Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung nach § 2079 Satz 1 BGB führt grundsätzlich zur Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung.

Nach § 2079 S. 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, der erst nach der Errichtung geboren worden ist. Nach § 2079 S. 2 BGB ist die Anfechtung ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.
Die sich aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zu § 2079 S. 2 BGB ergebende Vermutung dahin, dass der Erblasser bei Kenntnis der Existenz eines weiteren Pflichtteilsberechtigten im Testierzeitpunkt anders – nämlich ihn berücksichtigend – testiert hätte, wird nicht schon dadurch widerlegt, dass der Erblasser schlicht untätig bleibt und sein Testament nicht ändert, nachdem er von der Existenz des weiteren Pflichtteilsberechtigten erfahren hat1.
Die Wirkung einer nach § 2079 S. 1 BGB erklärten Anfechtung ist streitig. Nach einer allerdings zwischenzeitlich nur noch vereinzelt in der Literatur – in der obergerichtlichen veröffentlichten Rechtsprechung dagegen zuletzt vom OLG Köln2 – vertretenen Auffassung soll sich unter Hinweis auf § 2079 Satz 2 BGB die Wirkung der Anfechtung von vornherein auf die Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung in dem Umfang beschränken, der erforderlich ist, um dem Pflichtteilsberechtigten zu seinem gesetzlichen Erbteil zu verhelfen. Soweit die Verfügungen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung diesen gesetzlichen Erbteil des Pflichtteilsberechtigten nicht beeinträchtigen, sollen sie von der Anfechtung nicht erfasst werden und vielmehr bestehen bleiben3.
Diese Auffassung geht von der These aus, die Anfechtungsmöglichkeit nach § 2079 BGB diene allein dem Schutz des pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben. Es genüge deshalb, die testamentarische Verfügung insoweit zu vernichten, als sie dem gesetzlichen Erbrecht des Pflichtteilsberechtigten entgegenstehe. Er solle4 mit seinem gesetzlichen Erbanteil als Miterbe eingeschoben und die letztwillige Verfügung verhältnismäßig angepasst werden.
Die zitierte Literaturmindermeinung basiert auf der Grundüberlegung, dass dem Erblasserwillen trotz wirksamer Anfechtung so weit wie möglich Rechnung getragen werden soll, mit Ausnahme der fehlenden Berücksichtigung des Erbrechts des – hier nach Testamentserrichtung geborenen – Pflichtteilsberechtigten. Insoweit liege5 der in § 2079 BGB enthaltenen gesetzlichen Vermutung die Lebenserfahrung zugrunde, das ein Erblasser nahe Verwandte im Rang von Pflichtteilsberechtigten bei der letztwilligen Verfügung bedenken wolle. Bleibt dann aber wie hier die Enterbung der Ehefrau bestehen und hat der Erblasser im Übrigen den im Testierzeitpunkt einzigen Abkömmling zum Alleinerben eingesetzt, spricht diese Lebenserfahrung jedenfalls nicht dafür, dass das nachgeborene pflichtteilsberechtigte Kind mit einer anderen Quote als das erstgeborene Kind berücksichtigt werden soll, und auch nicht mit einer anderen Quote, als sie seinem gesetzlichen Erbrecht unter Berücksichtigung der Enterbung der Ehefrau entsprechend würde.
Nach einer in der Literatur vertretenen vermittelnden Meinung soll die Anfechtung nach § 2079 BGB nur diejenigen Erbeinsetzungen und Vermächtnisse vollständig vernichten, die auch den anfechtenden Pflichtteilsberechtigten als gesetzlichen Erben beschweren, soweit nicht ein entgegenstehender Erblasserwille nach S. 2 der Norm feststellbar ist. Andere Anordnungen, insbesondere auch Enterbungen, würden von der Anfechtung dagegen nicht erfasst, weil sie den gesetzlichen Erbteil des Übergangenen ohnehin nicht schmälern6. Nach dieser Auffassung bliebe hier die Enterbung der Beteiligten zu 1)) bestehen, entfällt aber die testamentarische Berufung des Beteiligten zu 2)) insgesamt mit der Folge, dass im Übrigen gesetzliche Erbfolge eintritt, also die Beteiligten zu 2)) und 3)) als Erben zu je 1/2 berufen sind.
