Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn trotz Befolgung der für die Unterschriftenkontrolle bestehenden Anweisungen durch das Kanzleipersonal die Frist wegen eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten bei der Unterschriftsleistung versäumt wurde.

Ist eine Kanzleianordnung nicht geeignet, den konkreten Fehler des Rechtsanwalts (hier die Unterzeichnung des falschen Schriftstücks) bei einem normalen Verlauf der Dinge aufzufangen, ist das Anwaltsverschulden bei der Unterschriftsleistung als für die versäumte Frist ursächlich anzusehen und bei einer wertenden Betrachtung weiterhin dem Anwalt und nicht (allein) dem Büropersonal zuzurechnen.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat der Rechtsanwalt statt der Berufungsbegründung einen Anlage beigefügten Schriftsatz unterschrieben. Der Bundesgerichtshof sah hierin ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Anwaltsverschulden:
Die Unterschriftsleistung „an der falschen Stelle“ beruht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger. Ein Rechtsanwalt, der für den mangelfreien Zustand der aus seiner Kanzlei herausgehenden Schriftsätze – einschließlich einer erforderlichen Unterschrift nach § 130 Nr. 6 ZPO – zu sorgen hat [1], handelt nicht nur dann schuldhaft, wenn er einen ihm zur Unterschrift vorgelegten Schriftsatz versehentlich nicht unterschreibt [2], sondern auch, wenn er zwar die Unterschrift leistet, dabei jedoch versehentlich nicht den bestimmenden Schriftsatz, sondern eine beigefügte Anlage unterschreibt. Zu den Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts gehört es nämlich auch, sich zu vergewissern, dass die Unterschrift auf das richtige Schriftstück (hier die Berufungsbegründung) gesetzt wird [3].
Auch bejaht der Bundesgerichtshof die Mitursächlichkeit des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung. Die Kausalität des Versehens des Rechtsanwalts ergibt sich – unabhängig von einem etwaigen weiteren Verschulden der Kanzleiangestellten bei einer nachfolgenden Unterschriftsprüfung – schon daraus, dass die Berufungsbegründungsfrist eingehalten worden wäre, wenn der Anwalt die rechtzeitig per Telefax an das Berufungsgericht übermittelte Berufungsbegründung (und nicht die Anlage) unterschrieben hätte.
Das den Klägern zuzurechnende Anwaltsverschulden steht der beantragten Wiedereinsetzung entgegen, obwohl das Kanzleipersonal allgemein angewiesen war, ausgehende Schriftsätze darauf zu kontrollieren, ob sie unterschrieben worden sind.
Richtig ist zwar, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausschließt, wenn der Prozessbevollmächtigte im Rahmen seiner Büroorganisation durch eine Anweisung an seine Angestellten dafür Vorsorge getroffen hatte, dass bei normalem Verlauf der Dinge die versäumte Berufungsbegründungsfrist – trotz seines Versehens – mit Sicherheit gewahrt worden wäre [4]. Ob in diesen Fällen die Wiedereinsetzung deshalb zu gewähren ist, weil nicht mehr das frühere Anwaltsverschulden als für die Versäumung der Frist ursächlich anzusehen ist, sondern das spätere von der Partei nicht verschuldete Ereignis, welches sich der Fristwahrung entgegengestellt hat [5], oder weil – wegen der Zulässigkeit der Delegation bestimmte Kontrollmaßnahmen auf das Büropersonal – eine wertende Einschränkung bei der Zurechnung des Anwaltsverschuldens geboten ist [6], ist im Ergebnis unerheblich.
Hier fehlt es jedoch an den Voraussetzungen dafür, unter denen ein Anwaltsverschulden bei der Unterschriftsleistung wegen eines nachfolgenden Verstoßes gegen eine allgemeine Kanzleianweisung zur Unterschriftenkontrolle als für die versäumte Frist unerheblich anzusehen ist.
