspruchs ist hier mit der erhofften Zahlung zu beziffern, bei einem behaupteten Wert der Nachlassgegenstände von 3.350, 00 € und einer Pflichtteilsquote von 1/12 also mit (3.350, 00 € x 1/12 =) 279, 17 €. Daraus ergeben sich für die Klage folgende Streitwerte: 27, 92 € (Klageantrag zu Ziffer 1, Auskunft weiterer Pflichtteil), 279,17 € (Klageantrag zu Ziffer 2, Zahlung weitere Pflichtteil) und 13.750,00 € (Klageantrag zu Ziffer 3, Zahlung Pflichtteilsergänzung), mithin in der Summe 14.057,09 €.
Dazu ist im vorliegenden Fall gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG der Streitwert der Widerklage in voller Höhe von 5.081, 21 € zu addieren, denn § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet hier keine Anwendung.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe auf den Pflichtteilsanspruch des Kläger 5.081,27 € zu viel gezahlt, der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe der mit Klageantrag zu Ziffer 2 geltend gemachte Betrag als weitere Zahlung auf seinen Pflichtteilsanspruch zu. Dabei handelt es sich nicht um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, so dass § 45 Abs. 1 Satz1 GKG maßgeblich ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG sind die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich zu addieren. Allerdings ist nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, wenn die einander gegenüberstehenden Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Letzteres ist unabhängig vom zivilprozessualen Streitgegenstand bei wirtschaftlicher Identität von Klage und Widerklage der Fall. Diese Identität ist dann gegeben, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass beiden stattgegeben werden kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht3.
Dies ist hier zwar an sich der Fall, denn bezüglich des Pflichtteilsanspruchs schließen sich ein weiterer Zahlungsanspruch des Klägers und ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet aber auch dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen. Dementsprechend findet eine Werteaddition nach Maßgabe von § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG auch in den Fällen statt, in denen der Kläger aus einem Rechtsverhältnis einen über geleistete Zahlungen hinausgehenden Rest- oder Mehrbetrag beansprucht, während der Beklagte widerklagend einen Teil der bereits geleisteten Zahlungen als nicht geschuldet zurückverlangt. In einer solchen Situation bildet die aus dem Rechtsverhältnis geschuldete Gesamtzahlung den Gegenstand des Streits der Parteien; es geht wirtschaftlich um die Summe von Klage- und Widerklageforderung4.
Auch im Verhältnis der Widerklage zum Klageantrag zu Ziffer 3 handelt es sich nicht um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe eine zu hohe Zahlung auf den Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB) des Klägers geleistet; der Kläger ist zu seinem Klageantrag zu Ziffer 3 der Ansicht, ihm stehe neben dem Pflichtteilsanspruch auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) zu. Diese Ansprüche bestehen unabhängig voneinander5; sie bilden nicht denselben Gegenstand im obigen Sinne, auch wenn ihre Höhe unter Umständen von denselben Faktoren – hier dem Wert des Grundstücks – bestimmt wird.
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 7. Juli 2021 – 3 W 30/21
- Fortführung von BGH, Beschluss vom 11.03.2014 – VIII ZR 261/12, NJW 2014, S. 1456[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.01.2006 – IV ZR 195/04, ZEV 2006, S. 265 m.w.N.[↩]
- BGH, Beschluss vom 11.03.2014 – VIII ZR 261/12, NJW 2014, S. 1456 [Rn. 4] m.w.N.; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 45 GKG, Rn. 4 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 11.03.2014 – VIII ZR 261/12, NJW 2014, S. 1456 [Rn. 5] m.w.N.; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 45 GKG, Rn. 5 f. m.w.N.; Schindler, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 33. Edition, Stand 1.04.2021, § 45 GKG, Rn. 15[↩]
- BGH, Urteil vom 21.03.1973 – IV ZR 157/71, NJW 1973, S. 995[↩]
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