Fiktive Schadensabrechung und der Verweis auf die markenfreie Autowerkstatt

Im Fall einer fiktiven Schadensabrechnung des Geschädigten kann der Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder freien Fachwerkstatt noch im Rechtsstreit erfolgen, soweit dem nicht prozessuale Gründe, wie die Verspätungsvorschriften, entgegenstehen.

Fiktive Schadensabrechung und der Verweis auf die markenfreie Autowerkstatt

Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht grundsätzlich ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt2. Allerdings ist unter Umständen ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder „freien“ Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen3.

Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem der Verweis spätestens erfolgen muss, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Vertreten wird etwa, der KfzHaftpflichtversicherer könne den Unfallgeschädigten bei fiktiver Abrechnung des Unfallschadens an einem fünf Jahre alten Fahrzeug auch noch zu einem späteren Zeitpunkt, der mehrere Wochen nach dem Unfall liege, und zu dem das Fahrzeug bereits repariert worden sei, auf eine von ihm konkret benannte und dem Geschädigten zumutbare und zugängliche, technisch gleichwertige, aber kostengünstigere Reparaturmöglichkeit verweisen, es sei denn, der Geschädigte habe das Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt reparieren lassen4. Zum Teil wird es für ausreichend gehalten, dass im Fall der fiktiven Schadensberechnung der Schädiger auch noch erstmals im Prozess auf eine günstigere Werkstatt verweist5. Die Möglichkeit, erst im Prozess auf freie Werkstätten zu verweisen, wird von anderen abgelehnt, wobei u.a. darauf abgestellt wird, der Verweis müsse in dem Zeitpunkt bekannt sein, in dem der Geschädigte gewöhnlich seine Dispositionsentscheidung treffe, also zeitnah nach dem Unfall6.

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Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist der Verweis noch im Rechtsstreit möglich, soweit dem nicht prozessuale Gründe, wie die Verspätungsvorschriften, entgegenstehen.

Für den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, ist es im Prinzip unerheblich, ob und wann der Versicherer auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist. Dem steht nicht entgegen, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen. Entscheidend ist, dass in solchen Fällen der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln ist. Der Geschädigte disponiert dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf dieser objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise der Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen hier nur dazu, der in dem vom Geschädigten vorgelegten Sachverständigengutachten vorgenommenen Abrechnung entgegenzutreten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 320/12

  1. BGH, Urteile vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 4 – Porsche-Urteil; vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rn. 7 f. – VW-Urteil; vom 22.06.2010 – VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 6 – Audi-Quattro-Urteil; vom 22.06.2010 – VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 6 – Mercedes-A170-Urteil[]
  2. vgl. z.B. BGH, Urteile vom 23.03.1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241; vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 3[]
  3. BGH, Urteile vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09, aaO Rn. 12 ff. – VW-Urteil; vom 23.02.2010 – VI ZR 91/09, VersR 2010, 923 Rn. 9, 11 – BMW-Urteil; vom 22.06.2010 – VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 7 – Audi-Quattro-Urteil; vom 22.06.2010 – VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 7 – Mercedes-A170-Urteil; vom 13.07.2010 – VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380 Rn. 7 – Mercedes-A140-Urteil[]
  4. z.B. OLG Braunschweig, Urteil vom 27.07.2010 – 7 U 51/08[]
  5. LG Frankfurt, Urteil vom 19.01.2011 – 216 S 121/10; LG Stuttgart, Urteil vom 19.07.2010 – 4 S 48/10; AG Flensburg, Urteil vom 08.01.2013 – 62 C 131/12; AG Nordhorn, Urteil vom 19.06.2012 – 3 C 1596/11[]
  6. vgl. LG Kiel, Urteil vom 25.11.2011 – 1 S 37/11; LG Frankenthal, Urteil vom 07.03.2012 – 2 S 180/11; AG Hechingen, Urteil vom 28.06.2012 – 2 C 416/11; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2008 – I1 U 246/07, DAR 2008, 523, 525; Nugel, jurisPR-VerkR 18/2008 Anm. 1[]
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