Ermittlungen gegen Dritte im Insolvenzeröffnungsverfahren

Das Insolvenzgericht kann den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht ermächtigen, Räume eines am Eröffnungsverfahren nicht beteiligten Dritten zu durchsuchen. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Fall aus Ahrweiler.

Ermittlungen gegen Dritte im Insolvenzeröffnungsverfahren

Die Frage, ob §§ 21, 22 InsO zu Eingriffen in Rechte Dritter berechtigt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten und höchstrichterlich noch nicht entschieden.

Die Insolvenzordnung enthält keine ausdrückliche Regelung, nach welcher das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter erlauben kann, Räume zu betreten und zu durchsuchen, die nicht im Besitz des Schuldners stehen. § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO ermächtigt den vorläufigen Insolvenzverwalter, „die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen“. Diese Regelung ist eindeutig. Sie betrifft die Räume des Schuldners, nicht die Räume Dritter. Das wird, soweit ersichtlich, in der untergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur auch nicht in Zweifel gezogen.

§ 21 Abs. 1 und 2 InsO stellt keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Durchsuchungsanordnung dar. § 21 InsO bestimmt, welche vorläufigen Maßnahmen das Insolvenzgericht treffen kann. Dabei enthält § 21 Abs. 2 InsO keine abschließende Regelung, wie sich schon aus dem Einleitungssatz „das Gericht kann insbesondere“ ergibt. In diesem Ansatz ist dem Beschwerdegericht zuzustimmen. Alle beispielhaft aufgeführten Maßnahmen betreffen jedoch Rechte des Schuldners, die eingeschränkt oder deren Ausübung überwacht werden können. Schon deshalb liegt eine Ausdehnung dieser Ermächtigungsgrundlage auf Eingriffe in Rechte Dritter nicht nahe. Die Regelung war auch nicht in diesem Sinne gemeint. Dies zeigt insbesondere die durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 20011 nachträglich eingefügten Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO. Das Enumerationsprinzip des § 6 InsO und die dadurch bewirkte Beschränkung von Rechtsmitteln auf die im Gesetz ausdrücklich genannten Fälle sollte den zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens gewährleisten2.

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Gegen nach § 21 InsO angeordnete Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren war eine sofortige Beschwerde zunächst nicht vorgesehen. Sie wurde nachträglich eingeführt, weil vorläufige Sicherungsmaßnahmen nachhaltig in die Rechtsposition des Schuldners eingreifen können und der völlige Ausschluss jedes Rechtsmittels auch verfassungsrechtlich bedenklich sei3. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist jedoch, wie gesagt, ausdrücklich dem Schuldner vorbehalten worden. Würde § 21 InsO auch Eingriffe in (Grund-) Rechte Dritter erlauben, hätte diesen Dritten zum Ausgleich ebenfalls das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eingeräumt werden müssen.

Soweit in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung4 sowie in der Literatur5 dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Verdunkelungshandlungen des Dritten im Zusammenwirken mit dem Schuldner vorliegen, Durchsuchungen (und andere Zwangsmaßnahmen)6 gegen am Verfahren nicht beteiligte Dritte für zulässig erachtet werden, wird dies vor allem mit den Bedürfnissen der Praxis begründet. Auch das Beschwerdegericht hat für entscheidend gehalten, dass der vorläufige Insolvenzverwalter seine Aufgaben dann, wenn Vermögensgegenstände des Schuldners in den alleinigen Gewahrsam Dritter verschoben würden, nicht wahrnehmen könne, wenn ihm keine Zwangsbefugnisse gegen den Dritten zustünden.

Vermeintliche oder wirkliche Bedürfnisse der Praxis vermögen das Fehlen einer verfassungsrechtlich gebotenen Ermächtigungsgrundlage jedoch nicht zu ersetzen. Die Durchsuchung von Geschäftsräumen greift in das Grundrecht der Gewahrsamsinhaber aus Art. 13 Abs. 1 GG auf Unverletzlichkeit der Wohnung ein7. Jede Durchsuchung, auch diejenige durch den Gerichtsvollzieher, stellt ihrer Natur nach regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privat- und Lebenssphäre des Betroffenen dar8. Sie bedarf deshalb gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, der auf die gesetzlich vorgesehenen Organe und auf die gesetzlich vorgeschriebene Form verweist, einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung9. An einer solchen fehlt es hier. Den Vorschriften der §§ 21, 22 InsO lässt sich, wie gezeigt, nicht entnehmen, dass das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter zu einer Durchsuchung von Räumen Dritter ermächtigen kann. Wegen des Fehlens einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage ist es auch nicht möglich, den Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung Dritter durch eine Analogie zu § 103 StPO zu begrenzen, die Durchsuchungsanordnung also vom Vorliegen der (engen) Voraussetzungen des § 103 StPO abhängig zu machen und so zu legitimieren10. Eine solche Regelung müsste der Gesetzgeber treffen.

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Der Beschluss des BGH vom 17. Januar 200811 betrifft den Fall des Mitgewahrsams eines Dritten an Räumlichkeiten des Schuldners. Dass Mitgewahrsamsinhaber die Durchsuchung zu dulden haben, ist gesetzlich geregelt (§ 758a Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO). Der angegriffene Beschluss ist indes nicht von gemeinsam genutzten Räumen, sondern von getrennten Räumen der Schuldnerin einerseits, der weiteren Beteiligten zu 2 und zu 3 andererseits ausgegangen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. September 2009 – IX ZB 38/08

  1. BGBl. I S. 2710[]
  2. BT-Drucks. 12/2443, S. 110[]
  3. BT-Drucks. 14/5680, S. 25; vgl. die Nachweise bei Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 21 Rn. 50[]
  4. AG Gelsenkirchen ZIP 1997, 2092; AG Duisburg NZI 2000, 38; LG Mainz NZI 2001, 384; AG Korbach ZInsO 2005, 1060, 1061; dagegen wohl nur LG Göttingen ZInsO 2005, 1280, 1281[]
  5. Frind EWiR 2008, 351, 352; Graf-Schlicker/Voß, InsO § 21 Rn. 30; Hess, Insolvenzrecht § 21 Rn. 106; HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 20 Rn. 23; Irmen/Werres NZI 2001, 579, 583 f; Pape; in Kübler/Prütting/Borg, InsO; HambKomm-InsO/Schröder, 3. Aufl. § 21 Rn. 13; § 21 Rn. 44; MünchKomm-InsO/Haarmeyer, 2. Aufl. § 22 Rn. 180; Thiemann DZWiR 2008, 251, 252; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 21 Rn. 10; Vallender EWiR 1997, 1097 f.[]
  6. vgl. AG München ZVI 2007, 22, 23 zur Anordnung einer Kontensperre[]
  7. vgl. zur Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind, BVerfGE 120, 274, 309 mit weiteren Nachweisen; BVerfG NJW 2009, 2518, 2519[]
  8. BVerfGE 51, 97, 110[]
  9. BK/Herdegen, GG Art. 13 Rn. 47; Dreier/Hermes, GG Art. 13 Rn. 33; Jarass/Pieroth, GG 10. Aufl. Art. 13 Rn. 16; Maunz/Dürig/ Herzog/Papier, GG Art. 13 Rn. 21[]
  10. vgl. Irmen/Werres, aaO[]
  11. BGH, Beschluss vom 17.01.2008 – IX ZB 41/07, NZI 2008, 179[]
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