Die (einjährige) Verjährung eines Anspruchs gegen den Frachtführer wird durch eine schriftliche Erklärung des Absenders oder Empfängers, mit der dieser Ersatzansprüche erhebt, bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, in dem der Frachtführer die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt, § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB. Eine solche Erklärung der Haftbarhaltung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform gemäß § 126 Abs. 1 BGB.

Die Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB muss im Gegensatz zur Schadensanzeige nach § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB die Unterschrift desjenigen tragen, der Ersatzansprüche geltend macht.
Die Revision rügt ohne Erfolg, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genüge auch eine Erklärung in Textform (§ 126b BGB) dem Schriftlichkeitserfordernis des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB. Sie macht insoweit geltend, nach der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) entspreche die Regelung in § 439 Abs. 3 HGB sachlich dem „geltenden Recht in Art. 32 Abs. 2 CMR, § 40 Abs. 3 KVO, § 94 Abs. 3 EVO, Art. 58 § 3 Satz 1 CIM“1. Für Art. 32 Abs. 2 CMR sei allgemein anerkannt, dass der Begriff „schriftliche Reklamation“ nicht Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB bedeute. Es genüge vielmehr jede lesbare Erklärung. Es spreche nichts für die Annahme, dass der (nationale) Gesetzgeber das Schriftlichkeitserfordernis gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB in einem anderen Sinne habe verstehen wollen.
Dem vermag der Bundesgerichtshof nicht beizutreten. Richtig ist allerdings, dass sich der Wortlaut des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB weitgehend an Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR orientiert. Ebenso trifft es zu, dass für eine schriftliche Reklamation gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR nach ganz überwiegender Auffassung nicht die Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB erforderlich ist, sondern jede Form der Lesbarkeit und damit auch ein Telefaxschreiben, eine EMail oder ein Telegramm genügt2. Dieser Umstand rechtfertigt es jedoch nicht, für eine Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB jede Art von Textform ausreichen zu lassen. Die CMR unterscheidet nicht zwischen Textform und Schriftlichkeit. Sie verweist auch nicht auf das jeweils anwendbare nationale Recht. Die Vorschriften des Übereinkommens sind vielmehr autonom auszulegen, weil nur auf diese Weise der Zweck der Rechtsvereinheitlichung erreicht werden kann3. Aus dem Verständnis des Begriffs „schriftliche Reklamation“ in Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR lässt sich daher nicht ohne weiteres etwas für die Auslegung des nationalen Rechts, hier des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB, ableiten.
Zudem spricht die Gesetzesentwicklung nach Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1.07.1998 – anders als die Revision meint – gegen die Annahme, dass für eine Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ebenso wie bei Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR jede lesbare Mitteilung ausreicht. Die mit dem Transportrechtsreformgesetz in das Handelsgesetzbuch eingefügte Vorschrift des § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB sah für die Schadensanzeige ursprünglich vor, dass diese grundsätzlich schriftlich zu erfolgen hatte. Die Übermittlung der Anzeige konnte mit Hilfe kommunikativer Einrichtungen erfolgen. Eine Unterschrift sollte entbehrlich sein, wenn der Aussteller in anderer Weise aus der Anzeige erkennbar war. Durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.07.20014 ist § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB dahingehend geändert worden, dass eine Schadensanzeige nach Ablieferung des Gutes in Textform (§ 126b BGB) zu erstatten ist, die keine eigenhändige Namensunterschrift des Erklärenden erfordert. Demgegenüber hat die Bestimmung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB durch das Gesetz vom 13.07.2001 keine Änderung erfahren. Sie verlangt für die Erklärung der Haftbarhaltung nach wie vor ausdrücklich und ohne Ausnahme Schriftlichkeit. Mit Recht hat das Berufungsgericht daraus den Schluss gezogen, dass für die Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB die Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB erforderlich ist5.
Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht6 kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Anpassung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB an die Formvorschrift des § 126b BGB versehentlich – also planwidrig – unterblieben ist mit der Folge, dass eine analoge Anwendung des § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB in Verbindung mit § 126b BGB in Betracht gezogen werden könnte. Durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr wurde nicht nur § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB geändert. Es wurden vielmehr weitere Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs (§ 410 Abs. 1, § 455 Abs. 1 Satz 2, § 468 Abs. 1 Satz 1) und zahlreiche andere Vorschriften des Privatrechts (beispielsweise § 554 Abs. 3 Satz 1 und § 556b Abs. 2 Satz 1 BGB) an den neu geschaffenen Formtyp des § 126b BGB angepasst. Der Umstand, dass § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB unverändert geblieben ist, steht danach der vom Landgericht vertretenen Ansicht entgegen, es könnte sich bei der unterlassenen Änderung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB um ein Regelungsversehen des Gesetzgebers handeln. Mit der in der Rechtsprechung und im Schrifttum vorherrschenden Auffassung ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Anpassung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB an den Formtyp des § 126b BGB abgesehen hat. Hierfür spricht auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 126b BGB, im Zuge weiterer Gesetzesüberarbeitungen werde zu prüfen sein, inwieweit sich Formbestimmungen für die Einführung der Textform eigneten7. Dieser Hinweis in der Begründung des Gesetzentwurfs steht der Annahme entgegen, dass bei § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB statt der normierten Schriftform die Textform im Sinne von § 126b BGB ausreichen soll.
Vor diesem Hintergrund kann auch die weitere Rüge, es gebe keinen sachlich gerechtfertigten Grund, die Haftbarhaltung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB anders als die Schadensanzeige gemäß § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB der Schriftform zu unterstellen, keinen Erfolg haben. Hätte der Gesetzgeber es für sinnvoll erachtet, für eine Erklärung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB dieselbe Form wie für eine Schadensanzeige gemäß § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB ausreichen zu lassen, hätte es nahegelegen, mit dem Gesetz vom 13.07.2001 auch eine Anpassung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB an die neu in § 126b BGB geregelte Textform vorzunehmen. Die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Korrektur des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ist von den Gerichten hinzunehmen. Sie steht einer Ausdehnung der Form des § 126b Abs. 1 BGB über die im Frachtrecht ausdrücklich normierten Fälle (§ 410 Abs. 1, § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB) hinaus entgegen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. September 2012 – I ZR 75/11
- BT-Drucks. 13/8445, S. 79[↩]
- vgl. OLG Koblenz, TranspR 1991, 93; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 32 CMR Rn. 11; Helm, Frachtrecht II, CMR, 2. Aufl., Art. 32 Rn. 110; MünchKomm-.HGB/JesserHuß, 2. Aufl., Art. 32 CMR Rn. 35; Bahnsen in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., Art. 32 CMR Rn. 27; Herber/Piper, CMR, Art. 32 Rn. 32[↩]
- Koller aaO Art. 32 CMR Rn. 11; Helm aaO Art. 32 Rn. 110[↩]
- BGBl. I 2001 S. 1542[↩]
- ebenso OLG München, TranspR 2008, 321, 323; OLG Frankfurt, TranspR 2010, 36, 37; MünchKomm-.HGB/Herber/Eckardt, § 439 Rn. 22; Schaffert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 439 Rn. 21; Andresen/Valder, Speditions, Fracht- und Lagerrecht, § 439 HGB Rn. 29; aA Koller aaO § 439 HGB Rn. 33, der darauf hinweist, dass der Frachtführer keiner gesteigerten Sicherheit bei der Identifikation des Anspruchstellers bedürfe, weil er lediglich darüber informiert werden solle, dass gegen ihn Ansprüche geltend gemacht werden; ebenso Steinborn, TranspR 2011, 16, 18[↩]
- ebenso Koller aaO § 439 HGB Rn. 33; wohl auch Steinborn, TranspR 2011, 16, 18[↩]
- Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BT-Drucks. 14/4987, S. 18[↩]