Erbausschlagung durch einen Nachlasspfleger

Der Nachlasspfleger ist nicht berechtigt, mit Wirkung für die unbekannten Erben eine in den Nachlass des Erblassers gefallene weitere Erbschaft auszuschlagen. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht.

Erbausschlagung durch einen Nachlasspfleger

Gemäß § 1960 Abs. 1 BGB hat das Nachlassgericht bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Das Gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt ist oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat. Der von dem Nachlassgericht gemäß § 1960 Abs. 2 BGB zu bestellende Nachlasspfleger ist gesetzlicher Vertreter des Erben. In dieser Eigenschaft und nicht etwa als Vertreter des Nachlasses bzw. treuhänderische Amtsperson hat er seiner Hauptaufgabe, der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, für den wirklichen Erben nachzukommen mit nach außen grundsätzlich unbeschränkter Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis1. In diesem Zusammenhang hat der Nachlasspfleger den Nachlass zu erhalten, zu verwalten und die Vermögensinteressen der noch festzustellenden Erben wahrzunehmen. Maßgebend hierfür ist nach objektiven Kriterien vor allem das wirtschaftlich und finanziell Vernünftige2. Demgegenüber gehört es nicht zu den Aufgaben des Nachlasspflegers, darüber zu entscheiden, wem der zu sichernde Nachlass endgültig zufällt3.

Der Nachlasspfleger ist insbesondere nicht berechtigt, die Erbschaft für die unbekannten Erben anzunehmen oder auszuschlagen4. Dass der Nachlasspfleger als Vertreter der unbekannten Erben nicht deren Erbenstellung durch Annahme oder Ausschlagung beeinflussen darf, kommt auch unmittelbar im Wortlaut von § 1960 BGB zum Ausdruck, wonach das Nachlassgericht, soweit ein Bedürfnis besteht, „bis zur Annahme der Erbschaft“ die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung des Nachlasses zu treffen hat und für denjenigen, welcher Erbe wird, einen Pfleger (Nachlasspfleger) bestellen kann.

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Unterschiedlich beurteilt wird demgegenüber die hier maßgebliche Frage, ob der Nachlasspfleger berechtigt ist, für die unbekannten Erben eine dem Erblasser noch vor seinem Tod angefallene unter Umständen überschuldete Erbschaft (sogenannter Unternachlass), die dieser selbst weder angenommen noch ausgeschlagen hat, auszuschlagen.

Eine Auffassung hält den Nachlasspfleger für berechtigt, diesen so genannten Unternachlass auszuschlagen5. Erforderlich sei in einem derartigen Fall lediglich gemäß § 1915 Abs. 1 Satz 1, § 1822 Nr. 2 BGB eine Genehmigung durch das Nachlassgericht. Die Gegenauffassung lehnt demgegenüber eine Ausschlagungsbefugnis seitens des Nachlasspflegers ab6.

Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Der Nachlasspfleger ist nicht berechtigt, mit Wirkung für die unbekannten Erben eine in den Nachlass des Erblassers gefallene weitere Erbschaft auszuschlagen. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht. Dies ergibt sich bereits aus § 1952 BGB. Gemäß § 1952 Abs. 1 BGB ist das Recht des Erben, die Erbschaft auszuschlagen, vererblich. Stirbt – wie hier – der Erbe vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist, so endigt die Frist nicht vor dem Ablauf der für die Erbschaft des Erben vorgeschriebenen Ausschlagungsfrist (§ 1952 Abs. 2 BGB). Die Ausschlagungsfrist des Erbeserben für den Unternachlass endet mithin, selbst wenn sie für den verstorbenen Erben – wie hier – bereits zu laufen begonnen hatte, frühestens mit dem Ende der Ausschlagungsfrist hinsichtlich des Hauptnachlasses7. Schon wegen dieses nicht drohenden Rechtsverlustes für den unbekannten Erbeserben besteht mithin kein Sicherungsbedürfnis, welches es rechtfertigen könnte, dass der Nachlasspfleger die allein dem Erben bzw. dem Erbeserben vorbehaltene Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft an sich ziehen müsste. Vielmehr bestünde im Gegenteil die Gefahr, dass der Nachlasspfleger durch ein von ihm selbst ausgeübtes Ausschlagungsrecht das den Erbeserben in § 1952 Abs. 1 und 2 BGB vorbehaltene persönliche Ausschlagungsrecht unterlaufen könnte.

