Die Behauptung der Revisionserwiderung, die Klageforderung sei von einem anderen Gesamtschuldner inzwischen vollständig erfüllt, kann im Revisionsverfahren aus prozessualen Gründen nicht berücksichtigt werden.

Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen der Beurteilung des Revisionsgerichts, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Neue Tatsachen – wie hier die Zahlung – dürfen im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Das zeigt schon die Zäsur des § 767 Abs. 2 ZPO1. Allerdings ist § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die sich erst während der Revisionsinstanz ereignen, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind und schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen2.
Eine einschränkende Auslegung des § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt im Streitfall im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen der Klägerseite aber nicht in Betracht. Im Fall eines Anerkenntnisses in der Revisionsinstanz hat es nach § 555 Abs. 3 ZPO der Kläger in der Hand, ob der Beklagte gemäß seinem Anerkenntnis oder aufgrund streitiger Entscheidung zu verurteilen ist. Für das Antragserfordernis nach § 555 Abs. 3 ZPO spielt es keine Rolle, ob der Beklagte die Klagforderung vor Abschluss des Revisionsverfahrens ausgleicht3. Damit will der Gesetzgeber das Interesse des Klägers an einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs schützen4. Liegt kein Anerkenntnis vor, ist das Interesse des Klägers an einer Entscheidung in einem Fall wie dem Streitfall, in dem die Beklagte sich auf die Wirkung des § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB nach der Erfüllung durch einen anderen Gesamtschuldner beruft, in der Sache aber dem gegen sie geltend gemachten Anspruch weiter entgegentritt, jedoch nicht weniger schutzwürdig.
Eine Erledigungserklärung, die auch noch in der Revisionsinstanz zulässig wäre5, hat der Kläger im hier entschiedenen Fall nicht abgegeben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. März 2023 – VI ZR 1369/20
- vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/13948 S. 35 li. Sp.; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 555 Rn. 8[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 23.09.2014 – VI ZR 358/13, BGHZ 202, 242 Rn. 21; vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, NJW 2022, 3072 Rn.19; jeweils mwN[↩]
- vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/13948 S. 35 li. Sp.[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 14.08.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223, 57 Rn. 35[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.09.1993 – V ZR 246/92, BGHZ 123, 264, 265 6 wmN[↩]