Ein Erbscheinsantrag ist nicht unzulässig, wenn der Antragsteller vom Gesetz geforderte Beweismittel ohne Verschulden nicht angibt. Stattdessen setzt die Pflicht des Nachlassgerichts zur Amtsermittlung gemäß § 2358 BGB a.F., § 26 FamFG ein.

Ein Erbscheinsantrag ist nicht unzulässig, wenn der Antragsteller vom Gesetz geforderte Beweismittel ohne Verschulden nicht angibt1. Stattdessen setzt die Pflicht des Nachlassgerichts zur Amtsermittlung gemäß § 2358 BGB a.F., § 26 FamFG ein2. Das ergibt die Auslegung des bis zum 16.08.2015 geltenden § 2356 Abs. 1 BGB (im Folgenden: § 2356 Abs. 1 BGB a.F.), der inhaltlich § 352 Abs. 3 FamFG entspricht.
§ 2356 Abs. 1 BGB a.F., der gemäß Art. 229 § 36 EGBGB auf dieses Verfahren weiter anwendbar ist, bestimmt die vorzulegenden Beweise zu den im Erbscheinsantrag erforderlichen Angaben. Diese Beweismittel „hat“ der Antragsteller anzugeben; das ist daher grundsätzlich Voraussetzung eines zulässigen Antrags. Jedoch steht dies unter dem ungeschriebenen Vorbehalt, dass der Antragsteller solche Beweismittel bei pflichtgemäßem Bemühen überhaupt angeben kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beweisanforderungen des § 2356 Abs. 1 BGB a.F. Teil der Mitwirkungspflichten im Erbscheinsverfahren sind3. Die allgemeine Mitwirkungspflicht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 27 Abs. 1 FamFG bedeutet jedoch (nur), dass die Parteien durch Angaben von Tatsachen und Beweismitteln eine gerichtliche Aufklärung ermöglichen sollen, soweit sie dazu in der Lage sind4. Eine verweigerte Mitwirkung beeinflusst dann den Umfang gerichtlicher Ermittlungen, wenn sie zumutbar war5. Das Gesetz geht dementsprechend davon aus, dass die Mitwirkungspflichten schuldhaft verletzt werden können (vgl. § 81 Abs. 2 Nr. 4 FamFG), was aber die Möglichkeit der Entschuldigung einschließt. Im Erbscheinsverfahren kann daher eine Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse verschuldet oder unverschuldet sein6.
Das steht im Einklang mit dem Zweck des § 2356 Abs. 1 BGB a.F. Die besonderen Regelungen zur Mitwirkungspflicht im Erbscheinsverfahren sollen sicherstellen, dass in diesem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Verfahren die Ermittlungslast nicht allein beim Nachlassgericht liegt, da die Ermittlung der den Antrag begründenden Tatsachen in erster Linie im Interesse des Antragstellers liegt und dieser regelmäßig den zu ermittelnden Sachverhalt besser kennt als das Nachlassgericht und über einen besseren Zugang zu bestimmten Beweismitteln verfügt7. Der Gesetzgeber sah § 2356 BGB a.F. als eine „Regelung der Beweislast“ an8. Deswegen muss zunächst der Antragsteller selbst nach Kräften bemüht sein, sein behauptetes Erbrecht, so wie er es im Erbschein bezeugt haben will, nachzuweisen9. Nach diesem Zweck finden die Pflichten des Antragstellers ihre Grenze an seinen Möglichkeiten zur Angabe von Beweismitteln.
Auch aus der Regelung des § 2358 Abs. 1 BGB a.F., nach der das Nachlassgericht „unter Benutzung der von dem Antragsteller angegebenen Beweismittel“ von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat, ergibt sich nicht, dass ohne solche Angaben ein Erbscheinsverfahren nicht eingeleitet werden kann bzw. ein gleichwohl gestellter Antrag unzulässig wäre. Nach dem Willen des Gesetzgebers war diese Vorschrift insgesamt Ausdruck der „Offizialmaxime“, d.h. des Amtsermittlungsgrundsatzes10. Die Regelung ist mit der Überführung der Vorschriften zum Erbscheinsverfahren in das FamFG ersatzlos gestrichen worden, da der Gesetzgeber davon ausging, dass sich die entsprechenden Grundsätze bereits aus §§ 26, 29 FamFG ergäben und mit dem dort nicht enthaltenen Zusatz „unter Benutzung der von dem Antragsteller angegebenen Beweismittel“ keine inhaltliche Einschränkung der Amtsermittlungspflicht verbunden sei11. Das Nachlassgericht ist daher bei der Tatsachenfeststellung weder auf die von den Beteiligten angegebenen Beweismittel beschränkt noch muss es stets allen Beweisanträgen nachgehen12, so dass auch das Fehlen von Beweisangeboten zu bestimmten Umständen dem Verfahren nicht entgegensteht.
Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main13 ist es dem Nachlassgericht auch möglich, das Verschulden des Antragstellers zu beurteilen. Dieser hat substantiiert darzulegen, warum er zur Angabe der Beweismittel nicht in der Lage ist14. Bei den an diese Entschuldigung zu stellenden Anforderungen kann zu berücksichtigen sein, wie nah der Antragsteller dem Erblasser stand; insbesondere ein Gläubiger des Erblassers wird regelmäßig weniger Kenntnisse und einen schlechteren Zugang zu bestimmten Beweismitteln haben15.
Der Erbscheinsantrag kann nicht deswegen zurückgewiesen werden, weil die Antragstellerin bisher die unterbliebene Angabe von Beweismitteln für die Existenz oder Nichtexistenz einer weiteren Erbin nicht entschuldigt hat. Nachdem sie in ihrer Beschwerdeschrift mitgeteilt hatte, sie versuche die angebliche weitere Tochter zu ermitteln, hat das Oberlandesgericht Frankfurt die Beschwerde zurückgewiesen. Im Rahmen der im Erbscheinsverfahren geltenden Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) hat das Gericht aber die Beteiligten zur Mitwirkung zu veranlassen und auf eine Ergänzung des tatsächlichen Vorbringens hinzuwirken16. Einen Hinweis auf die Notwendigkeit, zu den Hinderungsgründen vorzutragen, hat das Gericht bisher nicht erteilt.
Das Gericht wird für die Frage der Zulässigkeit des Erbscheinsantrags Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Antragstellerin ein Verschulden an der bisher unterbliebenen Angabe von Beweismitteln für die Existenz oder Nichtexistenz einer weiteren Erbin trifft. In diesem Zusammenhang trifft die Antragstellerin keine Verpflichtung zur Einschaltung eines Erbenermittlers oder Privatdetektivs. Von einem Antragsteller kann die Beschaffung weiterer Informationen nur verlangt werden, wenn dies für ihn mit – auch finanziell – vertretbarem Aufwand möglich ist. Dazu gehören die vergütungspflichtigen Leistungen eines Erbenermittlers oder Privatdetektivs in der Regel nicht. Grundsätzlich hat nämlich das Nachlassgericht die erforderlichen Ermittlungen gemäß § 2358 BGB a.F., § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführen17.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Februar 2023 – IV ZB 16/22
- vgl. MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2356 Rn. 2; Zimmermann in Soergel, BGB 13. Aufl. § 2356 Rn. 26; ders. in Sternal, FamFG 21. Aufl. § 352 Rn. 61; a.A. OLG Düsseldorf ErbR 2014, 493, 496 18]: nur bei objektiver Unmöglichkeit[↩]
- vgl. Staudinger/Herzog, BGB (2016) § 2353 Rn. 58; Zimmermann in Soergel aaO Rn. 2; BeckOK-FamFG/Schlögel, § 352 Rn. 17 [Stand: 1.10.2022]; MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl.2013, BGB § 2354 Rn. 3 f.[↩]
- vgl. MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2354 Rn. 1[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 186[↩]
- vgl. aaO[↩]
- vgl. dazu als Aspekt der Kostenentscheidung BGH, Beschluss vom 18.11.2015 – IV ZB 35/15, FamRZ 2016, 218 Rn. 16[↩]
- vgl. jurisPK-BGB/Lange, 7. Aufl. § 2354 Rn. 2; zur besseren Kenntnis auch OLG Naumburg FamRZ 2016, 652, 654 11][↩]
- vgl. zu § 2070 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band – V S. 299[↩]
- vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1996, 1441, 1442 11]; OLG Köln Rpfleger 1981, 65 6]; BayObLGZ 1951, 690, 695[↩]
- vgl. zu § 2070 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band – V S. 300[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/4201 S. 61[↩]
- vgl. Staudinger/Herzog, BGB (2010) § 2358 Rn. 7[↩]
- OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 02.06.2022 – 20 W 264/20[↩]
- vgl. Zimmermann in Sternal, FamFG 21. Aufl. § 352 Rn. 61[↩]
- vgl. LG Flensburg JurBüro 1968, 558, 559; Zimmermann in Soergel, BGB 13. Aufl. § 2358 Rn. 1; ders. in Sternal aaO[↩]
- vgl. BayObLG FamRZ 2001, 771, 773 35][↩]
- vgl. OLG Hamm NJW-RR 2015, 1160 16][↩]
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- OLG Frankfurt a.M. Richterbank: OLG Frankfurt a.M.