Testament oder postmortale Vollmacht?

Die Überschrift „Testament“ auf einem Schriftstück, welches Bestimmungen für den Todesfalls des Erstellers enthält, lässt nicht ohne weiteres den Schluss auf einen Willen zur Erbeinsetzung zu; Gegenstand der letztwilligen Verfügung kann vielmehr auch allein eine postmortale Bevollmächtigung des im Schriftstück Genannten sein.

Testament oder postmortale Vollmacht?

Gemäß § 1937 BGB kann der Erblasser durch einseitige Verfügung von Todes wegen, die im Gesetzestext den Begriffen Testament und letztwillige Verfügung gleichgesetzt wird, den Erben bestimmen. Hat er eine solche Bestimmung wirksam getroffen, wird hierdurch die gesetzliche Erbfolge der §§ 1924 ff. BGB verdrängt1. Voraussetzung für eine testamentarische statt einer gesetzlichen Erbfolge ist es also, dass der Erblasser in einer wirksamen letztwilligen Verfügung eine Erbeinsetzung vorgenommen hat.

Ein Testament liegt vor, wenn der Erblasser Anordnungen für den Todesfall zu Lebzeiten getroffen hat, die aber erst mit dem Tod des Erblassers wirksam werden2, die also mit Ausnahme des wechselbezüglichen Testaments von ihm bis zum Eintritt des Todesfalls einseitig auch abgeändert werden können. Dabei ist das Testament nicht auf Verfügungen im Rechtssinne beschränkt, sondern erfasst auch die sonstigen vom Erblasser für den Todesfall getroffenen Anordnungen3. Gegenstand des Testaments kann also nicht nur eine Erbeinsetzung sein, sondern auch die Bestimmung eines Vermächtnisses oder die Erteilung einer Vollmacht4.

Im hier vom Oberlandesgericht Rostock entschiedenen Fall hat die Erblasserin zu ihren Lebzeiten ausdrücklich für den Fall ihres Ablebens Anordnungen getroffen. Es handelt sich also um letztwillige Verfügungen, die somit zutreffend jeweils mit dem Wort „Testament“ überschrieben sind. Auch die formellen Anforderungen an ein Testament sind – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – erfüllt. Lässt eine letztwillige Verfügung verschiedene Auslegungen zu, ist ihr Wortlaut also nicht klar und unmissverständlich, ist gem. § 2084 BGB im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei der die Verfügung Erfolg haben kann. Es ist also nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der reale Wille des Erblassers zu ermitteln5. Dabei sind die gesamten innerhalb und außerhalb der Urkunde liegenden Umstände heranzuziehen6. Gelingt es trotz Auswertung aller Umstände dem Gericht nicht, sich von dem tatsächlichen Willen des Erblassers zu überzeugen, muss sich das Gericht damit begnügen, dasjenige zu ermitteln, was dem Willen des Erblassers mutmaßlich am ehesten entspricht.

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Im vorliegenden Fall lassen die Schriftstücke vom 24.07.2002 und 17.09.2002 ihrem Wortlaut nach eine unterschiedliche Auslegung des tatsächlichen Erblasserwillens zu. Sie sind beide mit dem Wort „Testament“ überschrieben, während im niedergelegten Willen der Erblasserin das Wort „bevollmächtigt“ verwendet wird. Die Verwendung der Überschrift „Testament“ könnte zwar auf die Absicht der Erblasserin, Herrn R.S. zum Alleinerben einzusetzen, hinweisen. Zwingend ist dies indes nicht, da sich das Testament auch auf Anordnungen beschränken kann, die außerhalb einer Erbeinsetzung liegen. Das Oberlandesgericht vermag die Ansicht des Amtsgerichts, wonach der Erblasserin die Begriffe „Testament“ und „Vollmacht“ bekannt und ihre Rechtsnatur bewusst gewesen seien, nicht zu teilen. Der Umstand, dass die Erblasserin in beiden Schriftstücken im Wesentlichen nur einen von einem Dritten vorgeschriebenen Text in ihrer eigenen Handschrift wiedergibt, spricht eher dagegen, dass sie sich der rechtlich unterschiedlichen Tragweite eines Testaments und einer Vollmacht bewusst gewesen ist. Auch allein der Umstand, dass die Erblasserin neben den Schriftstücken vom 24.07.2002 und 17.09.2002 eine Bankvollmacht unterschrieben hatte, begründet nicht die Überzeugung, dass hierdurch über den Wortlaut hinaus statt einer Bevollmächtigung eine Erbeinsetzung erfolgen sollte. Ebenso spricht auch der Umstand, dass sich alle Beteiligten im Übertragungs- und Erbauseinandersetzungsvertrag dahin einig waren, dass im Falle des Ablebens der Erblasserin Herr R.S. sich die im vorbezeichneten Vertrag erfolgten Zuwendungen der Erblasserin nicht auf seinen Erbteil anrechnen lassen müsse, gegen den Willen der Erblasserin, ihn als Alleinerben einsetzen zu wollen. Zu jenem Zeitpunkt jedenfalls waren die Beteiligten offenbar nicht davon ausgegangen, dass Herr R.S. Alleinerbe sein solle. Umstände, die einen Sinneswandel der Erblasserin belegen, können nicht festgestellt werden. Allein der Umstand, dass Herr R.S. der Erblasserin Wohnraum zur Verfügung gestellt hat, veranlasst eine Auslegung der Testamente hin zu einer Erbeinsetzung nicht, denn hierzu war Herr R.S. schon wegen des eingeräumten Wohnrechts verpflichtet.

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Dass sich die Bankvollmacht und die Testamente zusammen in einem verschlossenen Umschlag befanden, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass den beiden mit „Testament“ überschriebenen Schriftstücken ein anderer Inhalt als eine Vollmachtserteilung zuzuordnen ist. Die Bankvollmacht nämlich beschränkt sich allein auf eine Verwendung gegenüber dem Kreditinstitut, während die weitergehende Formulierung im Falle des Ablebens der Erblasserin Herrn R.S. befugt, über die Bankgeschäfte hinaus tätig zu werden, also auch Verträge zu kündigen oder das Erbe auseinanderzusetzen. Das Oberlandesgericht verkennt nicht, dass es ungewöhnlich sein mag, in einem Umschlag mehrere Dokumente ähnlichen Inhalts zu verwahren, die stets dieselbe Person begünstigen. Dass die Erblasserin dies gleichwohl getan hat, spricht wiederum eher dafür, dass sie sich jedenfalls nicht zwingend der unterschiedlichen Tragweite des von ihr von einer Vorlage abgeschriebenen Textes bewusst war. Das Oberlandesgericht hält es dagegen eher für unüblich, wenn auf der Rückseite einer durch die Bank gestempelten und die Erblasserin gezeichneten für den Rechtsverkehr bestimmten Vollmacht handschriftlich ein gänzlich anderer Text angebracht, aber nicht unterzeichnet wird.

Schließlich kann in die Gesamtschau mit einbezogen werden, dass in allen drei Dokumenten allein Herr R.S. genannt wird. Die Beteiligten zu 3)) bis 6)) finden weder positive noch negative Erwähnung. Zwar ist eine ausdrückliche Erwähnung der übrigen Kinder im Testament selbst bei einer Erbeinsetzung nur eines Kindes als Alleinerben nicht erforderlich. Allerdings kann diesem Umstand jedenfalls dann, wenn zwischen Erblasser und allen Kindern ein gutes und freundliches Verhältnis bestand, eine gewisse Indizwirkung zukommen.

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In Abwägung all dessen ist das Oberlandesgericht nicht davon überzeugt, dass die Erblasserin Herrn R.S. als Alleinerben ihres gesamten Vermögens einsetzen wollte. Da das Oberlandesgericht aber weitergehende Feststellungen nicht mehr treffen kann, erscheint es ihm als der mutmaßliche Wille der Erblasserin, Herrn R.S., wie schon zu ihren Lebzeiten, auch für den Fall ihres Ablebens, mit einer Vollmacht auszustatten, um ihm die umfassende Abwicklung der Erbschaftsangelegenheit zu ermöglichen.

Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 W 98/14 – 3 W 0098/14

  1. Palandt/Weidlich, BGB, 73. Aufl., § 1937 Rn. 7[]
  2. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1937 Rn. 2[]
  3. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1937 Rn. 1[]
  4. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1937 Rn. 9[]
  5. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084 Rn. 1[]
  6. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084 Rn. 2[]