Die veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung und auch größere Teile der Literatur folgen indes seit langem der Auffassung, wonach die nach § 2079 Satz 1 BGB wirksam erklärte Anfechtung grundsätzlich die Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung zur Folge hat; einzelne Verfügungen bleiben nur dann wirksam, wenn nach § 2079 Satz 2 BGB positiv feststellbar ist, dass sie der Erblasser so auch getroffen hätte, falls er zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung Kenntnis von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten gehabt hätte7. Mit Rücksicht auf diese Einschränkung nach dem zu ermittelnden hypothetischen Willen des Erblassers ist denkbar, dass es im Einzelfall nicht bei der vollständigen Nichtigkeit des Testaments bleibt, sondern doch dessen teilweise Wirksamkeit insoweit festgestellt werden kann, als nicht der gesetzliche Erbteil des Pflichtteilsberechtigen berührt wird.
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht folgt dieser letzteren überzeugenden Auffassung, die mit Wortlaut und Systematik des Gesetzes in Einklang steht. Denn § 2079 S. 1 BGB enthält dem Wortlaut nach keine Einschränkung der Wirkung der Anfechtung. Zu bedenken ist, dass nach dem allgemeinen Teil des BGB eine wirksame Anfechtung als Rechtsfolge den angefochtenen Rechtsakt insgesamt (rückwirkend) nichtig werden lässt (§ 142 BGB). Im Fall des § 2079 BGB verweist erst S. 2 mit dem Wort „insoweit“ darauf, dass es im Einzelfall Abweichungen von der Regel im Sinne von Einschränkungen der Gesamtnichtigkeitsfolge geben kann. Deutlich ist mit diesem Aufbau des Gesetzes ein Regel-Ausnahme-Verhältnis bezeichnet. Hier liegt ein Unterschied zu § 2078 Abs. 1 und 2 BGB. Aus dem unterschiedlichen Wortlaut dieser nebeneinander stehenden Vorschriften ergibt sich deutlich – darauf verweist Czubayko8 überzeugend, dass es für § 2079 S.1 BGB bei dem Regelfall der Gesamtnichtigkeit verbleiben muss.
Schleswig -Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 7. Dezember 2015 – 3 Wx 108/15
- OLG Brandenburg FamRZ 1998, 59 ff Rn. 21; Leipold in MünchKomm-BGB, 6. A.2013, § 2079 Rn. 18; Löhning/Avenarius in Prütting u.a., BGB, 9. A.2014 § 2079 Rn. 12[↩]
- OLG Köln, NJW 1956, 1522[↩]
- Leipold in MünchKomm-BGB, a.a.O., § 2079 Rn. 24; Seiler/Rudolf in Praxiskommentar Erbrecht, 2. A.2011, § 2079 Rn. 32; Erman/Schmidt, BGB, 14. A.2014, § 2079 Rn. 5[↩]
- so Schmidt in Erman a.a.O.[↩]
- so ausdrücklich Schmidt in Erman a.a.O.[↩]
- Otte in Staudinger, BGB, Neubearb.2015, § 2079 Rn. 17; Loritz in Soergel, BGB, 13. A.2003, 2079 Rn. 9; Otte folgend auch Lehrmann in jurisPK-BGB, 7. A.2014, § 2079 Rn. 61 f[↩]
- BayObLG NJW-RR 2005, 91 31 und FamRZ 1983, 952; BayObLGZ 1971, 147, 152; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 59 25; OLG Frankfurt FamRZ 1995, 1522; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 122 30; OLG Hamburg FamRZ 1990, 910; siehe auch bereits schon RGZ 59, 60, 64; Palandt/Weidlich, BGB, 75. A.2016, § 2079 Rn. 6; Czubayko in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2. A.2014, § 2079 Rn. 23 und 24; Stürner in Jauernig, BGB, 16. A.2015, § 2079 Rn. 5; Fleindl in Dauner-Lieb u.a., Anwaltkommentar Erbrecht, 2. A.2007, § 2079 Rn. 16 und 17[↩]
- Czubayko, a.a.O.[↩]