Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung – und der Anwalt muss es besser wissen

Auch unter der Geltung des § 17 Abs. 2 FamFG kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung für die Fristversäumnis ursächlich geworden ist1.

Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung – und der Anwalt muss es besser wissen

Daran bestehen für den Bundesgerichtshof nach dem tatsächlichen Ablauf keine Zweifel, wenn der Verfahrensbevollmächtigte die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung befolgt hat. Allerdings kann sich der Verfahrensbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beteiligte zurechnen lassen muss2, insoweit nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befinden:

Im Ausgangspunkt wird durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht. Auch eine anwaltlich vertretene Partei darf sich im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht3.

Allerdings muss von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt in Anspruch nehmen. An einem entschuldbaren Rechtsirrtum fehlt es, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und sie deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte4.

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Nach diesen Maßstäben ist die von dem Beschwerdegericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nicht geeignet, bei einem Rechtsanwalt einen entschuldbaren Rechtsirrtum über das statthafte Rechtsmittel hervorzurufen. Nach ihrem Inhalt ist gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts „die Beschwerde“ statthaft, wobei aus der Erwähnung des § 63 Abs. 1 FamFG – der freilich nicht die Statthaftigkeit der Beschwerde, sondern die Beschwerdefrist regelt – zu entnehmen ist, dass sich die Rechtsbehelfsbelehrung auf eine Erstbeschwerde bezieht. Das Beschwerdegericht hat jedoch im Tenor der angegriffenen Entscheidung die Rechtsbeschwerde zugelassen und in diesem Zusammenhang die Vorschriften der § 15 Abs. 2 Satz 2 BNotO, § 70 Abs. 1 FamFG zitiert. Damit liegt ein Widerspruch zwischen dem zugelassenen Rechtsmittel und dem Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung vor, der für einen Rechtsanwalt ohne weiteres erkennbar ist. Von ihm ist zu erwarten, dass ihm der Unterschied zwischen einer Beschwerde und einer Rechtsbeschwerde bekannt ist. Zumindest gab dieser offenkundige Widerspruch Anlass zu einer Prüfung der Rechtslage, die unschwer anhand des Gesetzestextes hätte vorgenommen werden können.

Dass bei der Zulassung der Rechtsbeschwerde in dem Tenor der angegriffenen Entscheidung neben § 70 Abs. 1 FamFG auch § 15 Abs. 2 Satz 2 BNotO zitiert worden ist, kann entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1 keinen entschuldbaren Rechtsirrtum des Verfahrensbevollmächtigten begründen. Dieser Vorschrift, in der das Landgericht als Beschwerdegericht bezeichnet wird, lässt sich gerade entnehmen, dass es sich bei der Anrufung des Landgerichts um ein Beschwerdeverfahren gegen die Weigerung des Notars handelt, eine bestimmte Amtshandlung vorzunehmen. Dabei nimmt der Notar die Stelle der ersten Instanz ein5. Eine weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts sieht das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das über die Verweisung in § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO anwendbar ist, im Gegensatz zu dem am 31.08.2009 außer Kraft getretenen § 27 FGG nicht mehr vor. Als Rechtmittel kommt nach der – im Tenor der angegriffenen Entscheidung zitierten – Vorschrift des § 70 FamFG nur die von einer Zulassung abhängige Rechtsbeschwerde in Betracht.

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Auch soweit dem Beschwerdegericht angesichts der von ihm getroffenen Nichtabhilfeentscheidung, in der nur Ausführungen zur Sache enthalten sind, die Unzulässigkeit der eingelegten Beschwerde nicht aufgefallen sei, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Das offenkundig fehlerhafte weitere Vorgehen des Beschwerdegerichts war nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand für den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu schaffen. Es mag ihn zwar in seinem Irrtum bestärkt haben. Da die Beschwerde am letzten Tag der Frist eingelegt worden ist, kann es ihn aber nicht von einer – auch nach Einlegung der Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist noch sinnvollen – Prüfung der Rechtsmittelbelehrung abgehalten haben. Aus diesem Grund hätte auch ein Hinweis auf die Notwendigkeit, die zugelassene Rechtsbeschwerde bei dem Bundesgerichtshof durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen, zu dem das Landgericht bei ordnungsgemäßer Prüfung der bei ihm eingelegten Beschwerde verpflichtet gewesen wäre6, die Fristversäumung nicht mehr verhindern können.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – V ZB 178/15

  1. BGH, Beschluss vom 27.02.2013 – XII ZB 6/13, NJW 2013, 1308 Rn. 7 mwN[]
  2. Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 17 Rn. 30[]
  3. BGH, Beschluss vom 12.01.2012 – V ZB 198/11, – V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rn. 10 mwN[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 18.12 2013 – XII ZB 38/13, NJW-RR 2014, 517 Rn.20; Beschluss vom 13.06.2012 – XII ZB 592/11, NJW-RR 2012, 1025 Rn. 10 jeweils mwN[]
  5. BGH, Beschluss vom 05.04.2001 – III ZB 48/00, NJW 2001, 2181, 2182; BGH, Beschluss vom 07.10.2010 – V ZB 147/09, NJW-RR 2011, 286 Rn. 5[]
  6. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 05.10.2010 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776, 3777[]
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