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Es ist auch der Sache nach nicht gerechtfertigt, danach zu differenzieren, ob es sich um die Ausschlagung der Erbschaft nach dem Erblasser oder um eine solche einer in den Nachlass des Erblassers gefallenen Erbschaft eines Dritten handelt. In beiden Fällen ist es eine persönliche Entscheidung des Erben bzw. Erbeserben, ob er die Erbschaft annimmt oder ausschlägt. Zu Recht weist das Saarländische Oberlandesgericht8 in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft vom Erben bzw. Erbeserben nicht immer nur nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen werden wird, sondern hierfür auch persönliche Überlegungen, etwa ein besonderes Näheverhältnis zum Erblasser oder der Ruf und das Ansehen der Beteiligten, eine Rolle spielen können. Das kann auch in Fallbeispielen wie den hier vorliegenden und bei zunächst unbekannten Erben in Betracht kommen.

Dem steht auch der Wortlaut des § 1915 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1822 Nr. 2 BGB nicht entgegen. Auf die Pflegschaft finden die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften nur entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Letzteres ist hier wie oben gezeigt der Fall. Entsprechend ist in anderen Fallgestaltungen ebenfalls anerkannt, dass ein Ausschlagungsrecht nur persönlich durch den Erben ausgeübt werden kann. So ist etwa der Testamentsvollstrecker nicht zur Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft befugt9. Gemäß § 83 Abs. 1 InsO steht die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft wegen ihrer höchstpersönlichen Natur ausschließlich dem Schuldner im Insolvenzverfahren zu10. Warum dies beim Nachlasspfleger anders sein sollte, ist nicht ersichtlich.

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Auch zum Schutz des Nachlasses vor dem Zugriff durch Gläubiger des (überschuldeten) Unternachlasses ist eine Ausschlagung durch den Nachlasspfleger nicht erforderlich. Zu Recht geht das Saarländische Oberlandesgericht11 davon aus, ein Nachlasspfleger könne den Nachlass gegen den Zugriff von Gläubigern dadurch schützen, dass er die Einrede der Dürftigkeit gemäß §§ 1990, 1991 BGB erhebt oder sich auf den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung gemäß § 780 Abs. 1 ZPO beruft12. Demgegenüber kann es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht darauf ankommen, ob der Aufwand für den Nachlasspfleger, sich im Einzelfall gegen Forderungen von Nachlassgläubigern zur Wehr zu setzen, größer ist als eine Ausschlagung der Erbschaft. Sollten durch diese Tätigkeit des Nachlasspflegers höhere Kosten als durch eine Erbschaftsausschlagung entstehen, sind diese vom Nachlass zu tragen. Allein die mögliche Gefahr einer höheren Kostenbelastung vermag eine Befugnis des Nachlasspflegers zur Vornahme einer Ausschlagung anstelle des Erben bzw. Erbeserben nicht zu begründen.

