Erbscheinssache – und die Anwaltsvergütung für das Beschwerdeverfahren

Seit dem Inkrafttreten 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes erhält der im Beschwerdeverfahren eines Erbscheinsverfahrens tätige Rechtsanwalt grundsätzlich eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG.

Erbscheinssache – und die Anwaltsvergütung für das Beschwerdeverfahren

Eine Ermäßigung auf eine 1,1-fache Gebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG i.V.m. Anm. 2 Nr. 2 findet nur dann statt, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie die Entgegennahme der gerichtlichen Entscheidung beschränkt, etwa, weil der Beschwerdegegner sich im Beschwerdeverfahren nicht äußert.

Im Falle eines kontradiktorisch geführten Beschwerdeverfahrens – etwa, wenn Schriftsätze gewechselt werden, widerstreitende Anträge gestellt werden, zu Hinweisen des Gerichts schriftsätzlich Stellung genommen werden muss oder es zu einem Termin kommt – greift diese Ermäßigung für keine der beiden Seiten.

Seit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG)1 zum 1.08.2013 gilt das Folgende:

Im Erbscheinsverfahren erhält der im Beschwerdeverfahren tätige Rechtsanwalt grundsätzlich eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG. Dies ist die allgemeine Ansicht in Rechtsprechung und Literatur2.

Entgegenstehende Rechtsprechung bezieht sich auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes; zu diesem Zeitpunkt Umfasste die Vorbemerkung 3.2.1 noch nicht die Endentscheidungen zur Hauptsache in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit3. Durch das Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz sind diese Beschwerden aber nun gebührenrechtlich der Berufung gleichgestellt. Das gilt auch für Beschwerden in Erbscheins- oder Nachlassverfahren4.

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Danach reicht für die Entstehung einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG im Beschwerdeverfahren grundsätzlich aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdegegners beauftragt ist und im Beschwerdeverfahren tätig wird, also – über die bloße Entgegennahme der Beschwerdeschrift hinaus – etwa die Beschwerdeschrift pflicht- und auftragsgemäß darauf prüft, ob etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist, oder – was nicht erforderlich aber hier geschehen ist – sogar einen Schriftsatz einreicht oder einen Antrag stellt5.

Eine Ermäßigung auf eine 1,1-fache Gebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG in Verbindung mit Anmerkung 2 Nr. 2 zu dieser Ziffer findet nur dann statt, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie die Entgegennahme der gerichtlichen Entscheidung beschränkt6: Der Gesetzgeber wollte nicht in allen Fällen dem Anwalt die 1,6-fache Gebühr für das Beschwerdeverfahren zugestehen. Grundsätzlich soll der Rechtsanwalt zwar eine höhere Vergütung erhalten als die 0, 5-fache Gebühr nach alter Rechtslage; bleibt es bei der Rechtsmitteleinlegung und seiner Begründung und muss der Rechtsanwalt darüber hinaus keine weiteren Tätigkeiten entfalten, als später die Entscheidung des Gerichts entgegenzunehmen, dann soll seine Tätigkeit aber mit einer 1, 1-fachen Gebühr angemessen vergütet sein. Damit sollen insbesondere die einseitigen Verfahren erfasst werden7, denn häufig gibt es in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keinen echten Gegner, der sich beteiligt oder der sich gegen ein Rechtsmittel wehrt. Zum Teil gibt es zwar einen „Gegner“; dieser beteiligt sich aber im Verfahren nicht, so dass die Sache „einseitig“ bleibt und es der Anwalt nur mit dem Gericht zu tun hat. Diese Fälle sollen mit einer 1,1-Verfahrensgebühr vergütet werden8.

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Schließt sich an die Begründung des Rechtsmittels dagegen eine weitere Tätigkeit an, werden also – wie im hier vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Fall – Schriftsätze gewechselt, weil sich der Gegner am Verfahren beteiligt und auf seine Einlassung erwidert werden muss, werden widerstreitende Anträge gestellt, muss zu Hinweisen des Gerichts schriftsätzlich Stellung genommen werden oder kommt es zu einem Termin oder Ähnlichem, dann greift nicht mehr die Ermäßigung gemäß Nr. 3201 VV RVG in Verbindung mit Anmerkung 2 Nr. 2, sondern der Rechtsanwalt erhält die volle 1, 6-fache Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG9.

Zu einer angenommenen Ungleichbehandlung der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers einerseits und des Beschwerdegegners andererseits kommt es insoweit gerade nicht, da in kontradiktorischen Verfahren Nr. 3201 VV RVG in Verbindung mit Anmerkung 2 Nr. 2 regelmäßig für keine der beiden Seiten greift.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 10. März 2022 – 3 W 3/22

  1. vom 23.07.2013, BGBl. I 2013, S. 2586[]
  2. OLG Köln, Beschluss vom 10.12.2018 – 2 Wx 408/18 8; OLG Jena, Beschluss vom 23.02.2016 – 1 W 84/16 8; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.05.2014 – 8 W 167/14 26; OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.05.2017 – 20 W 2/16 13; Deppenkemper, in: BeckOGK BGB, Stand: 1.03.2021, § 2139 BGB, Rn. 64 m.w.N.; Enders, in Hamm, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 12. Auflage 2022, § 57, Rn.199; Gierl, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 352e FamFG, Rn. 238; Grziwotz, in: MünchKomm- FamFG, 3. Auflage 2019, § 352e, Rn. 67; Horn, in: Beck’sche Online-Formulare Erbrecht, 34. Edition 2022, Stand: 1.03.2021, Formular 5.09.1, Anm. 16; Kroiß, in: Kroiß/Ann/Mayer, BGB, Band 5: Erbrecht, 6. Auflage 2022, § 2353, Rn. 58 a.E.; Hähn, in: Krug/Horn, Pflichtteilsprozess, 3. Auflage 2022, § 20, Rn. 65; Poller, in: Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Auflage 2019, § 352e FamFG, Rn. 68; Zimmermann, in: Keidel, FamFG, 20. Auflage 2020, § 352e, Rn. 140[]
  3. vgl. z.B. OLG München, Beschluss vom 07.03.2006 – 32 Wx 23/06 u. 26/06, NJW-RR 2006, S. 1727 [1728][]
  4. OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.05.2014 – 8 W 167/14 26; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage 2021, Nr. 3500 VV, Rn. 4 m.w.N. auch zur alten Rechtslage[]
  5. OLG Köln, Beschluss vom 10.12.2018 – 2 Wx 408/18, Rn. 8; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.05.2014 – 8 W 167/14 22[]
  6. kritisch aber: Grziwotz, in: MünchKomm- FamFG, 3. Auflage 2019, § 352e, Rn. 67 m.w.N.[]
  7. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471 vom 14.11.2012, S. 277[]
  8. Schneider, in: NJW 2014, S. 982 [984]; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.05.2014 – 8 W 167/14, Rn. 23, 28 [im Beschwerdeverfahren keine Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdegegner nach außen][]
  9. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471 vom 14.11.2012, S. 277; Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, Nr. 3201 VV RVG, Rn. 21; Schneider, in: NJW 2014, S. 982 [984 f.][]
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