Der Tod im Hospiz – und der Gerichtsstand in Nachlasssachen

Der gewöhnliche Aufenthalt ist der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegt1, ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln2. Die bloße Anwesenheit im Hospiz wird nicht allein dadurch zum dortigen gewöhnlichen Aufenthalt, dass diese Anwesenheit voraussichtlich eher durch den Tod als die Rückkehr in die Wohnung enden wird3. Auch der Umstand, dass eine Person alleinlebend ist, ist kein tauliches Merkmal zur Feststellung ihres Daseinsmittepunkts.

Der Tod im Hospiz – und der Gerichtsstand in Nachlasssachen

Die örtliche Zuständigkeit knüpft an den letzten inländischen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers an (§ 343 Abs. 1 und 2 FamFG).

Zwar besteht für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts jedenfalls dann keine Mindestfrist, wenn eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort, wie oftmals bei einer Unterbringung in einem Hospiz, ausgeschlossen ist4. Gleichwohl ist der gewöhnliche Aufenthalt als der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegt5, jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln6. Dabei ist auch in den Fällen, in denen nach ärztlicher Einschätzung eine schwere, nicht mehr heilbare Erkrankung vorliegt und nicht damit zu rechnen ist, dass die betroffene Person wieder in ihre eigene Wohnung zurückkehrt, die Frage der Dauer des Aufenthalts und der hiermit einhergehenden sozialen Beziehungen zu berücksichtigen7. Auch können insoweit beispielsweise die konkret beabsichtigte Auflösung der früheren Wohnung8 oder auch ein – insbesondere bei Demenzkranken oftmals fehlender – Aufenthaltswille9 von maßgeblicher Bedeutung sein. Hingegen wird jedenfalls die bloße Anwesenheit im Hospiz nicht allein dadurch zum dortigen gewöhnlichen Aufenthalt, dass diese Anwesenheit voraussichtlich eher durch den Tod als die Rückkehr in die Wohnung enden wird10. Würde man das anders sehen, würde § 343 Abs. 1 FamG einer Bestimmung gleichgesetzt, die allein an den Todesort anknüpft. Eine solche Regelung muss aber dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, weil damit das derzeit geltende Tatbestandsmerkmal des „gewöhnlichen“ Aufenthaltes im Gegensatz zum bloß vorübergehenden11 leerliefe. Der Aufenthalt in einem Hospiz, der nur – entsprechend einer ärztlichen Behandlung in einem Krankenhaus zum Zwecke der Heilung – für die Zeit bis zum (nahen) Tod unter Nutzung der dort gegebenen besseren Pflege- und Linderungsmöglichkeiten gewählt wird, ohne gleichzeitig die sozialen Bindungen zum vorhergehenden gewöhnlichen häuslichen Aufenthalt aufzugeben, bleibt ein lediglich vorübergehender. Mit dem Tod endet jeglicher Aufenthalt, weshalb allein durch ihn die ihm vorangehende bloße Anwesenheit im Hospiz auch nicht zum gewöhnlichen Aufenthalt perpetuieren kann.

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Im hier vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Gerichtsstandsbestimmungsverfahren lebte die Erblasserin seit 2021 der Mietwohnung in Northeim am Harz. Im Mietvertrag haben die Parteien vereinbart, dass die Erblasserin sich im Bürgerbüro der Stadt Northeim anzumelden habe, wofür die Vermieterin die Wohnungsgeberbescheinigung ausgestellt hat. Außerdem hat diese mit der Erblasserin mietvertraglich vereinbart, dass die Erblasserin sich umgehend selbst bei den Stadtwerken Northeim anzumelden habe. Ausweislich des Schreibens der Stadtwerke Northeim wurde dort die Erblasserin dann auch mit eigener Kundennummer geführt. Zudem hat das Amtsgericht Göttingen durch telefonische Mitteilung der Vermieterin festgestellt, dass die Erblasserin – ohne mit ihrem plötzlichen Ableben zu rechnen – selbständig und bewusst nach Northeim gezogen ist, um sich dort langfristig niederzulassen. Sie soll dort sogar bereits seit Mai 2021 gelebt haben. Nach alldem kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Erblasserin Northeim zu ihrem Daseinsmittelpunkt gewählt und diese Wahl auch bereits tatsächlich umgesetzt hatte. Für eine bewusste Aufgabe ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes in Northeim ist nichts ersichtlich, insbesondere auch nicht aufgrund ihres Aufenthalts im Hospiz in Göttingen.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 7. Februar 2022 – 9 W 3/22

  1. Anschluss an BGH, NJW 1993, 2047, 2048[]
  2. Anschluss an OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.08.2019 – 1 AR 28/19, Rn. 12[]
  3. Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 6.10.2020 – 1 AR 1020/20, Rn. 3[]
  4. Keidel/Sternal, FamFG, 20. Auflage, § 3 Rn. 10[]
  5. vgl. BGH, NJW 1993, 2047, 2048[]
  6. OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.08.2019 – 1 AR 28/19, Rn. 12[]
  7. OLG Brandenburg, a.a.O.; vgl. OLG Köln, FGPrax 2007, 84[]
  8. OLG Düsseldorf, FamRZ 2002, 1128[]
  9. Münchener Kommentar/Grziwotz, FamFG, 3. Auflage, § 343 Rn.19[]
  10. KG Berlin, Beschluss vom 6.10.2020 – 1 AR 1020/20, Rn. 3, juris; MünchKomm-BGB/Grziwotz, FamFG, 3. Aufl., § 343 Rn. 13[]
  11. vgl. MünchKomm-BGB/Grziwotz, a.a.O.[]
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