Das kommt nur bei einer solchen Anordnung in Betracht, deren Einhaltung durch das Büropersonal die Frist mit Sicherheit gewahrt hätte [7]. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann demgegenüber nicht gewährt werden, wenn trotz Befolgung der für die Unterschriftenkontrolle bestehenden Anweisungen die Frist wegen Verschuldens des Prozessbevollmächtigten gleichwohl versäumt wurde. Ist die Anordnung nicht geeignet, den konkreten Fehler des Rechtsanwalts (hier die Unterzeichnung des falschen Schriftstücks) bei einem normalen Verlauf der Dinge aufzufangen, ist das Anwaltsverschulden bei der Unterschriftsleistung als für die versäumte Frist ursächlich anzusehen und bei einer wertenden Betrachtung weiterhin dem Anwalt und nicht (allein) dem Büropersonal zuzurechnen.
So ist es hier, weil die in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger bestehende Anordnung nur das Fehlen einer Unterschrift, jedoch nicht Fehler bei der Unterschriftsleistung aufzufangen vermag. Nach der mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten allgemeinen Anweisung für die Versendung von Fristsachen per Telefax ist nach der Versendung von dem Personal die Richtigkeit der gewählten Rufnummer, die Zahl der übermittelten Seiten und das Vorhandensein einer Unterschrift zu prüfen.
Eine derartige Anordnung vermag zwar zu gewährleisten, dass eine – ohne Unterschrift des Anwalts – versendete Fristsache dem Anwalt sogleich zur Unterschrift vorgelegt und dadurch der Fehler nachträglich, aber noch rechtzeitig durch Unterschreiben und nochmalige Versendung behoben wird.
Die Anweisung ist aber nicht dazu geeignet, den hier entscheidenden Fehler des Rechtsanwalts, nämlich die Unterzeichnung des falschen Schriftstücks, aufzufangen. Das Berufungsgericht stellt zutreffend fest, dass das Kanzleipersonal die angeordnete Ausgangskontrolle nicht unterlassen, sondern vorgenommen hat.
Nach der Anweisung hat das Kanzleipersonal das Vorhandensein einer Unterschrift zu prüfen. Diese Kontrolle ist vorgenommen worden. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin hat sie das Vorhandensein der Unterschrift geprüft, dabei die Unterschrift des Anwalts auf der letzten Seite des versendeten Schreibens vorgefunden und danach ihr – die Erledigung vermerkendes – Handzeichen auf den Sendebericht gesetzt.
Dass der Bürovorsteherin insofern dasselbe Versehen wie dem Rechtsanwalt bei der Unterschriftleistung unterlaufen ist, als auch sie nicht bemerkt hat, dass die letzte Seite des übermittelten Vorgangs nicht zugleich die letzte von dem Rechtsanwalt zu unterschreibende Seite der Berufungsbegründung war, stellt keinen Verstoß gegen die vorgelegte Anordnung dar. Danach hat das Büropersonal im Rahmen der Ausgangskontrolle nach der Versendung von Fristsachen per Telefax sich zu vergewissern, dass bestimmte Formalien (Rufnummer, Zahl der versendeten Seiten und das Vorhandensein der Unterschrift) eingehalten sind, aber nicht den Inhalt der versendeten Schriftstücke im Einzelnen durchzusehen und dabei zu prüfen, ob der Rechtsanwalt auch die richtigen Schriftstücke unterschrieben hat. Diese Überprüfung konnte der Anwalt auch nicht seinem Personal überlassen, sondern sie ist von ihm selbst vorzunehmen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – LwZB 2/11
- BGH, Urteil vom 20.11.1986 – III ZR 18/86, NJW 1987, 957; Beschluss vom 19.02.2009 – V ZB 168/08, Rn. 10[↩]
- BAG, NJW 1966, 799[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.1979 – I ZB 3/79, VersR 1979, 823[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 12.12.1984 – IVb ZB 103/84, NJW 1985, 1226; vom 06.12.1995 – VIII ZR 12/95, NJW 1996, 998, 999; vom 15.02.2006 – XII ZB 215/05, NJW 2006, 1205, 1206 Rn. 11[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 29.05.1974 – IV ZB 8/74, VersR 1974, 1001 und vom 06.12.1995 – VIII ZR 12/95, NJW 1996, 998, 999[↩]
- so Ostler, NJW 1967, 2300, 2301; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Rn. 30; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rn. 22[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 18.04.2000 – XI ZB 1/00, NJW 2000, 2511, 2512[↩]