Ist mit einem Erbvertrag, durch den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen übernimmt – etwa die Verpflichtung, keine Veräußerung oder Belastung seines Hausgrundstücks zu Lebzeiten vorzunehmen -, so kann der Erblasser wegen unterbliebener Pflegeleistungen gemäß § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten.

Ein derartiger Rücktritt kommt allerdings erst dann in Betracht, wenn der Erblasser den Bedachten unter Fristsetzung zuvor vergeblich aufgefordert hat, die im Einzelnen zu bezeichnenden Pflegeleistungen zu erbringen.
Nach § 2295 BGB kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurückzutreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Grundsätzlich finden die Regelungen über gegenseitige Verträge nach § 320 ff. BGB, insbesondere über den Rücktritt nach § 323 BGB, auf Erbverträge keine Anwendung, da es am Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der erbrechtlichen Verfügung und der übernommenen Verpflichtung des Vertragserben fehlt1.
Ein gegenseitiger Vertrag liegt vor, wenn der Erbvertrag nicht nur die Erbeinsetzung des Bedachten einerseits und die Pflegeverpflichtung des Bedachten andererseits enthält, sondern der Erblasser weiter die Verpflichtung übernommen, sein Hausgrundstück nicht zu veräußern und zu belasten. In dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatten die Beteiligten zur Absicherung dieser Verpflichtung sogar für dem Fall eines Verstoßes hiergegen eine Pflicht zur sofortigen unentgeltlichen Übereignung in den Vertrag aufgenommen und diese zugunsten des Bedachten durch eine Vormerkung abgesichert. Diese Unterlassungspflicht des Erblassers sowie die Pflegepflicht des Bedachten stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von § 323 Abs. 1 BGB. Ist aber mit dem Erbvertrag ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, durch den der Bedachte sich dem Erblasser zur Gewährung von Pflege und/oder Unterhalt verpflichtet, so kann der Erblasser beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten2.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – IV ZR 30/10
- OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 1180; LG Köln DNotZ 1978, 685; Staudinger/ Kanzleiter, BGB [2006] § 2295 Rn. 3; MünchKommBGB/Musielak, 5. Aufl. § 2295 Rn. 1; Erman/Schmidt, BGB 12. Aufl. § 2295 Rn. 8; Soer-gel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2295 Rn. 4; Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag 5. Aufl. § 2295 Rn. 6[↩]
- vgl. bereits RG DNotZ 1935, 678; Staudinger aaO Rn. 9; Soergel aaO Rn. 4[↩]