Erbscheinverfahren – und der Geschäftswert im Beschwerdeverfahren

Nach § 61 Abs. 1 S. 1 GNotKG bestimmt sich im Rechtsmittelverfahren der Geschäftswert nach den „Anträgen des Rechtsmittelführers“.

Erbscheinverfahren – und der Geschäftswert im Beschwerdeverfahren

Zum Verständnis dieser Vorschrift ist zunächst auf die Rechtslage nach der KostO hinzuweisen, die für die Kostenerhebung in Beschwerdeverfahren anwendbar war, die bis zum 31.07.2013 eingeleitet worden sind. Nach § 131 Abs. 2 KostO bestimmte sich der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren nach § 30 KostO. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten war danach der Wert gem. § 30 Abs. 1 KostO nach freiem Ermessen zu bestimmen. Dabei wurde maßgeblich auf das wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren abgestellt. Beschränkte sich – wie in der vorliegenden Fallkonstellation – das Interesse des Beschwerdeführers auf einen von ihm geltend gemachten Erbanteil, so wurde nur eine entsprechende Quote vom Nachlasswert für den Geschäftswert herangezogen, und zwar auch dann, wenn bei dem angestrebten Erfolg des Rechtsmittels der vom Beschwerdegegner für den Gesamtnachlass gestellte Erbscheinsantrag zurückgewiesen werden müsste1.

Dieser Bewertungsansatz ist auch unter Geltung des GNotKG geboten. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts darf die Anwendung des § 61 Abs. 1 S. 1 GNotKG nicht mit der Wertvorschrift des § 40 Abs. 1 S. 1 GNotKG vermengt werden. Die letztgenannte Vorschrift betrifft ausschließlich das erstinstanzliche Verfahren u.a. zur Erteilung eines Erbscheins: Sofern der Antrag sich nicht auf einen Teilerbschein beschränkt (Abs. 2), ist der gesamte Nachlasswert unter Abzug lediglich der Erblasserschulden (Abs. 1 S. 2) zu berücksichtigen.

Weiterlesen:
Der im Sterberegister falsch eingetragene Geburtsort - und die Beschwerde des Ehegatten

Die Sondervorschrift des § 61 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GNotKG impliziert demgegenüber bereits im Ausgangspunkt, dass der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens hinter demjenigen des Verfahrens erster Instanz zurückbleiben kann. Die gezielt aus § 40 FamGKG übernommene Wortfassung der Vorschrift2 berücksichtigt indessen nicht hinreichend, dass das Beschwerderecht des FamFG Anträge des Rechtsmittelführers mit spezifisch verfahrensrechtlicher Bedeutung im Gegensatz etwa zu § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht vorschreibt. Vielmehr sieht § 65 Abs. 1 FamFG eine Begründung der Beschwerde lediglich als Sollvorschrift vor. Folglich kann in § 61 Abs. 1 S. 1 GNotKG lediglich das Beschwerdeziel des Rechtsmittelführers, also seine Beschwer gemeint sein, deren Beseitigung er mit seinem Rechtsmittel anstrebt. Diese Beschwer folgt aus der Beeinträchtigung eigener subjektiver Rechte durch den Entscheidungssatz der angefochtenen Entscheidung, die gem. § 59 Abs. 1 FamFG Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist und zugleich die sachliche Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts begrenzt. Richtet sich die Beschwerde gegen einen Feststellungsbeschluss (§ 352 FamFG) des Nachlassgerichts, kann sich die Beschwer nur daraus ergeben, dass der Beschwerdeführer eine Rechtsstellung als Erbe bzw. Miterbe für sich in Anspruch nimmt, die in dem nach dem Feststellungsbeschluss zu erteilenden Erbschein keine Berücksichtigung findet3. Hier beschränkt sich die Beschwer der Beschwerdeführerin auf den Erbteil von ½, den sie im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge für sich in Anspruch genommen hat.

Weiterlesen:
Testierunfähigkeit - als Einwand im Erbscheinsverfahren

Der Gesichtspunkt, dass ein – verfahrensrechtlich freigesteller – Antrag der Beschwerdeführerin dahin hätte ausformuliert werden müssen, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Erbscheinsantrag der anderen Beteiligten zurückzuweisen, kann nach Auffassung des OLG Hamm nicht zu einer anderen Bewertung führen. Das Oberlandesgericht Oberlandesgericht Hamm vermag in diesem Punkt der gegenteiligen Auffassung des OLG Schleswig4 sowie des OLG Düsseldorf5 nicht zu folgen. Denn dieser Gesichtspunkt betrifft ausschließlich den Entscheidungssatz, den das Beschwerdegericht bei einem sachlichen Erfolg der Beschwerde zu bilden hat. Dieser Entscheidungssatz wird in dem vorliegenden Zusammenhang maßgebend von dem Grundsatz der strengen Antragsgebundenheit des Erbscheinsverfahrens geprägt (§ 2353 BGB), der es ausschließt, einen Erbschein mit einem anderen als dem beantragten Inhalt zu erteilen. Jegliche Abweichung der Beurteilung der Erbfolge, die das Beschwerdegericht für geboten hält, muss deshalb zwingend zur Zurückweisung des Erbscheinsantrags insgesamt führen, sofern nicht eine etwa zulässige Antragsanpassung erfolgt. Dieser Gesichtspunkt steht deshalb in keinem Zusammenhang mit der Beschwer des Rechtsmittelführers, sondern ist ausschließlich eine Folge spezifischer verfahrensrechtlicher Wirkungen des von den Beschwerdegegnern gestellten verfahrenseinleitenden Erbscheinsantrags.

Ergänzend muss berücksichtigt werden, dass im Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins eine der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidung nicht getroffen werden kann. Im Zivilprozess mag die Bewertung des Rechtsmittelinteresses des Berufungsführers, der durch sein Rechtsmittel gegen ein stattgebendes Feststellungsurteil jegliche erbrechtlichen Ansprüche des Klägers ausschließen will, zu dem Ergebnis führen können, dass der Streitwert mit der festgestellten Beteiligung des Klägers am Nachlass deckungsgleich ist6. Im Erbscheinsverfahren beschränkt sich das Interesse des Beschwerdeführers demgegenüber darauf, die Erteilung eines Erbausweises zu verhindern, der derjenigen erbrechtlichen Position entgegensteht, die der Beschwerdeführer für sich selbst in Anspruch nimmt. Die Beschwerde kann deshalb nur ein Mittel sein, die eigene Rechtsposition zu befördern mit dem Ziel der späteren Erlangung eines Erbscheins entsprechend dem von dem Beschwerdeführer für sich in Anspruch genommenen Erbrechts.

Weiterlesen:
Wohnmobil kaufen und sterben

Die so vorgenommene Bewertung vermeidet eine gegenüber dem bisherigen Kostenrecht entstehende exorbitante Erhöhung des Kostenrisikos im Erbscheinsverfahren, die sich insbesondere auf die Höhe der von dem Beschwerdeführer zu tragenden eigenen sowie die von ihm bei Erfolglosigkeit der Beschwerde regelmäßig nach § 84 FamFG zu erstattenden Anwaltskosten der gegnerischen Beteiligten bezieht. Diese Erhöhung des Kostenrisikos betrifft insbesondere diejenigen in der Praxis nicht seltenen Fälle, in denen nach dem Tod des im gesetzlichen Güterstand verheirateten Erblassers einer von mehrere Abkömmlingen sein quotenmäßig geringes gesetzliches Erbrecht gegenüber einer testamentarischen Erbeinsetzung geltend macht, die er für unwirksam hält. Es entsteht dann schnell die Problematik, ob die aus dem vollen Nachlasswert berechnete Kostenlast mit der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art.19 Abs. 4 GG) noch in Einklang steht7.

Der Nachlass kann deshalb nur Bezugsgröße für die Bewertung des wirtschaftlichen Interesses des Beschwerdeführers entsprechend seiner Beschwer sein. Die Bewertung des Nachlasses muss in diesem Rahmen nach einheitlichen Maßstäben erfolgen ohne Rücksicht darauf, ob die Beschwerdeführerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens dem Erbscheinsantrag der Antragstellerinnen entgegentritt oder in einer denkbaren anderen Verfahrensgestaltung selbst die Erteilung eines Teilerbscheins entsprechend dem von ihr in Anspruch genommenen Erbteil von ½ im Rahmen gesetzlicher Erbfolge beantragt. Dementsprechend muss die Bewertung des Nachlasses als Bezugsgröße auch hier unter Berücksichtigung des § 40 Abs. 1 S. 2 GNotKG erfolgen, d.h. dass nur die vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten (Erblasserschulden; § 1967 Abs. 2 1. Alt. BGB) von dem Aktivnachlass abgezogen werden dürfen, während die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen (Erbfallschulden, § 1967 Abs. 2 2. Alt. BGB) unberücksichtigt bleiben müssen. Die Berücksichtigung der Erbfallschulden ist durch § 40 Abs. 1 S. 2 GNotKG im Gegensatz zur bisherigen Vorschrift des § 107 Abs. 2 KostO gezielt zur Vereinfachung der Kostenerhebung beseitigt worden8. Die Vorschrift muss deshalb in allen Zusammenhängen angewandt werden, in denen der Nachlasswert als Bezugsgröße für die Wertberechnung heranzuziehen ist. Daraus folgt, dass die Zuwendungen in dem Testament der Erblasserin an die Antragstellerinnen, die die Beschwerdeführerin lediglich als Vermächtnisse verstanden wissen will, nicht wertmindernd in Abzug zu bringen sind.

Weiterlesen:
Betreuungsverfahren - und die erneute Anhörung durch das Beschwerdegericht

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 5. August 2015 – 15 W 341/14

  1. BayObLG JurBüro 1974, 1428; JurBüro 1983, 899; BayObLGZ 1994, 40, 56; OLG Celle NdsRpfl 1961, 226[]
  2. BT-Drs. 17/11471 neu S. 173[]
  3. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 18. Aufl., § 59 Rdnr. 77[]
  4. OLG, Schleswig, FGPrax 2015, 93[]
  5. OLG Düsseldorf, ErbR 2015, 383[]
  6. BGH ZEV 2011, 656[]
  7. OLG Düsseldorf a.a.O.[]
  8. BT-Drs. 17/11471 neu S. 165[]

Bildnachweis: