Flugstornierung bei der Pauschalreise – und die Ausgleichsleistung

Eine Entschädigungsleistung, die ein Fluggast nach Stornierung eines zu einer Pauschalreise gehörenden Flugs vom Reiseveranstalter für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit erhalten hat, stellt eine Schadensersatzleistung dar, die gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO auf Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO nach Maßgabe der Grundsätze über die Vorteilsausgleichung anrechenbar ist.

Flugstornierung bei der Pauschalreise – und die Ausgleichsleistung

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall buchte die Kundin bei einer Reiseveranstalterin für die Zeit vom 05. bis 12.10.2016 eine Urlaubsreise, die von der Fluggesellschaft durchzuführende Flüge von Frankfurt am Main auf die Kapverden und zurück umfasste. Der Hinflug wurde annulliert. Die Reiseveranstalterin kündigte die Reise. Die Kundin nahm sie erfolgreich auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 750 € in Anspruch. Von der Fluggesellschaft hat die Kundin eine Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b FluggastrechteVO für den annullierten Hinflug und den nicht angetretenen Rückflug in Höhe von insgesamt 1.200 € sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen1. Das Landgericht hat die Fluggesellschaft wegen des Hinflugs zur Zahlung von 600 € nebst anteiligen Anwaltskosten verurteilt und die weitergehende Berufung der Kundin zurückgewiesen2. Mit der vom Landgericht Frankfurt a.M: zugelassenen Revision verfolgt die Fluggesellschaft ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter und erhielt vor dem Bundesgerichtshof Recht, der das klageabweisende Urteil des Amtsgericht wiederherstellte:

Weiterlesen:
Anschlussflug ohne Reisegepäck

Das Landgericht Frankfurt a.M: hat angenommen, die Fluggesellschaft sei wegen der Annullierung des Hinflugs zur Leistung einer Ausgleichszahlung verpflichtet. Sie müsse sich Zahlungen der Reiseveranstalterin wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nicht gemäß Art. 12 FluggastrechteVO anrechnen lassen. Der Zweck der nach § 651f Abs. 2 BGB aF geschuldeten Entschädigung wegen Reisevereitelung und der Zweck der Ausgleichsleistung nach Art. 7 FluggastrechteVO stimmten nicht überein. Die Ausgleichsleistung kompensiere nicht entgangene Urlaubszeit, sondern allein die Unannehmlichkeiten eines Zeitverlusts infolge der Flugannullierung.

Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

Rechtsfehlerfrei und insoweit nicht angegriffen hat das Landgericht Frankfurt a.M: angenommen, dass die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO im Streitfall vorliegen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts Frankfurt a.M. stellt die Entschädigungsleistung, die die Kundin von der Reiseveranstalterin für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit erhalten hat, eine Schadensersatzleistung dar, die gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO auf Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO anrechenbar ist.

Der Bundesgerichtshof hat nach Erlass des hier angefochtenen Urteils des Landgerichts Frankfurt a.M. in einem Hinweisbeschluss gemäß § 552a und § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO dargelegt, dass Leistungen, die der Fluggast als Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit erhalten hat, auch auf der Grundlage des bis 30.06.2018 geltenden Rechts gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO auf einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO nach Maßgabe der Grundsätze über die Vorteilsausgleichung anzurechnen sind3. Dies entspricht der Rechtsfolge, die nach neuem Recht in Erwägungsgrund 36 und Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2015/2302 (PauschalreiseRichtlinie) sowie § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB ausdrücklich vorgesehen ist.

Weiterlesen:
Der Fußgänger und das Spritzwasser

Wie der Bundesgerichtshof bereits in der früheren Entscheidung dargelegt hat, dient eine Entschädigungsleistung nach § 651f Abs. 2 BGB in der bis zum 30.06.2018 geltenden Fassung dem Ausgleich eines immateriellen Schadens, der auch von dem Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO abgedeckt ist.

Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 651f Abs. 2 BGB aF ergibt sich die gesetzgeberische Wertung, dass bei Vereitelung der Reise von einer so schwerwiegenden Beeinträchtigung des vertraglich geschuldeten Leistungserfolgs auszugehen ist, dass eine Entschädigung dafür geboten ist, dass der Kunde seine Urlaubszeit nicht so verbringen konnte wie vom Veranstalter geschuldet.

Mit dem Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung wird eine pauschalierte Entschädigung für die Unannehmlichkeiten gewährt, die einem Fluggast mit der Annullierung eines Flugs entstehen4. Nicht erfasst sind hiervon individuelle Schäden, die der Fluggast über die allgemeinen Unannehmlichkeiten hinaus erlitten hat5.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass das zuständige nationale Gericht die nach der Verordnung gewährte Ausgleichszahlung auf den weitergehenden Schadensersatzanspruch anrechnen lassen kann, aber nicht dazu verpflichtet ist und dass die Fluggastrechteverordnung dem nationalen Gericht keine Bedingungen für die Anrechnung vorgibt6.

Nach den im deutschen Recht maßgeblichen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet7.

Weiterlesen:
Fehlerhafte Anlageberatung und Musterprozesse

Nach diesen Grundsätzen ist die von einer Reiseveranstalterin geleistete Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit auf Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung anzurechnen.

Der Anspruch auf Ausgleichszahlung und der Anspruch auf Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit sind beide auf eine pauschale Entschädigung dafür gerichtet, dass der mit der geschuldeten Leistung angestrebte Zweck nicht erreicht wurde und der Reisende seine Zeit nicht wie geplant verbringen konnte.

Auch fehlt es an einer Identität der Schäden nicht deshalb, weil die Entschädigung nach § 651f Abs. 2 BGB aF auch und in erster Linie Unannehmlichkeiten abdeckt, die im Zeitraum nach dem geplanten Flug entstanden sind.

Auch dient die Ausgleichsleistung nach Art. 7 FluggastrechteVO jedenfalls nicht allein dem Ausgleich von Unannehmlichkeiten während der Zeit des geplanten Flugs. Sie trägt vielmehr in erster Linie dem Umstand Rechnung, dass eine Flugannullierung und ein dadurch verursachter Zeitverlust typischerweise die Dispositionen für den Zeitraum nach der geplanten Ankunft beeinträchtigen.

Der Zweck der Reise führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Ausgleichsleistung nach Art. 7 FluggastrechteVO entschädigt die Fluggäste dafür, dass sie über ihre Zeit nicht wie geplant verfügen konnten. Die Situation eines Pauschalreisenden unterscheidet sich insoweit nicht grundlegend von der Situation anderer Fluggäste. Pauschalreisende haben lediglich den Vorteil, dass sie eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit auch vom Reiseveranstalter verlangen können.

Weiterlesen:
Kapitalanleger - Musterverfahrensgesetz

In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die Annullierung nur zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung der Reiseleistung führt oder der Fluggast von einem Antritt der Reise insgesamt absieht. Diesbezügliche Unterschiede haben zwar in der Regel Einfluss auf die Höhe der nach § 651f Abs. 2 BGB aF geschuldeten Entschädigung. Ungeachtet dessen umfasst diese Entschädigung aber auch die Unannehmlichkeiten, die infolge der Stornierung des Flugs entstanden sind. Dass ein Fluggast deshalb im Einzelfall bessergestellt sein kann, wenn die Auswirkungen auf die Reise gering bleiben und die nach § 651f Abs. 2 BGB aF geschuldete Entschädigung deshalb hinter dem nach Art. 7 FluggastrechteVO zu zahlenden Betrag zurückbleibt, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Solche Effekte sind eine immanente Folge der in Art. 7 FluggastrechteVO vorgesehenen Pauschalierung. Diese kann auch in anderem Zusammenhang dazu führen, dass ein Fluggast bessergestellt ist, wenn er im Einzelfall nur geringe Unannehmlichkeiten erlitten hat.

Die Regelung in Art. 14 Abs. 5 der PauschalreiseRichtlinie, auf die der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung sowohl zum neuen als auch zum früheren Reiserecht maßgeblich stützt, erfasst sowohl einen Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit als auch eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 FluggastrechteVO.

Ein Anspruch auf Geldleistung als Ausgleich für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit ist ein Anspruch auf Schadensersatz im Sinne von Art. 14 Abs. 5 der PauschalreiseRichtlinie. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 34 der Richtlinie, wonach der Schadenersatz auch immaterielle Schäden umfassen sollte, wie beispielsweise entgangene Urlaubsfreuden infolge erheblicher Probleme bei der Erbringung der betreffenden Reiseleistungen.

Weiterlesen:
Unterbliebene Ad-hoc-Mitteilungen und die Haftung

Vor diesem Hintergrund kann eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 FluggastrechteVO nicht abweichend qualifiziert werden. Auch diese stellt einen pauschalierten Ausgleich für materielle und immaterielle Beeinträchtigungen und damit für Schäden im Sinne der PauschalreiseRichtlinie dar.

Im hier entschiedenen Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Anrechnung danach vor.

Ausweislich der von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts Frankfurt a.M. diente die Zahlung der Reiseveranstalterin der Abgeltung der gegen sie geltend gemachten Klageansprüche. Geltend gemacht waren Ansprüche auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nach § 651f Abs. 2 BGB aF, nicht hingegen Ansprüche auf Ersatz eines darüber hinausgehenden individuellen Schadens.

Eine Anrechnung ist im Streitfall auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Reiseveranstalterin den Reisevertrag gekündigt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Kündigung durch die Stornierung des Flugs verursacht worden ist oder auf anderen Gründen beruht. Auch im zuletzt genannten Fall deckt die Entschädigung nach § 651f Abs. 2 BGB die Unannehmlichkeiten mit ab, die die Kundin erlitten hat, weil sie den geplanten Flug nicht absolvieren konnte und deshalb in ihren zeitlichen Dispositionen beeinträchtigt worden ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. Juni 2021 – X ZR 8/20

  1. AG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.05.2019 29 C 658 (46) []
  2. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 20.12.2019 224 S 129/19[]
  3. BGH, Beschluss vom 31.03.2020 – X ZR 169/18 Rn. 6 ff.[]
  4. EuGH, Urteil vom 23.10.2012 C581/10 und C629/10, NJW 2013, 671 Rn. 74 Nelson[]
  5. EuGH, Beschluss vom 28.05.2020 C153/19, RRa 2020, 190 Rn. 35 DER Touristik GmbH[]
  6. EuGH, Beschluss vom 28.05.2020 C153/19, RRa 2020, 190 Rn. 32 DER Touristik GmbH; Urteil vom 29.07.2019 C354/18, RRa 2019, 280 Rn. 44 ff. Rusu[]
  7. BGH, Urteil vom 30.09.2014 – X ZR 126/13, NJW 2015, 553 Rn. 14; Urteil vom 28.06.2007 – VII ZR 81/06, BGHZ 173, 83 Rn. 18[]
Weiterlesen:
Zwangshypothek und die Eröffnung des Insolvensverfahrens

Bildnachweis: