Mit den Verkehrssicherungspflichten, insbesondere Prüfpflichten einer Kraftfahrzeugvertragshändlerin bei der Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln für Kraftfahrzeuge hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Dem zugrunde lag die Klage einer Kaskoversicherung, die eine Vertragshändlerin der Volkswagen AG aus übergegangenem Recht auf Ersatz von Versicherungsleistungen für gestohlene Kraftfahrzeuge in Anspruch nimmt. Die Kaskoversicherung hat als Kaskoversicherer diverse Kraftfahrzeuge gegen Diebstahl versichert. In den Jahren 2015 und 2016 wurden vier bei ihr versicherte Fahrzeuge, drei der Marke VW und eines der Marke Audi, gestohlen. Dabei setzten die Diebe echte Ersatzschlüssel ein, die – streitig zuletzt nur noch bezüglich des Fahrzeugs der Marke Audi – von der Vertragshändlerin bei der Volkswagen AGbestellt und dann an ein Unternehmen in Litauen, die UAB A. (im Folgenden: UAB), weitergegeben worden waren. Die UAB ist ein sogenannter NORA-Kunde („Nicht Organisationsgebundener Rabattbegünstigter Abnehmer“ von Originalteilen) der V. AG. Um diesen Status zu erreichen, muss ein Unternehmen einen Werkstattbetrieb nachweisen, der nicht Servicepartner der Vertriebsorganisation des V. Konzerns sein darf, also entweder eine markenungebundene Werkstatt oder eine Markenwerkstatt eines anderen Fahrzeugherstellers ist. Für die Schlüsselbestellung teilte die UAB den Mitarbeitern der Vertragshändlerin lediglich die Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) zu dem jeweiligen Fahrzeug mit. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung beziehungsweise der Frage, ob sich der Veranlasser der Bestellung im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs befindet, erfolgte nicht. Insbesondere wurde keine Legitimation in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen verlangt. Die gestohlenen Fahrzeuge wurden teilweise in eine Zerlegehalle verbracht, wo im Zuge polizeilicher Durchsuchungen sowohl Fahrzeugteile als auch Belege über die Schlüsselbestellungen bei der Vertragshändlerin sowie nachbestellte Schlüssel selbst aufgefunden wurden. Die Volkswagen AGempfiehlt zum Verfahren bei fehlenden und defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel für die Beschaffung eines Ersatzschlüssels im Auftrag eines Kunden eine besondere Verfahrensweise und Dokumentation („Nachweiskarte“), um Missbrauch zu verhindern. Sie fordert neben der Angabe der FIN u.a. einen Fahrzeug-Besitznachweis in Verbindung mit einer Legitimation (Pass/Ausweis), wenn der Kunde nicht persönlich bekannt ist, und regt eine Bestätigung durch Unterschrift sowie bei Verlust/Diebstahl des Altschlüssels die Information der Polizei und/oder seiner Versicherung an. Die Kaskoversicherung behauptet, die Schlüssel seien von der UAB an Diebe gelangt, welche die Fahrzeuge hiermit problemlos geöffnet und entwendet hätten. Sie ist der Auffassung, die Vertragshändlerin hätte die Nachbestellung von Ersatzschlüsseln lediglich gegen eindeutige Berechtigungsnachweise – etwa in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen – abwickeln dürfen. Allein die Übermittlung der FIN reiche hierfür nicht aus, weil diese an jedem Fahrzeug frei erkennbar sei und daher jederzeit ausgespäht werden könne.
Mit ihrer Klage begehrt die Kaskoversicherung Ersatz der von ihr regulierten Versicherungsschäden in Höhe von 57.656, 99 € nebst Zinsen. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Hildesheim hat der Klage vollumfänglich stattgegeben1. Die Berufung der Vertragshändlerin hatte vor dem Oberlandesgericht Celle – abgesehen von einer geringfügigen Korrektur des Zinsanspruchs – keinen Erfolg2. Und der Bundesgerichtshof hat nun auch die Revision der Vertragshändlerin als unbegründet zurückgewiesen; das Oberlandesgericht Celle habe zu Recht Schadensersatzansprüche der Kaskoversicherung aus übergegangenem Recht hinsichtlich der vier Autodiebstähle bejaht (§ 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 86 VVG), die Vertragshändlerin habe hinsichtlich der Ersatzschlüsselbestellungen und lieferungen ihre Verkehrssicherungspflichten in Gestalt von Prüf- und Kontrollpflichten verletzt:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind3.
In Bezug auf ein und dieselbe Gefahrenquelle kann sich dabei auch die Verantwortlichkeit mehrerer Personen ergeben4. In diesem Fall enden die Verkehrssicherungspflichten für denjenigen, der die Gefahr geschaffen hat, erst, wenn sichergestellt ist, dass der nachfolgende Beherrscher einer Gefahrenquelle die Gefahr erkannt hat und vernünftigerweise davon auszugehen ist, dass dieser Sicherungsmaßnahmen einleitet5. Unklarheiten in der Abgrenzung der Sicherungszuständigkeiten dürfen dabei nicht im Sinne einer wechselseitigen Entlastung der Sicherungspflichtigen zulasten des Geschädigten gehen; gegebenenfalls haften die mehreren Sicherungspflichtigen gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner6.
Darüber hinaus können Verkehrssicherungspflichten mit der Folge eigener Entlastung delegiert werden, wodurch sich die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen auf Kontroll- und Überwachungspflichten verkürzen und der Übernehmende seinerseits deliktisch verantwortlich wird. Voraussetzung hierfür ist, dass die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird. Eines wirksamen Vertrages bedarf es insoweit nicht. Entscheidend ist, dass der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Verkehrssicherung für den Gefahrenbereich übernimmt und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den primär Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf das Tätigwerden des Beauftragten verlässt7.
Nach diesen Grundsätzen hat das Oberlandesgericht Celle Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht der Vertragshändlerin mit Recht bejaht:
Hier ergab sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Wie das Oberlandesgericht Celle zutreffend erkennt, hat die Vertragshändlerin durch die Überlassung von Ersatzschlüsseln an die UAB ohne vorherige Prüfung, ob diese sich berechtigt im Besitz der mit den Ersatzschlüsseln zu versorgenden Kraftfahrzeuge befand oder berechtigt für die jeweiligen Halter/Eigentümer handelte, die erhebliche Gefahrenlage für diese Eigentümer geschaffen, dass ihr Fahrzeug von Unbefugten genutzt und/oder entwendet wird. Durch die Nachbestellung und das Inverkehrbringen des Ersatzschlüssels wird eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug geschaffen, welche die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte in sich trägt8. Dass die Gefahr sich aus missbräuchlichem Verhalten Dritter speist, steht der Annahme einer Verkehrssicherungspflicht nicht entgegen. Verkehrssicherungspflichten dienen auch der Verhütung solcher Gefahren, die aus unbefugtem oder missbräuchlichem Verhalten entstehen, wenn die Gefahr zweckwidriger Benutzung groß ist und dem Sicherungspflichtigen Vorkehrungen gegen die missbräuchliche Nutzung möglich und zumutbar sind9.
Dieser Gefahr und den tatsächlich eingetretenen Rechtsgutsverletzungen durch die Kfz-Diebstähle hätte – wie das Oberlandesgericht Celle zutreffend sieht – durch Prüfung der Berechtigung der Schlüsselanforderung und Plausibilisierung des Schlüsselverlustes vorgebeugt werden können. Vorkehrungen – etwa in Form der Vorlage eines Bestellschreibens des betroffenen Fahrzeughalters nebst Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen sowie eines Nachweises über den Defekt oder das Abhandenkommen des Erstschlüssels – waren der Vertragshändlerin möglich und zumutbar. Dass eine solche Handhabung der Erwartung der betroffenen Verkehrskreise entsprach, ergibt sich bereits aus den Empfehlungen der Volkswagen AGzur Verfahrensweise und Dokumentation bei Ersatzschlüsselbestellungen zur Verhinderung von Missbrauch, auch wenn diese ausdrücklich die Ersatzschlüsselbestellung durch den Kunden anspricht und auf das vorliegende Verhältnis eines Vertragshändlers zu einem NORA-Kunden nicht unmittelbar anwendbar sein sollte. Da die UAB für die Ersatzschlüsselbeschaffung nicht den direkten Weg zum Hersteller wählte, weil ihr dieser auch als NORA-Kunde verschlossen war, sondern die Vertragshändlerin damit beauftragte, musste diese als verständige, umsichtige, vorsichtige und gewissenhafte Vertragshändlerin mit der Befugnis zur Ersatzschlüsselbeschaffung im Bewusstsein der Missbrauchs- und Diebstahlsgefahren auch gegenüber der UAB die Vorsicht wie gegenüber jedem nachbestellenden Kunden walten lassen, selbst wenn dies die Vereinbarungen der Vertriebsorganisation nicht explizit vorgesehen haben sollten und die bisherigen stichprobenartigen Überprüfungen der UAB, die sich auf den Einbau gelieferter Ersatzteile bezogen haben sollen, keine Hinweise auf Organisationslücken oder Unregelmäßigkeiten ergeben haben sollten.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht Celle es für unerheblich gehalten, dass die Bestellung der Ersatzschlüssel durch und deren Auslieferung an einen in die NORA-Organisation eingebundenen Händler erfolgt ist. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Oberlandesgericht Celle die genannten Sicherheitsvorkehrungen trotz der Geschäftsbeziehung der Vertragshändlerin zur UAB für zumutbar halten. Dass dies die geltend gemachte, seit 2004 bestehende langjährige Vertrauensbeziehung zur UAB bedroht und die wirtschaftlichen Interessen der Vertragshändlerin damit ernstlich beeinträchtigt hätte, erscheint fernliegend, nachdem die Vertragshändlerin selbst vorgetragen hat, die UAB zwischen 2012 und 2016 jährlich besucht und stichprobenartig auf die ordnungsgemäße Verbauung der gelieferten Ersatzteile kontrolliert zu haben, und die Vertragshändlerin sich für ihre Anforderungen auf den Schutz der gemeinsamen Kunden und die Empfehlungen des Herstellers hätte berufen können. Soweit der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens entschieden hat, dass der Beaufsichtigung durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch die Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit des Fachunternehmens Grenzen gesetzt seien und eine Kontrolle auf Schritt und Tritt nicht verlangt werden könne10, lässt sich dies auf den Streitfall nicht übertragen, weil schon nicht festgestellt worden ist, dass von der Vertragshändlerin im Zusammenhang mit der Ersatzschlüsselbestellung Verkehrssicherungspflichten auf die UAB delegiert worden wären. Dass insoweit Sachvortrag zu einer Delegation übergangen worden wäre, macht die Revision nicht geltend, auch nicht, dass der UAB als NORA-Kunde aufgrund von Vereinbarungen mit der Vertragshändlerin oder der Volkswagen AGeine der Vertragshändlerin vergleichbare Prüfungspflicht oblegen hätte. Das Oberlandesgericht Celle hat vielmehr unangegriffen festgestellt, dass die UAB – anders als die Vertragshändlerin in ihrer Funktion als Vertragshändlerin der Volkswagen AG- nicht befugt war, die Schlüssel direkt von der Volkswagen AGzu beziehen, wodurch die UAB letztlich – auch im Verhältnis zur Vertragshändlerin – einem privaten Endkunden gleichgestellt wird. Das etwaige Fehlen unmittelbar einschlägiger Verhaltensempfehlungen der Volkswagen AGfür die Auslieferung von Ersatzschlüsseln an NORA-Kunden sowie das Bestehen einer langjährigen Vertrauensbeziehung der Vertragshändlerin zur UAB sind hierfür unerheblich.
Danach kann sich die Vertragshändlerin nicht damit entlasten, dass die der maßgeblichen Verkehrsauffassung zu Prüf- und Kontrollpflichten bei der Ersatzschlüsselbeschaffung und weitergabe entsprechende Empfehlung der Volkswagen AGzum Verfahren bei fehlenden beziehungsweise defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel verbindliche Regeln nur für den Fall vorsehe, dass der Partner der Vertriebsorganisation den Auftrag zur Beschaffung eines Ersatzschlüssels unmittelbar vom Endabnehmer entgegennehme.
Dass das Oberlandesgericht Celle davon ausgegangen ist, dass die Vertragshändlerin wegen der ihr im Zusammenhang mit der Ersatzschlüsselbestellung obliegenden internen Organisations- und Überwachungspflichten für ihre für sie handelnden Mitarbeiter einzustehen hat (§ 831 BGB), greift die Revision nicht an. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht zu erkennen.
Auch den Kausalzusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen, den Diebstählen und dem Schaden hat das Oberlandesgericht Celle ohne Rechtsfehler bejaht.
Die Vertragshändlerin rügt desweiteren ohne Erfolg, hinsichtlich des vierten Diebstahls (eines PKW der Marke Audi) fehle es an widerspruchsfreien und damit das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen, um diesen der Vertragshändlerin zurechnen zu können. Das Oberlandesgericht Celle hat nicht offengelassen, ob bezüglich dieses Fahrzeugs ein Ersatzschlüssel oder eine Ersatzschlüsselbestellung in der Zerlegehalle aufgefunden wurden. Zwar findet sich eine entsprechende Formulierung in dem in Bezug genommenen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils („Schlüssel bzw. der Beleg über die Schlüsselbestellung“), das Oberlandesgericht Celle hat dies aber auf das Auffinden einer Schlüsselbestellung konkretisiert, indem es von Belegen für Schlüsselbestellungen für zwei der streitgegenständlichen Fahrzeuge gesprochen und dazu den Ermittlungsbericht und das darin befindliche Asservatenverzeichnis konkret in Bezug genommen hat. Dort ist für den Audi nur eine Schlüsselbestellung verzeichnet.
Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Oberlandesgericht Celle habe den Sachvortrag der Vertragshändlerin unbeachtet gelassen, wonach die Vertragshändlerin an die UAB Ersatzteile für Fahrzeuge der Marke Volkswagen geliefert habe, weshalb der Diebstahl eines Wagens der Marke Audi nicht zugerechnet werden könne. Abgesehen davon, dass diese Aussage im Sinne einer Beschränkung auf Ersatzteile allein der Marke Volkswagen diesem schriftlichen Vortrag nicht klar zu entnehmen ist, wäre eine derartige Behauptung auch nicht entscheidungserheblich, da sie der streitgegenständlichen Ersatzschlüsselbestellung für ein Fahrzeug der Marke Audi, einer Konzernmarke der V. AG, nicht entgegenstünde. Dafür spricht auch, dass die Instanzgerichte sich die Überzeugung gebildet haben, dass es sich bei der in der Zerlegehalle aufgefundenen Schlüsselbestellung um eine solche der Vertragshändlerin auch bei dem PKW Audi handelte.
Auch die Annahme eines Zurechnungszusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden trotz der Begehung der Diebstahlstaten durch Dritte wird von der Revision nicht in Abrede gestellt. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.
Das Oberlandesgericht Celle hat der Vertragshändlerin auch den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu Recht versagt. Dem tritt die Vertragshändlerin mit ihrer Revision nicht entgegen.
Entgegen der Auffassung der Revision sind die der Vertragshändlerin auferlegten Prüfpflichten nicht zur Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit geeignet. Sie stellen keine unzulässigen Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 35 AEUV dar.
Die der Vertragshändlerin zum Schutz der Fahrzeugeigentümer vor der Auslieferung der Ersatzschlüssel auferlegten (deliktsrechtlichen) Prüf- bzw. Verkehrssicherungspflichten betreffen im Sinne der Differenzierung im Dritten Teil Titel – II Kapitel 3 AEUV („Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“) zwischen Einfuhr- (Art. 34) und Ausfuhrbeschränkungen (Art. 35) entgegen der Auffassung der Revision nicht Art. 34, sondern Art. 35 AEUV.
Nach Art. 35 AEUV sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Hierunter fallen nationale Maßnahmen, die tatsächlich Ausfuhren – d.h. Waren, die den Markt des Ausfuhrmitgliedstaats verlassen – stärker betreffen als den Absatz der Waren auf dem inländischen Markt dieses Mitgliedstaats11. Nationale Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel eines Mitgliedstaats und für seinen Außenhandel schaffen, sodass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staats zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt, sind als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen eingestuft worden12. Diese Voraussetzungen erfüllen die der Vertragshändlerin auferlegten Prüfpflichten aber nicht. Dem inländischen Händler werden lediglich bezüglich der Bestellung und Auslieferung von Fahrzeugersatzschlüsseln an eine Reparaturwerkstatt bestimmte Verhaltenspflichten in Form einer Prüfung der Berechtigung des Bestellers auferlegt. Dies berührt den inländischen wie den grenzüberschreitenden Vertrieb von Fahrzeugersatzschlüsseln rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise. Die Frage, ob der ausländische Vertragspartner die Überprüfung der Berechtigung ebenso zuverlässig übernehmen könnte, ist für die Frage nach einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit unerheblich.
Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Klärung der Frage, ob sich die von dem Oberlandesgericht Celle aufgestellten Anforderungen bei der Vergabe von Ersatzschlüsseln „als gleichwirkende Maßnahme im Sinne des Art. 34 AEUV (richtig: Art. 35 AEUV) auch unter Berücksichtigung des Art. 36 AEUV“ darstellen, ist entgegen der Auffassung der Revision nicht veranlasst. Die Rechtslage ist insoweit von vornherein eindeutig („acte clair“)13.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. März 2023 – VI ZR 19/22
- LG Hildesheim, Urteil vom 09.04.2021 – 5 O 46/20[↩]
- OLG Celle, Urteil vom 16.12.2021 – 11 U 68/21[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 19.01.2021 – VI ZR 194/18, NJW 2021, 1090 Rn. 8 f. und – VI ZR 210/18, VersR 2021, 452 Rn. 24 f.; vom 11.02.2020 – VI ZR 286/19, NJW 2020, 2116 Rn. 14; vom 25.02.2014 – VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 Rn. 8 f.; vom 02.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 6 f.; BGH, Urteile vom 23.04.2020 – III ZR 251/17, NJW 2020, 3106 Rn. 24; vom 19.07.2018 – VII ZR 251/17, NJW 2018, 2956 Rn. 17 f.[↩]
- vgl. Förster in BeckOK BGB, Stand: 1.02.2023, § 823 Rn. 307; Sprau in Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 823 Rn. 48[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 12.11.1996 – VI ZR 270/95, NJW 1997, 582 16; OLG Rostock, Urteil vom 18.12.2020 – 5 U 91/18 88; Spindler in BeckOGK BGB, Stand: 1.11.2022, § 823 Rn. 433[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.03.1985 – III ZR 206/83, VersR 1985, 641 17; Hager in Staudinger, BGB, 2021, § 823 Rn. E 56; Wagner in MünchKomm-BGB, 8. Aufl., § 823 Rn. 520[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 13.06.2017 – VI ZR 395/16, NJW 2017, 2905 Rn. 9; vom 22.01.2008 – VI ZR 126/07, NJW 2008, 1440 Rn. 9; vom 04.06.1996 – VI ZR 75/95, NJW 1996, 2646 13; BGH, Urteil vom 23.04.2020 – III ZR 251/17, NJW 2020, 3106 Rn. 28; Förster in BeckOK BGB, Stand: 1.02.2023, § 823 Rn. 352 ff.; Spindler in BeckOGK BGB, Stand: 1.11.2022, § 823 Rn. 435; Sprau in Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 823 Rn. 50; Wagner in MünchKomm-BGB, 8. Aufl., § 823 Rn. 526 ff.[↩]
- vgl. zu Sicherungspflichten des Fahrzeugbesitzers bezüglich der Fahrzeugschlüssel bzw. zur Verhinderung von Schwarzfahrten: BGH, Urteil vom 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971, 459 28; OLG Hamm, Urteil vom 17.02.2004 – 9 U 161/03, NJW-RR 2004, 1097 7; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 08.07.2003 – 5 U 177/03, VersR 2004, 879; Haag in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 14 Rn. 188; Hager in Staudinger, BGB, 2021, § 823 Rn. E 401; Spindler in BeckOGK BGB, Stand: 1.11.2022, § 823 Rn. 414; Wagner in MünchKomm-BGB, 8. Aufl., § 823 Rn. 454; zur Missbrauchsgefahr bei Wohnungsschlüsseln vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2014 – VIII ZR 205/13, NJW 2014, 1653 Rn.19; Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl., § 535 Rn. 533[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.03.1980 – VI ZR 66/79, NJW 1980, 1745 8 zu missbräuchlichem Verhalten des Rechtsgutsinhabers[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 01.10.2013 – VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 16; vom 26.09.2006 – VI ZR 166/05, NJW 2006, 3628 Rn. 11; vom 30.09.1986 – VI ZR 274/85, NJW-RR 1987, 147 8 mwN; Förster in BeckOK BGB, Stand: 1.02.2023, § 823 Rn. 369[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 17.09.2020 – C-648/18 29 – ANRE/Hidroelectrica; vom 28.02.2018 – C-518/16 43 mwN – ZPT; Becker in Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 4. Aufl., Art. 35 AEUV Rn. 12[↩]
- EuGH, Urteile vom 08.11.1979, Groenveld, 15/79, Slg. 1979, 3409, Rn. 7; vom 16.12.2008 – C-205/07, Slg. 2008, I99479998, Rn. 40[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 06.10.2021 – C-561/19, NJW 2021, 3303 Rn. 33 – Consorzio Italian Management u.a.; vom 06.10.1982 – C-283/81, NJW 1983, 1257 21 – Cilfit; BVerfG, NJW 2021, 1005 Rn. 15 mwN; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 267 AEUV Rn. 33[↩]