Auch ein Vergleich zwischen der Betreuung und der Nachlasspflegschaft rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Ist der Erbe – wie hier die Erblasserin – nicht oder nur beschränkt geschäftsfähig und ist insoweit Betreuung angeordnet, so vertritt der Betreuer gemäß § 1902 BGB den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich und ist in diesem Zusammenhang auch zur Ausschlagung berechtigt13. Der Betreuer nimmt insoweit als gesetzlicher Vertreter das höchstpersönliche Recht des Erben auf Erbschaftsausschlagung in Anspruch. Damit ist die Rechtsstellung des Nachlasspflegers, der allein für die unbekannten Erben tätig wird, denen ihr Recht auf Ausschlagung erhalten bleiben soll, nicht zu vergleichen. Ob – wie die Rechtsbeschwerde ferner geltend macht – der für die unbekannten Erben bestellte Nachlasspfleger berechtigt ist, einen in den Nachlass gefallenen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen14, kann offenbleiben, da dies eine gänzlich andere Fallkonstellation darstellt als die hier zu beurteilende Ausschlagung einer in den Nachlass gefallenen Erbschaft.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. März 2022 – IV ZB 27/21

  1. BGH, Urteil vom 08.12.2004 – IV ZR 199/03, BGHZ 161, 281 17][]
  2. OLG Hamm NLPrax 2019, 33 unter – II 10][]
  3. vgl. MünchKomm-BGB/Leipold, 8. Aufl. § 1960 Rn. 70[]
  4. vgl. Motive – V S. 550 f.; MünchKomm-BGB/Leipold aaO; Grüneberg/Weidlich, BGB 81. Aufl. § 1945 Rn. 2; Staudinger/Mesina, BGB (2017) § 1960 Rn. 48; Ivo in Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht 6. Aufl. § 1945 Rn. 12; BeckOGK/Heinemann, BGB, § 1960 BGB Rn. 100 [Stand: 1.12.2021]; Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft 5. Aufl. Rn. 386[]
  5. vgl. etwa Staudinger/Mesina, BGB (2017) § 1960 Rn. 48; Krug in Kroiß/Ann/Mayer, BGB 6. Aufl. § 1960 Rn. 80; Muscheler, Erbrecht – II Rn. 3097 Fn. 459; Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft 5. Aufl. Rn. 387 f.; Jochum/Pohl, Nachlasspflegschaft 5. Aufl. Rn. 556; eine derartige Befugnis des Nachlasspflegers wohl stillschweigend voraussetzend ferner OLG Schleswig ZErb 2012, 187 unter 2 30]; unklar Krätzschel in Firsching/Graf, Nachlassrecht 11. Aufl. § 41 Rn. 85[]
  6. vgl. Münch-Komm-BGB/Leipold, 8. Aufl. § 1960 Rn. 70; Soergel/Naczinsky, BGB 14. Aufl. § 1960 Rn. 38; BeckOGK/Heinemann, BGB § 1952 Rn. 10; anders aber ders. § 1960 Rn. 100 [Stand: 1.12.2021]; jurisPK-BGB/Hönninger, 9. Aufl. § 1960 Rn. 34; Kipp/Coing, Erbrecht 14. Aufl. § 89 – III 1; Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung 6. Aufl. § 1 Rn. 169[]
  7. vgl. BeckOGK/Heinemann, BGB § 1952 Rn. 25 [Stand: 1.12.2021][]
  8. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.09.2021 – 5 W 39/21[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2014 – IV ZR 104/14, ZEV 2015, 107 Rn. 9; Staudinger/Dutta, BGB (2021) § 2205 Rn. 27[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2012 – IX ZR 56/12, ErbR 2013, 148 Rn. 11; Beschluss vom 10.03.2011 – IX ZB 168/09, ZEV 2011, 327 Rn. 6[]
  11. OLG Saarbrücken, a.a.O.[]
  12. vgl. Staudinger/Dobler, BGB (2020) § 1990 Rn. 44; MünchKomm-BGB/Küpper, 8. Aufl. § 1990 Rn. 10; ferner auch BeckOGK/Heinemann, BGB § 1960 Rn. 134 [Stand: 1.12.2021][]
  13. vgl. MünchKomm-BGB/Leipold, 8. Aufl. § 1945 Rn. 38[]
  14. so Scheuing, Der Pflichtteilsanspruch in Zwangsvollstreckung und Insolvenz, S. 26; anders Staudinger/Herzog BGB §§ 2303 – 2345 (2021), § 2317 Rn. 123[]
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